• Am 3. Juli ereignete sich in den Dolomiten ein tragisches Unglück: Nach einem Gletscherbruch kamen nach jetzigem Stand mindestens zehn Menschen ums Leben.
  • Wie konnte es zu dem Unglück kommen und müssen wir mit solchen Ereignissen in Zukunft häufiger rechnen?
  • Darüber haben wir mit der Klimawissenschaftlerin und Gletscherforscherin Professorin Ricarda Winkelmann gesprochen.
Ein Interview

Frau Winkelmann, am vergangenen Wochenende ereignete sich in den Dolomiten ein Gletscherbruch, der leider auch zahlreiche Todesopfer gefordert hat. Reinhold Messner und auch Klimaexperten und -expertinnen haben als Ursache den Klimawandel benannt. Was sagen Sie als Klimawissenschaftlerin und Gletscherforscherin dazu?

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Ricarda Winkelmann: Der tragische Gletscherbruch an der Flanke der Marmolata, vor allem die zahlreichen Todesopfer, haben mich sehr betroffen gemacht. Und bedrückenderweise ist es so, dass solche Ereignisse durch den menschengemachten Klimawandel wahrscheinlicher werden. Eine der Folgen der Erderwärmung, die wir heute ja überall auf der Welt spüren, ist die Zunahme von Extremereignissen wie Hitzewellen. Auch der Sommer dieses Jahr ist schon jetzt besonders warm und auch in den Dolomiten sehen wir ungewöhnlich hohe Temperaturen.

Was genau ist denn bei dem Unglück passiert?

Die extrem hohen Temperaturen vor Ort haben zu starkem Schmelzen geführt, wodurch sich vermutlich das Eis vom Fels lösen konnte und plötzlich ins Rutschen geraten ist. Wegen des geringen Niederschlags im Winter fehlte außerdem Schnee, der den Gletscher zusätzlich hätte schützen können.

Gibt es für solche Fälle eine Art Frühwarnsystem? War das Unglück an der Marmolata in irgendeiner Weise vorhersehbar oder kam das komplett überraschend?

Grundsätzlich ist es immer schwierig oder sogar unmöglich, Vorhersagen für solche Einzelereignisse zu treffen. Durch steigende Temperaturen nimmt aber insgesamt die Gefahr von Gletscherbrüchen zu. Wir sehen ja auch, wie sich die Gletscher in beinahe allen Regionen weltweit stark zurückziehen.

Wenn wir also einen Blick in die Zukunft wagen, müssen wir uns auf solche Ereignisse wahrscheinlich häufiger einstellen?

Ja, leider werden solche Vorfälle durch den menschengemachten Klimawandel wahrscheinlicher. Und deswegen ist das Wichtigste, was wir dagegen tun können, die Erderwärmung zu stoppen. Und das bedeutet, die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich drastisch zu reduzieren.

Welche Gebiete sind denn besonders gefährdet?

Tatsächlich ist es so, dass sich Gebirgsgletscher rund um den Globus zurückziehen – und das in atemberaubendem Tempo. Jedes Jahr verlieren sie weltweit etwa 300 Milliarden Tonnen Eis. Bei einer Expedition auf den Chimborazo vor zwei Jahren habe ich in dieser Hinsicht selbst einen Schockmoment erlebt: Als wir nach einem langen Aufstieg auf über 5.000 Meter Höhe dort ankamen, wo wir eigentlich die Gletscherzunge vermutet hatten, haben wir nur Fels und Geröll vorgefunden. Der Gletscher dort hatte sich in wenigen Jahren um mehr als 150 Höhenmeter zurückgezogen. Das ist ein wirklich dramatischer Rückgang. Viele Bergsteiger kennen das aber auch von hier: Da, wo noch vor wenigen Jahren Eis und Schnee zu finden waren, treffen wir heute häufig auf nackten Fels. Das ist wie ein Mahnmal des menschengemachten Klimawandels.

Für viele Menschen ist die Gefahr ziemlich abstrakt: Was sind denn konkrete Folgen, wenn ein Gletscher schmilzt?

Das Gletscherschmelzen hat Folgen für die Ökologie und den Wasserhaushalt bis hin zur Wirtschaft. Gletscher speichern gigantische Wassermassen – die riesigen Gletscher der Alpen beispielsweise sind die Quellen für die Hauptschlagadern der Flussschifffahrt in Europa, Donau und Rhein. Wenn diese Gletscher schwinden, verlieren sie ihre Fähigkeit, in extrem trockenen Sommern Wasserdefizite zum Teil auszugleichen. Dadurch steigt die Gefahr von extremem Niedrigwasser und es kann sogar passieren, dass die Schifffahrt eingestellt werden muss – mit wirtschaftlichen Folgen, die sich die gesamte Lieferkette entlangziehen.

Zur Person: Ricarda Winkelmann ist Professorin für Klimasystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und an der Universität Potsdam. Sie studierte Mathematik und Physik in Göttingen und Kalifornien, promovierte in Physik und leitet inzwischen mehrere große Projekte zur Erforschung von Klimadynamiken, unter anderem zur Antarktis, zum Meeresspiegelanstieg und zu den sogenannten Kippelementen im Erdsystem. Für ihre Forschung erhielt sie zahlreiche Preise und wurde unter anderem zur Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2018 gekürt.

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