Innerhalb seiner sechsmonatigen Amtszeit hat sich Alexis Tsipras des Öfteren zu einem rasanten Kurswechsel entschieden, der in dem Referendum am 5. Juli seinen Höhepunkt fand. Doch inzwischen scheint der Widerstand des einstigen Rebellen gebrochen.

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Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer glaube, es hätte "eine Alternative zu den frühen Morgenstunden des 13. Juli" gegeben, traue seiner Analyse nicht. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat lange in Brüssel gekämpft - bis es Mitte Juli zu einer Einigung mit den internationalen Geldgebern kam. Jetzt kämpft er in Athen weiter. Die eigene Regierungsmehrheit hat die Reformen, die Voraussetzungen für den Verhandlungsbeginn mit der einstigen Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission, waren, nicht vollständig mitgetragen. Weitere Reformen müssen folgen - und umgesetzt werden. Von Tsipras' ursprünglichem Traum ist nicht mehr viel übrig.

Er wollte sein Land zu neuem Wohlstand führen, die Wirtschaft wieder ankurbeln, das Spardiktat der Kreditoren beenden. Einst trat Tsipras als Hoffnungsträger auf. Bis heute bleibt er populär bei der griechischen Bevölkerung. "Er wird immer noch als jemand gesehen, der den Mut hatte, sich den Geldgebern entgegenzustellen", erklärt Pawel Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dabei musste sich der Linkspolitiker inzwischen vielen Bedingungen der Geldgeber beugen.

"Tsipras musste sich den Zwängen beugen"

Die Privatisierungen, die Tsipras eigentlich rückgängig machen wollte, soll ein von der Regierung unabhängiger Treuhandfonds realisieren und vorantreiben. Das Wohlfahrtspaket, das die Links-Rechts-Regierung unter dem 40 Jahre alten Syrizachef als erste Amtshandlung umsetzte, muss zurückgenommen oder durch Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden. Einen weichen Schuldenschnitt, also etwas durch die Verlängerung der Kreditlaufzeiten und der Verringerung der Zinsen, gibt es, wenn überhaupt, erst, wenn die Reformen Wirkung zeigen. Durch das wochenlange Ringen um eine Einigung ist die Wirtschaft dramatisch abgestürzt, wodurch die geforderten Sparauflagen noch härter geworden sind: Eine komplette Umstrukturierung des Rentensystems, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Sanierung des Bankensystems sind nur einige Aspekte davon.

"Tsipras musste sich den Zwängen beugen", sagt Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik (cep). Immer wieder hatte er vor einem drohenden Grexit gewarnt, wenn die Geldgeber nicht eingreifen. Erst, als diese signalisierten, dass man auf einen solchen Fall vorbereitet sei und den Austritt Griechenlands in Kauf nehmen würde, kam der Wendepunkt: "Mit der Einsicht, dass ein Grexit in Kauf genommen wird, ist er schließlich eingeknickt", meint Kullas.

Nichtsdestotrotz hatte sich Tsipras bereits auf den Ernstfall vorbereitet: Die Vorbereitungen, die Finanzminister Gianis Varoufakis getroffen haben soll, um eine eigene Währung im Falle eines Grexit einführen zu können, erfolgten auf seinen Auftrag hin: "Selbstverständlich gab ich den Befehl, es war ein persönlicher Befehl an Herrn Varoufakis, eine Spezialeinheit zu bilden, um das Land zu verteidigen in einem Notfall."

Doch das Volk wollte im Euro bleiben - dessen war sich Tsipras immer bewusst. Und so vollführte der junge Regierungschef eine 180-Grad-Wende. "Sein Plan, einen Schuldenschnitt zu bekommen und gleichzeitig im Euroraum zu bleiben, ging so nicht auf." Die Bankenschließung hat Tsipras nach Meinung des Politikwissenschaftlers letzten Endes zum Umschwenken gebracht. "Seitdem muss man sagen, dass Tsipras die Politik, die in den Jahren zuvor gemacht wurde, mehr oder minder unterstützt." Denn frisches Geld, damit die Banken wieder öffnen konnten, gab es nur im Gegenzug zu neuen Reformen. Für ein drittes Hilfspaket, das derzeit verhandelt wird, muss Tsipras ganze Pakete durch sein Parlament bringen. "Dafür musste er seine Prinzipien über Bord werfen."

Noch nicht erfüllte Wahlversprechen

Gleichzeitig hat er ein Versprechen, das er seinem Volk gegeben hatte, bis heute nicht erfüllt. Er wollte den Klientelismus aufbrechen, die Reichen des Landes fairer besteuern. Letzteres ist erst auf Druck der Geldgeber hin zumindest zum Teil geschehen, in dem eine Luxussteuer eingeführt wurde. Die Steuersätze als solche wurden für Superreiche aber nicht angehoben.

In den kommenden Wochen und Monaten muss die Athener Regierung noch weitere Reformen umsetzen. Doch das geht nicht ohne die Unterstützung aus den eigenen Reihen - zumindest nicht auf Dauer. Bei beiden Reformpaketen, die zur Voraussetzung für den Verhandlungsbeginn um ein drittes Hilfspaket gemacht wurden, haben Syriza-Mitglieder Tsipras die Gefolgschaft verweigert. Eine Kabinettsumbildung war die Folge, mit einigen Parlamentariern führte Tsipras Einzelgespräche. "Nur auf Oppositionsstimmen zu hoffen, ist kein Zustand. Da fragt man sich, wer an der Regierung ist", erklärt Kullas die neue harte Linie innerhalb der Partei. Der Regierungschef muss sicherstellen, dass seine Partei ihm folgt - auch deshalb schlug er ein parteiinternes Referendum vor. Man einigte sich auf einen Sonderparteitag, bei dem die Abgeordneten "auf Linie" gebracht werden sollen. "Das zeigt, dass Tsipras die Zügel anzieht", folgert Kullas.

Gerade einmal seit sechs Monaten im Amt scheint der einstige Rebell, der die Sparpolitik seiner Vorgänger immer wieder scharf verurteilte, geläutert. Auch deshalb drückt er sich inzwischen deutlich gemäßigter aus. "Er weiß, es wird genau beobachtet, was er sagt", so Kullas. Dass Tsipras zwar immer noch wiederholt, er sei gegen das Reformprogramm, ist wohl der letzte Funke seines Widerstands. Denn der Syrizachef sagt auch, er wird das Programm trotzdem umsetzen. Eine Alternative gibt es nicht.

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