• Eine Turbokapitalismus-Show während einer Turbo-Inflation, das passt eigentlich nicht zusammen.
  • Doch auch in Folge zwei von "Der Preis ist heiß" gerät das Publikum bei all dem Werbe-Plunder in Ekstase.
  • Hauptsache es gibt am Ende ein Auto.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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"Die Hände zum Himmel, kommt lasst uns fröhlich sein." Irgendwie ist es dieser trunkene Oktoberfest-Mitgröl-Hit, der sofort präsent ist, wenn man die ersten Minuten der Neuauflage von "Der Preis ist heiß" (RTL und RTL+) hinter sich gebracht hat. Überall Menschen, die die Arme nach oben reißen, als gäbe es dort ein erlösendes Deodorant zu ergattern, das die ekstatische Stimmung im Studio auf ein geruchsmäßig erträgliches Niveau abkühlen könnte. Erlösung bringt nur ein Satz: "Marion, Sie sind dabei!" Jeder, der mit dem frühen deutschen Privatfernsehen aufgewachsen ist, hat ihn schon tausendmal gehört.

Geprägt hat ihn der Sidekick von Harry Wijnvoord in "Der Preis ist heiß": Walter Freiwald. Er ist bei der Neuauflage nicht dabei. Er verstarb vor drei Jahren an Krebs. Seine Lebensrolle als Marktschreier übernimmt jetzt der nicht minder aufgeregte Thorsten Schorn. Mit Erfolg: Die erste Ausgabe von "Der Preis ist heiß" erzielte einen Marktanteil von 17,1 Prozent unter den für RTL einzig zählenden Zuschauern von 14 bis 49 Jahre. Die meisten von ihnen dürften zu jung sein, um das Original zwischen 1989 und 1997 gesehen zu haben.

Die Neuauflage von "Der Preis ist heiß" scheiterte

Warum "Der Preis ist heiß" wieder im Fernsehen funktioniert, weiß keiner so genau. 2010 startete Moderator Harry Wijnvoord eine Petition, um die Sendung zurückzubringen. Sie kam nicht zurück. 2017 erbarmte sich RTL und drehte neue Folgen - ohne Harry Wijnvoord, mit Wolfram Kons als Moderator. An seiner Seite schon damals Thorsten Schorn. Die Neuauflage floppte ebenso wie die Versuche "Ruck Zuck", "Das Glücksrad", "Das Familienduell" und "Jeopardy!" zu reanimieren.

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie und einem Krieg in Europa scheint alles anders. Der Konsens in Krisenzeiten ist offenbar: "Früher war alles besser". Die Antwort des Fernsehens auf diese Stimmung: das Beste aus den Achtzigern, Neunzigern und bloß nichts von heute. "Wetten, dass …?" ist zurück, ebenso wie "Sieben Tage, sieben Köpfe", "Geh aufs Ganze" und unzählige andere Formate. Sogar "Richterin Barbara Salesch" will RTL neu auflegen. Haben wir nicht genug gelitten?

"Harry! Harry! Harry!"

Offenbar nicht. Weshalb sich die zweite Folge der ewigen Dauerwerbesendung "Der Preis ist heiß" kaum von der ersten unterscheidet. Und erst recht nicht von den 1873 Ausgaben des Originals. Was daran liegt, dass Harry Wijnvoord dieselben Sätze aufträgt wie 1989 und Thorsten Schorn sich an die Phrasen seines Vorgängers Walter Freiwald hält. Die Reaktion des Publikums: blanke Hysterie. Schon beim Einlauf von Wijnvoord gibt es Standing Ovations und die Zuschauer skandieren: "Harry! Harry! Harry!"

Dabei bleibt es in den folgenden zwei Stunden. Die erste Kandidatin Ingrid kennt Valium nur aus dem Wörterbuch und jauchzt und brüllt bei der Einfahrt einer Vespa, als habe ihr gerade jemand das Heilmittel gegen Krebs verraten. Bis sie erfährt, dass sie noch gar nicht gewonnen hat. Kein Problem, zu den unausgesprochenen Regeln der Show gehört: Selbst wer den größten Plunder gewinnt, grinst und hopst munter weiter. Ingrid strahlt und geht nicht mit einer Vespa, sondern einem Basketballkorb nach Hause.

Hauptsache ein Auto

So perfekt die Haltung zu wahren, gelingt nicht allen. Michael steht vor einer Piaggio Ape, dem laut knatternden italienischen Dreiradklassiker, und verzieht das Gesicht. Dann rettet er sich und würgt ein: "Feine Sache", heraus. Anderen gelingt es besser. Als einer der Preise ins Studio fährt, wogt bewunderndes Raunen durch den Saal. Es ist - ein Malset von Bob Ross. Dem TV-Künstler aus dem Spätprogramm, dessen Haartracht heute wahrscheinlich als kulturelle Aneignung verfemt wäre. Das gibt es nur bei "Der Preis ist heiß".

Wahre Ektase kommt bei den Kandidaten damals wie heute nur auf, wenn es ein Auto zu gewinnen gibt. Junge Deutsche mögen sich laut Umfragen immer weniger an einen eigenen Pkw binden, bei "Der Preis ist heiß" ist die Welt noch in Ordnung. Ein Auto nach dem nächsten rollt ins Studio. Es ist, als wolle "Der Preis ist heiß" im Alleingang die Autoindustrie sanieren. Das höchste der Gefühle: ein SUV. Blinkend steht es da und Kandidatin Margot läuft knallrot an, wedelt sich Luft zu. In die "Verflixte 7" muss sie, natürlich, den Preis schätzen. Sie liegt daneben - der Skoda blinkt einsam weiter.

"Nicht überbieten!"

Zu ihrem Glück gibt es in der Sendung mehr als genug andere Fahrzeuge. Bei "Das Rad!!!" (nur echt mit möglichst vielen ausgesprochenen Ausrufezeichen!!!) gewinnt Margot einen Kleinwagen. Der Rest hat nicht so viel Glück. Monty erhält demnächst von der Spedition eine Jukebox, Jessy einen Whirlpool. In der Finalrunde gehen alle leer aus. Am nächsten dran ist Kandidatin Marina. Doch wie lautet das Mantra der Show: "Nicht überbieten!" Marina verschätzt sich um 18 Euro.

Trösten kann sie sich mit ihrem Elektroauto aus der Vorrunde. Ein kleines Zugeständnis an die Moderne. Mit Freudentränen sitzt sie hinter dem Steuer. Sie hat es geschafft! Ein Auto! Der Jackpot bei "Der Preis ist heiß"! Offensichtlich hat ihr niemand gesagt, dass es sich beim Opel Rocks-e gar nicht um ein Auto, sondern ein Leichtkraftfahrzeug handelt. Eine Art vierrädriges E-Moped. Höchstgeschwindigkeit: 45 km/h. Aber das ist in diesem Moment egal. Hauptsache, der rollende Würfel ist "nigelnagelneu".

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