Abgesagte Konzerte und Theatervorstellungen, verschobene Tourneen und Filmpremieren, geschlossene Galerien und Museen: Seit Beginn der Corona-Pandemie ist der Kulturbetrieb im Dauer-Lockdown. Wenigstens hatten Künstler*Innen und Kreative in diesem Jahr genug Zeit, um produktiv zu sein. Oder etwa nicht?

Anja Delastik
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Der Kulturbetrieb liegt seit Monaten auf Eis: Naheliegend, dass Kunstschaffende und Berufskreative die Zwangspause nutzen und spätestens nach dem Ende der Corona-Pandemie ein wahres Füllhorn an neuer Kunst, Musik, Ideen präsentieren würden.

Anstatt Konzerte zu spielen, Ausstellungen oder Auftritte vorzubereiten, könnten sie neue Stücke schreiben, Bilder malen, Songs komponieren... Pustekuchen!

Social Distancing als Ideen-Booster?

Social Distancing als Ideen-Booster: Wer sowas denkt, hat keine Ahnung, wie Kreativität funktioniert. Auf Knopfdruck, unter diesen Umständen – ziemlich schwierig. Gewiss gibt es Ausnahmen, die die Regel bestätigen; Künstler*Innen, denen es tatsächlich gelingt, die Einsamkeit, die Ungewissheit, die Nöte kreativ zu verarbeiten. Das ist bemerkenswert, gemeinhin aber gilt: Kreativität braucht Freiheit.

Inspiration, neue Impulse, Erlebnisse, Begegnungen, Gespräche, Erfahrungen, Austausch, Zufälle, Spontaneität, Abenteuer ­– um gute Ideen zu haben und produktiv zu sein, müssen Künstler*Innen raus aus ihrer Komfortzone. Doch die ist momentan zugesperrt und so eng wie nie zuvor: alleine, zuhause.

Negativ testen, positiv denken

Kunstschaffenden geht's da wie den meisten Menschen: Angesichts steigender Infektionszahlen, Stillstand des öffentlichen (und kulturellen) Lebens, zunehmender Existenzängste und Perspektivlosigkeit, sozialer und mentaler Distanz, ist "negativ testen, positiv denken" leichter gesagt als getan.

Und wer sich innerlich leer fühlt, muss schon sehr tief in sich hineinblicken, um dort etwas Inspirierendes oder Motivierendes zu finden. Vor allem für schöpferisch begabte Menschen, die vieles nicht nur anders, sondern intensiver wahrnehmen, kann das auf Dauer ziemlich deprimierend sein.

Kreatives Koma und kultureller Stillstand

Not macht erfinderisch: Natürlich kann man argumentieren, dass in schlechten Zeiten oft die bemerkenswerteste Kunst entsteht. Diesmal ist jedoch vieles anders. Die aktuelle Not ist kaum greifbar, fühlt sich nicht akut, sondern diffus und dumpf an. Dennoch ist sie allgegenwärtig, allumfassend und bedrohlich wie eine dunkle Wolke.

Und während die Pandemie in einigen Bereichen des Lebens Transformationen und Innovationen (Digitalisierung, mobiles Arbeiten, Impfstoff-Forschung) zwangsbeschleunigt, wirkt sie lähmend auf vieles, was keinem messbaren oder unmittelbaren Sinn dient. Kreatives Koma und kultureller Stillstand: Sowohl für einzelne Personen, als auch für die Branche ist die Pandemie ein Albtraum.

Ohne Kunst ist alles nichts

Dabei braucht es Kunst gerade mehr denn je. Sie hilft Menschen, sich weiterzuentwickeln und zu verorten, sie schafft neue Perspektiven, regt den Dialog an, bringt Abwechslung und Farbe ins Leben. Sie kann beflügeln, Gefühle wecken, Sinn stiften. "Earth without art is just eh."

Oder anders gesagt: Ohne Kunst ist alles nichts. Das anzuerkennen, kann ein erster Schritt sein – um all jenen, deren Lebensinhalt die Kunst ist oder deren Existenz am Kulturbetrieb hängt, etwas Hoffnung zu geben.

Wer die Weihnachtseinkäufe noch nicht beendet hat, kann gerne weiter gehen: Theater-Abos verschenken, Merchandise der Lieblingsband (am besten direkt) bestellen, sich Kunst zu Weihnachten wünschen (gibt’s für jeden noch so kleinen Geldbeutel), Tickets für abgesagte Konzerte nicht erstatten, sondern in Gutscheine umwandeln lassen...

Wichtiger ist aber vor allem eines, selbst wenn wir erschöpft und mürbe sind: Gemeinsam weiterhin alles zu tun, damit diese Krise bald überstanden ist. Für die Kunst – und für uns alle.

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