Von Biedermeiern und Brandstiftern: Der "Tatort" "Land in dieser Zeit" ist neben einem Krimi auch ein wilder Ritt durch ein gefühltes Deutschlandbild des Jahres 2016. Nur verständlich, dass bei einem solchen Galopp auch ein paar Fragen aus der Satteltasche fallen. Der Faktencheck zum Frankfurt-"Tatort".

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Der gestrige "Tatort: Land in dieser Zeit" ist zunächst einmal ein klassischer Krimi: Gegen einen Frisiersalon in Frankfurt wird ein Brandanschlag verübt. Eine Mitarbeiterin, die zufällig noch im Laden ist, fällt den Flammen zum Opfer.

Die Kommissare Paul Brix und Anna Janneke nehmen die Ermittlungen auf. Damit hatte der "Tatort" erst einmal alles, was so üblicherweise zu einem echten Krimi gehört: eine Leiche, einen Tatort, Kommissare, Verdächtige und die Suche nach dem Mörder.

Auf einer zweiten Ebene, der Titel "Land in dieser Zeit" sagt es schon, versucht der gestrige "Tatort" ein Kurzporträt Deutschlands des Jahres 2016 zu sein. Eine Art subjektive Momentaufnahme dessen, was gerade alles Deutschland ausmacht.

Das kann natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit haben, aber für die Autoren zählen dazu: deutsches Liedgut, Geflohene, hessisches Lokalkolorit, die Neue Rechte, Chormusik, Drogendealer, Molotow-Cocktails, Kakao aus Offenbach, defekte Autos und ein Gedichte rezitierender Chef-Ermittler.

Was sind das für Gedichte, die der Chef ständig vorträgt?

"Sie sind ein Clown." Mit diesen Worten stellt sich Fosco Cariddi (Bruno Cathomas) dem verdutzten Kommissar Paul Brix vor. Cariddi ist der neue Chef der beiden Frankfurter Ermittler und zeigt auch im weiteren Verlauf des Falls die eine oder andere Eigentümlichkeit. Besonders auffällig ist dabei sein Faible für Gedichte. "Eile mit feile, eile mit feile, eile mit feile durch den fald", entfährt es Cariddi mitten im Gespräch mit den Kommissaren. Was war denn da los?

Offenbar ist der Chef-Ermittler großer Fan des Wiener Dichters und Schriftstellers Ernst Jandl. Der Österreicher wurde vor allem durch seine experimentellen Gedichte bekannt, wie sie auch im gestrigen "Tatort" an einigen Stellen von Cariddi wiedergegeben wurden. Obige Zeilen stammen zum Beispiel aus Jandls "etude in f". Weitere bekannte Gedichte von Jandl sind "ottos mops" oder "schtzgramm".

Gibt es "Die Kongruenten" wirklich?

Juliane Kronfels (Anna Brüggemann) und Margaux Brettner (Odine Johne) sehen adrett aus, singen gemeinsam im Chor deutsche Volkslieder und kümmern sich scheinbar selbstlos um hilfsbedürftige Jugendliche.

Doch hinter der biederen Oberfläche stehen die beiden jungen Frauen einer rechtsextremen Bewegung nahe, die im "Tatort" "Die Kongruenten" genannt wird, was in etwa "Die Übereinstimmenden" heißt. Aber gibt es eine solche Gruppe auch in Wirklichkeit?

Jein. Eine Vereinigung namens "Die Kongruenten" gibt es nicht. Aber die Drehbuchautoren spielen damit auf eine Gruppe an, die seit Anfang des neuen Jahrtausends als Identitäre Bewegung oder Die Identitären auftritt und ähnliche Parolen vertritt.

So sind beide Vereinigungen, die fiktive wie die reale, Anhänger eines sogenannten "Ethnopluralismus'". Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass man zwar angeblich Angehörige anderer Ethnien akzeptiert, diese aber bitteschön dort bleiben sollen, wo sie nach Ansicht der Gruppe vermeintlich hingehören.

Einen ethnisch heterogenen Staat möchte man also ebenso wenig wie einen "westlich-liberalen Universalismus mit seiner Globalisierung", wie es auf den Webseiten der Identitären Bewegung Deutschlands heißt.

Die Vorzüge der Globalisierung und die Ideen, Werke und Arbeitskraft von Menschen anderer Völker und Ethnien nimmt man aber trotzdem in Anspruch und sei es nur das Internet.

Was ist das für ein Gedicht an der Wand von Juliane Kronfels?

In der Wohnung von Juliane Kronfels, die bei den "Kongruenten" aktiv ist, prangt ein Schriftzug an der Wand: "Die Stunde kommt, da man dich braucht. Dann sei du ganz bereit und in das Feuer, das verraucht, wirf dich als letztes Scheit." "Bisschen pathetisch", meint Kommissarin Janneke dazu und Juliane Kronfels antwortet "Pathetisch? Ich finde es leidenschaftlich und ohne Leidenschaft verändert man ja nichts."

Tatsächlich handelt es sich bei diesen Worten um die dritte Strophe des Gedichts "Schließ Aug' und Ohr" des deutschen Germanisten und Schriftstellers Friedrich Gundolf.

Gundolf, Sohn eines jüdischen Vaters, war Germanistikprofessor in Heidelberg und einer der bekanntesten Literaturwissenschaftler der Weimarer Republik. "Schließ Aug und Ohr" ist auch als "Das Lied der Weißen Rose" bekannt und soll eines der Lieblingslieder der Widerstandskämpferin Sophie Scholl gewesen sein.

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