Zeitreise im Münchner "Tatort": Die Kommissare sollen einen "Mord unter Misteln" im weihnachtlichen England 1922 klären. Nette Idee, mittelmäßige Ausführung.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

War es Lady Bantam (Sunnyi Melles) im Kaminzimmer mit der Teekanne? Doctor Mallard (Alexander Hörbe) mit der Giftspritze? Die verführerische Sängerin Kitty (Katharina Schlothauer) in der Bibliothek? Oder etwa der prüde Reverend Edgar (Joshua Jaco Seelenbinder) mit dem Zierkissen? Fragen, die man sich eher selten stellt bei einem "Tatort".

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Aber "Mord unter Misteln" ist kein gewöhnlicher Fall aus München. Dieser Krimi spielt "Cluedo" mit dem Publikum und mit den Kommissaren - den Brettspielklassiker, bei dem der Mord in einem englischen Herrenhaus aufgeklärt werden muss. Denn Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) wurden von Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) zu einem Krimidinner unter Kollegen eingeladen: Jeder hat ein Rollenheft vor sich, man sitzt stilecht kostümiert in festlicher Runde am fein gedeckten Tisch in Kallis Wohnung und soll einen Mord in einem englischen Herrenhaus Weihnachten 1922 aufklären.

Die beiden Kommissare haben natürlich gar keine Lust auf solche Spielchen, zumal zwischen ihnen gerade dicke Luft herrscht; aber zu oft haben sie Kallis Einladungen schon ausgeschlagen. Seufzend also setzen sie sich zu der erwartungsfrohen Runde, lassen sich widerwillig mit Bärtchen und Bowler-Hut verkleiden und als Chief Inspector Francis Lightmyer und Constable Ivor Partridge ("Warum bist du Inspector und ich nur Constable?") nach Beckford Hall versetzen.

Und mit ihnen wird auch das Fernsehpublikum aus dem nasskalten München der Jetztzeit in Lady Bantams Kaminzimmer transportiert, wo der überwiegende Teil der Handlung spielen wird. Denn dort ist gerade der Butler (Christoph Mory) auf dem kostbaren Perserteppich zusammengebrochen. Und als wäre der verschüttete Tee nicht schon skandalös genug, lässt Dienstmädchen Heather (Marie Rathscheck) vor Schreck auch noch Lady Bantams Wedgwood-Geschirr voller Pfefferkuchen fallen. Die passende Perserkatze lugt verschreckt unterm Fransensofa hervor. "Hier sieht es ja aus wie bei Rosamunde Pilcher!", fällt Ivor Partridge kurz aus der Rolle.

Nette Idee, mittelmäßige Ausführung

Es dürfte keinen "Tatort" geben, der besser ins öffentlich-rechtliche Weihnachtsprogramm passt: nette Idee, mittelmäßige Ausführung. Es beginnt steif und bemüht witzig, was sich noch mit der schlechten Laune der Kommissare erklären ließe – aber auch im weiteren Verlauf der Geschichte können sich weder das Drehbuch von Robert Löhr noch die Regie von Jobst Christian Oetzmann so richtig locker machen.

Natürlich erwartet niemand historische Akkuratesse von einem "Tatort", der eine heitere Hommage an Agatha-Christie-Krimis und Detektivspiele und das britische Landadels-Verbrechergenre im Allgemeinen sein will. Und der es natürlich schwer hat angesichts der deutschen Begeisterung für all things british, die nicht erst mit "Downtown Abbey" begonnen hat und die auch nach der 199. Wiederholung von "Der kleine Lord" oder "Dinner for One" nicht vorbei sein dürfte.

"Mord unter Misteln" schlingert zwischen Parodie, Krimi und Weihnachtsfeier

Eigentlich ist alles da: die liebevolle Ausstattung, die heitere Filmmusik, die das Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks eingespielt hat, die exquisiten Requisiten. Vom zerbrochenen Teeservice über die schwarze Arzttasche bis hin zur holzgetäfelten Bibliothek kommt so ziemlich alles für die richtige Murder-Mystery-Stimmung zum Einsatz.

Was fehlt, ist ein besseres Timing, ein feinsinnigerer Humor – und gutes Personal, das sich bekanntlich nicht nur in Adelshäusern schwer finden lässt, das aber gerade für diese Sorte Krimi besonders wichtig ist, in denen sich die Aufmerksamkeit auf eine überschaubare Zahl Verdächtiger an einem abgegrenzten Ort konzentriert.

Sunnyi Melles hat es natürlich leicht, die exaltierte und leicht exzentrische Lady Bantam ist eine typische Sunnyi-Melles-Rolle. Aber beim Rest weiß man nie so recht, ob hier gute Schauspieler schauspielernde Laien spielen oder ob die Theatralik eher unfreiwillig ist.

Und die grantelnden Kommissare Batic und Leitmayr wirken so fehl am Platz, wie sie nicht müde werden zu betonen – Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl sind mit ihren Doppelrollen einfach überfordert. Eine Überraschung ist nur Ferdinand Hofer: Ihm nimmt man sowohl den eifrigen Kalli als auch Charlie, Lady Bantams albernen Snob von einem Sohn, mit Vergnügen ab.

Die verkrampfte, auch für eine Parodie zu verworrene Auflösung kann allerdings auch er nicht retten. Ein betulicher Schmunzelkrimi ist "Mord unter Misteln", das Zeug zum bayerisch-britischen Weihnachtsklassiker hat er nicht.

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