Der Sieg von Thomas Dreßen auf der Streif ist eine Sensation, die DSV-Hoffnung hat damit endgültig den Sprung in die Weltspitze geschafft. Eine Tragödie hat sein Leben überschattet - ihn aber vielleicht auch dorthin gebracht, wo er heute ist.

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Beat Feuz hatte diese Vorahnung. Es war beim Weltcupauftakt in Beaver Creek, als der Schweizer am Vorabend der Abfahrt mit seinen Trainern und Betreuern zusammen stand und ein wenig plauderte.

Irgendwann ging es während der Debatten auch um Thomas Dreßen. Der werde es schon bald mal unter die ersten drei in einer Weltcup-Abfahrt schaffen, prophezeite Feuz. Der Weltmeister wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, wie Recht er behalten sollte.

Keine 24 Stunden später raste Dreßen in Beaver Crek auf Rang drei, die erste Podestplatzierung seiner Karriere. Vor einer Woche in Wengen landete er auf der berüchtigten Lauberhornabfahrt, die die meisten Experten als schwierigste Strecke überhaupt im Weltcup bezeichnen, auf Rang fünf.

"Die wollen mich verarschen"

Und jetzt, an diesem Samstag, gewann Dreßen sensationell das wichtigste Skirennen der Welt. Seit fast 40 Jahren hat kein Deutscher mehr die Streif gewonnen, der letzte war Sepp Ferstl im Jahr 1979.

Nach einem echten Höllenritt rauschte Dreßen mit Startnummer 19 ganz nach vorne und siegte am Ende mit zwei Zehnteln vor Beat Feuz.

Die Nummer 19, die auf Grund der schwierigen Sichtverhältnisse ein klarer Vorteil im Vergleich zu den ersten Startern war, erhielt Dreßen nur, weil sich Hannes Reichelt für die Startnummer eins entschied und für Dreßen damit nur noch die 19 übrig blieb. Ein wenig Glück gehört eben auch dazu.

Mit Glück hat der überraschende Aufstieg von Dreßen ansonsten aber weniger zu tun. Der Mittenwalder gilt als große Hoffnung des Deutschen Ski-Verbands. Eine Annäherung an die Weltspitze war für die kommenden Jahre angepeilt. Ein Sieg in Kitzbühel war bei allem berechtigtem Optimismus nicht eingepreist.

"Ich hab es gar nicht glauben können. Ich habe gemeint, die wollen mich verarschen", beschrieb Dreßen die Momente unmittelbar nach seinem Ritt. "Es war immer von klein auf mein Traum, ins Ziel zu fahren und in Führung zu liegen hier in Kitzbühel. Es ist einfach nur geil, es ist der Wahnsinn."

Und es ist nach Ferstl der erst zweite Sieg eines Deutschen auf der Streif. Im Schatten der Techniker Felix Neureuther und Fritz Dopfer fristen die Speedfahrer beim DSV eher ein kärgliches Dasein. Und jetzt dringt ein 24-Jähriger in die Phalanx der Besten ein.

Tragödie um den Vater

Thomas' Vater Dirk wäre jetzt wohl der stolzeste Vater auf der Welt. Es war immer der ganz große Wunsch von Dreßen senior, dass es der Filius irgendwann einmal in den Weltcup schafft.

Die Geschichte der Dreßens ist eine besondere, weil sie so tragisch und so prägend für Thomas ist. Es war ein warmer Spätsommertag im September vor 13 Jahren, Thomas und sein kleiner Bruder Michael tummelten sich auf dem Schulhof, als in Sölden ein schrecklicher Unfall passierte.

Ein Hubschrauber verlor einen fast eine Tonne schweren Betonkübel. Eine Gondel stürzte ab, aus anderen Kabinen wurden Touristen, Bergwanderer, Skifahrer geschleudert. Neun Menschen starben, darunter auch Dirk Dreßen, damals 43 Jahre jung.

Thomas Dreßen nennt den Unfall oft "die Sache". Er hat damit umzugehen gelernt und vielleicht - so vermutet er - haben dieser frühe Verlust des Vaters und die neu eingetretenen Lebensumstände ihn auch dorthin gebracht, wo er heute ist.

Er wird jetzt noch mehr Interviews geben, ein Sieg in Kitz macht einen quasi über Nacht zu einem Star. Dann wird er wieder mit seinem kauzigen Dialekt drauflos plappern. Würde er plötzlich Hochdeutsch sprechen, würde er sich verstellen, sagt er.

Also spricht er weiter so, wie er es gelernt hat während der neun Jahre, die er im Internat in Neustift in Österreich verbracht hat.

Ein bewussteres Leben

Seit dem Tod seines Vaters hat er gelernt, das Leben anders zu betrachten als viele andere in seinem Alter oder die Konkurrenz im Weltcup.

Gerade die Abfahrer wissen um die Gefahren ihres Berufs. Als der Franzose David Poisson vor der Saison bei einer Übungsfahrt in Kanada in den Tod raste, trainierten Dreßen und das deutsche Team auf derselben Strecke.

Eine Tragödie wie diese schärft noch einmal die Sinne und ordnet die Relationen, die Dreßen schon im Kindes- und Jugendalter anders definierte als viele andere.

Sein Vater ist immer mit dabei, Dreßen hat ein Bild in seinem Geldbeutel. Und von oben, vom Himmel, schaue der Papa ohnehin immer zu.

Manchmal fragt er sich, was sein Vater wohl dazu sagen würde, dass er jetzt ein echter Skirennfahrer ist. "Ich hoffe, dass ihm das gefallen würde", sagte Dreßen einmal. Jetzt ist der einst kleine Thomas ein Streif-Gewinner und sein Vater würde vor Stolz vermutlich beinahe platzen.

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