Die Tour de France lebt wie kaum ein zweites Sport-Großereignis von der Nähe zwischen Fahrern und Fans. Für die Radprofis wird das aber immer wieder zur unberechenbaren Gefahr.

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Die Faszination der Tour de France besteht zu einem großen Teil aus der ungewöhnlichen Nähe zwischen Fahrern und Fans. Am Wochenende wurden Fluch und Segen aber deutlich sichtbar.

Auf der einen Seite stehen atemberaubende TV-Bilder und eine unvergleichliche Atmosphäre auch für die Fahrer - der abgeschlagene Franzose Benoit Cosnefroy stieg am Samstag gar vom Rad, ließ sich ein Getränk anreichen und tanzte ausgelassen mit seinem Fanclub über den Asphalt. Auf der anderen Seite kommt es zur Beeinflussung des Wettkampfs und auch immer wieder zu gefährlichen Situationen - besonders am vergangenen Wochenende.

Zuschauer nach Tour-Massensturz identifiziert

Am Sonntag bekam das unter anderem Vingegaards Team Jumbo-Visma zu spüren: Edelhelfer Sepp Kuss blieb bei hohem Tempo am Arm eines unachtsamen Zuschauers hängen. Die Person war auf der 15. Etappe etwa 128 Kilometer vor dem Ziel zu weit auf der Straße und streckte ihren Arm heraus. Offenbar hielt der Zuschauer ein Smartphone in der Hand.

Der an der Spitze des Feldes fahrende US-Amerikaner Sepp Kuss berührte den Arm, stürzte und räumte dabei auch seinen Teamkollegen Nathan van Hooydonck ab. Dahinter kamen zahlreiche weitere Fahrer bei dem Massensturz zu Fall. In den Bergen ist Kuss der wichtigste Helfer von Titelverteidiger Jonas Vingegaard.

Wie die Zeitung "Le Parisien" am Sonntag berichtete, leitete die Gendarmerie eine Untersuchung ein - der Zuschauer wurde identifiziert.

Nicht der erste Vorfall dieser Art

Hier wird der Niederländer Poels Wout von Fans angefeuert. Vielerorts stehen sie direkt in der Strecke. © IMAGO/Panoramic International/Nico Vereecken

Bei der Frankreich-Rundfahrt kommt es immer wieder zu derartigen Zwischenfällen. Der Sprinter Jordi Meeus vom deutschen Rad-Team Bora-hansgrohe hat am Mittwoch wegen eines ähnlichen Vorfalls beinahe einen Sturz auf der elften Etappe erlebt. Zuvor hatte der belgische Radprofi Steff Cras einen Zuschauer für sein Aus bei dieser Tour verantwortlich gemacht, nachdem er auf der achten Etappe gestürzt war.

Auch am Freitag hatten die Fans den Fahrern Kopfzerbrechen bereitet. Nachdem die Profis das Rennen nach der Bergankunft auf dem Col du Grand Colombier offiziell beendet hatten, mussten sie anschließend den gleichen Weg wieder hinunterrollen, um zu ihren Teambussen zu gelangen - im allgemeinen Chaos zwischen aufgepeitschten Anhängern und Autos.

Georg Zimmermann fand dies den "unangenehmsten Teil des Tages", Wout van Aert erlebte das Hinabrollen gar als "tatsächlich lebensgefährlich". "Das muss man sich mal vorstellen", sagte Zimmermann - "bei uns ist es normal, dass wir durch das Chaos 18 Kilometer runter müssen an den ziemlich betrunkenen Fans vorbei." Er wolle, betonte Zimmermann, den Radsport-Enthusiasten gar keinen Vorwurf machen: "Aber das ist schon unangenehm".

Pogacar von Begleitmotorrad ausgebremst

Nicht nur mit Zuschauern geht es auf der Tour de France oft eng zu. Dem sonst stets gut gelaunten Tadej Pogacar versperrte am Samstag ein Begleitmotorrad den Weg. "Ich habe eine Patrone verschwendet. Das ist ein schon ein bisschen ärgerlich", sagte der Slowene im Ziel von Morzine.

Was Pogacar sauer aufstieß: Im Sekundenkrimi ums Gelbe Trikot der Tour de France hatte er seinen Rivalen Jonas Vingegaard ein letztes Mal entscheidend attackieren wollen - und wurde unsanft ausgebremst.

Ein Begleitmotorrad versperrte dem 24-Jährigen den Weg. In dem dichten Fan-Spalier auf der engen Straße des Col de la Joux Plane, dem letzten Anstieg am Samstag, konnte der im Nachgang sanktionierte Motorrad-Pilot nicht schnell genug Platz machen - Pogacar musste seinen Antritt abbrechen, um eine Kollision zu vermeiden. "Es ist, wie es ist", sagte Pogacar im Anschluss.

Veranstalter ASO muss Lösungen finden

Gänzlich verhindern lassen sich derartige Situationen bei teilweise über 200 km Strecke pro Tag sicher nicht. Bei sogenannten Evakuierungsrouten wie der Abfahrt am Freitag aber gäbe es Raum für Verbesserungen. Eine Option wäre es gewesen, die Fahrer auf einer Alternativroute ins Tal zu leiten, der Grand Colombier verfügt immerhin über vier verschiedene Wege zum Gipfel.

Und auch die unschöne Einflussnahme auf den Kampf um Gelb am Samstag hätte sich vielleicht verhindern lassen, hätte man einen größeren Teil der Strecke mit Gittern abgesperrt. Es liegt nun in der Verantwortung des Veranstalters ASO, in Zukunft Lösungen zu finden. Wie am Wochenende auf die Vernunft teils stark alkoholisierter Fans zu setzen, sollte wohl eher nicht das Mittel der Wahl sein. (sid/dpa/pak/mak)

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