• Christian Eriksen erleidet bei der EM 2021 einen Herzstillstand.
  • Ein Kardiologe erklärt, wie es dazu kommen konnte und warum der Däne "Riesenglück" hatte.
  • Eine Fortsetzung von Eriksens Karriere sieht der Experte als äußerst unwahrscheinlich an.
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Die dramatischen Bilder von Dänemarks Superstar Christian Eriksen wird wohl so schnell niemand vergessen.

Der 29 Jahre alte Fußballprofi brach beim EM-Auftaktspiel seiner Nationalmannschaft gegen Finnland auf dem Rasen zusammen, erlitt einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Minutenlang kämpften die medizinischen Betreuer um Eriksens Leben, während Spieler, Trainer, Betreuer und Fans im Kopenhagener Parken Stadion sichtlich unter Schock standen.

Die Mediziner konnten Eriksen reanimieren und brachten ihn ins nahegelegene "Rigshospitalet" für weitere Untersuchungen. Kaum zwei Tage später meldete sich Eriksen in den sozialen Medien mit einem Foto aus dem Krankenbett, das ihn mit nach oben gerecktem Daumen zeigt. Ist also alles weniger schlimm, als es im ersten Moment befürchtet worden war?

Kardiologe über Eriksen: "Er hat Riesenglück gehabt"

Mitnichten, wie Martin Halle, Kardiologe und Sportmediziner an der Technischen Universität München, im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. "Da ist alles perfekt gelaufen. Wäre es beispielsweise in seinem Wohnzimmer oder im Mannschaftsbus passiert, wären die Helfer nicht so schnell dagewesen. Er hat Riesenglück gehabt", sagt Halle.

Doch wie konnte es bei einem austrainierten Profisportler zu einem Herzstillstand kommen? "Eriksen ist bereits Ende 20 und wird daher schon über viele Jahre untersucht worden sein. Ich denke, dass keine Auffälligkeiten beobachtet wurden", sagt Halle.

Als Ursache für den Kollaps hat Halle eine These: "Ich vermute, dass bei ihm eine Herzmuskelentzündung vorlag, die entweder akut oder bereits zurückliegend in der Vergangenheit aufgetreten ist, aber unbemerkt blieb."

So kam es wohl zu Eriksens Herzstillstand

Mutmaßlich habe in Eriksens Fall die Elektrik des Herzens nicht so gut funktioniert. "Ein normales Herz kann man bildlich mit einem Filetmuskelstück vergleichen, während ein betroffenes Herz eher, übertrieben dargestellt, einer Frikadelle gleicht, also die Fasern ungeordnet verlaufen", schildert Halle mit einem Beispiel die Problematik.

In der Folge komme es zur "kreisenden elektrischen Erregung", die beim Herzmuskel dafür sorge, dass er unkoordiniert pumpt "und fördert deshalb kein Blut in den Kreislauf und vor allem zum Gehirn. Das ist wohl bei Eriksen passiert", erklärt der Herzspezialist.

Inzwischen wurde bekannt, dass dem Dänen ein sogenannter implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) implantiert wurde. "Sollte eine solche Situation wieder auftreten, braucht er keinen elektrischen Schock von außen mehr, sondern er trägt dann das Gerät im Körper. Dieses Schockgerät hat Verbindungen zum Herzen und kann jederzeit aktiviert werden", erklärt Halle den Nutzen des Geräts. Er mahnt jedoch: "Man kann nicht zu 100 Prozent sagen, dass das dann auch funktioniert, also das Herz wieder in den regelrechten Tritt bringt."

Wegen Defibrillator: Eriksen muss wohl Inter Mailand verlassen

Es sei Pflicht, einen Defibrillator einzusetzen, wenn ein Herzstillstand festgestellt wurde, um zukünftige Vorfälle dieser Art zu vermeiden, erklärt der Präsident der European Asscociation of Preventive Cardiology. "Die einzige Ausnahme ist, wenn akut eine Herzmuskelentzündung vorliegt. Dann kann man die Zeit der Heilung mit einer Schockweste überbrücken und dann sehen, ob die Entzündung ausheilt."

Bei Eriksen wird aber direkt ein Defibrillator eingesetzt. Dieser Fakt hat wohl bereits unmittelbare Folgen auf seine Karriere als Profifußballer. Laut eines 2017 aktualisierten Protokolls des Kardiologischen Organisationskomitees für Sportfitness ist es in Italien nicht erlaubt, mit einem Defibrillator einen Kontaktsport auszuüben. Dies bestätigte Lucio Mos, Vorsitzender der italienischen Sportkardiologen beim Radiosender "Punto Novo".

In den Niederlanden und in England dürfen Fußball-Profis mit Defibrillator auflaufen. Beispielsweise spielt der niederländische Nationalspieler Daley Blind mit einem solchen Gerät. Er war sichtlich schockiert nach dem Vorfall um Eriksen und vergoss nach seiner Auswechslung gegen die Ukraine sogar Tränen. "Natürlich habe ich auch ein paar Dinge in diesem Bereich erlebt, sodass ich wirklich eine große mentale Hürde überwinden musste, um heute zu spielen", sagte Blind nach dem Spiel gegenüber Journalisten.

Wahrscheinlichkeit für Karriereende von Eriksen "bei über 99 Prozent"

Während der Niederländer ein Positivbeispiel für Eriksen sein könnte, ist für Kardiologe Halle klar: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Eriksen seine Karriere beendet, liegt für mich bei über 99 Prozent. Meines Erachtens ist es ausgeschlossen, dass er bei Inter Mailand noch ein Spiel spielt."

Den Grund für seine Annahme sieht Halle in der Mitteilung der behandelnden Mediziner: "Dadurch, dass bereits jetzt verkündet wurde, dass ein Defibrillator eingebaut wird, scheint eine Schädigung des Herzmuskels vorzuliegen." Habe Eriksen beispielsweise Narben am Herzmuskel, könne er immer wieder Flimmern bekommen, das zu Herz-Rhythmus-Störungen führt. "Dann wird er nicht freigegeben für den Leistungssport", erklärt Halle.

Ein Comeback von Eriksen auf dem Rasen in Mailand oder irgendwo anders käme daher wohl einem Wunder gleich. Es ist ohnehin bereits ein kleines Wunder, dass der 29-Jährige den Vorfall ohne weitere Schäden überstanden hat.

Über den Experten: Prof. Dr. Martin Halle ist Kardiologe und Sportmediziner an der Technischen Universität München. Zudem ist er Präsident der European Association of Preventive Cardiology (EAPC).

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Martin Halle
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