Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hat einen Historiker in der Geschichte der Behörde graben lassen. Das Ergebnis erschüttert deren heutigen Chef.

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Schießbefehle, Massenerschießungen, Judenverfolgung: Die ersten vier ehemaligen Chefs des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen sind nach Ansicht von Historikern an NS-Verbrechen beteiligt gewesen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die am Montag in Düsseldorf vorgestellt wurde. Der Polizeihistoriker Martin Hölzl aus Münster hatte für die Studie in Archiven mehrerer europäischer Länder geforscht.

Jubiläum des LKA löst Nachforschungen aus

Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen war im Oktober 1946 gegründet worden. Im Oktober 2016 hatte die Behörde ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert. Im Vorfeld waren Zweifel aufgekommen, ob es klug wäre, alle Behördenchefs bei dieser Gelegenheit zu ehren.

Polizeihistoriker Hölzl erhielt den Auftrag, sich auf die Spurensuche zu begeben und wurde in erheblichem Ausmaß fündig.

  • Friedrich Karst: Erster Behördenchef von 1946 bis 1948, habe noch wenige Tage vor Kriegsende, am 13. April 1945, an einer Massenerschießung in Langenfeld teilgenommen. 71 Gefangene wurden dabei in einer Schlucht südlich von Düsseldorf ermordet. Karst habe selbst eingeräumt, Gefangene in die Nähe des bereits ausgehobenen Massengrabs geführt und dieses später zugeschaufelt zu haben. Kurz nachdem er dies zugegeben hatte, wurde er 1948 abgesetzt.
  • Friederich d'Heil: Zeichnete die "Sonderanweisung" ab, Juden, die aus dem Ghetto von Litzmannstadt (Lódz) fliehen wollten, zu erschießen. 160.000 Menschen wurden in dem Ghetto systematisch von Lebensmitteln abgeschnitten, viele verhungerten oder wurden deportiert. 1937 sei er NSDAP-Mitglied geworden und habe sich später um Aufnahme in die SS bemüht. D'Heil sei auch an der Ermordung des dänischen Widerstandskämpfers und Pastors Kaj Munk 1944 beteiligt gewesen, so ein dänisches Gericht. Er habe dem Mörder Tatwaffe und Papiere beschafft. Später habe er als LKA-Chef mindestens drei NS-Tätern zurück in den Polizeidienst verholfen.
  • Oskar Wensky: Galt im nordrhein-westfälischen Innenministerium als unbelastet, obwohl er in internationalen Fahndungslisten als Kriegsverbrecher gesucht und in den Niederlanden deswegen interniert worden war. Das NSDAP- und SS-Mitglied habe die Verlegung der Sinti und Roma in den Niederlanden an Sammelplätzen angeordnet, von denen sie später in das KZ Auschwitz deportiert wurden. Unter Wenskys Verantwortung fanden in den Niederlanden Razzien gegen Homosexuelle statt. Als Sachverständiger habe er sich später in der Bundesrepublik gegen die Abschaffung des Paragrafen 175 ausgesprochen, der Homosexualität unter Strafe stellte. An der Uni Köln sei er 1971 Honorarprofessor geworden. Erst acht Jahre nach seinem Tod seien Ermittlungen gegen ihn eingeleitet worden.
  • Günter Grasner: Er sei im besetzten Belgien bei der Geheimen Feldpolizei gewesen und vom belgischen Staat - wegen Zugehörigkeit zu dieser berüchtigten Einheit - zeitweise wegen Mordes als Kriegsverbrecher gesucht worden. 1947 seien die Akten in seinem Fall aber geschlossen worden, weil sich damals nichts Belastendes gegen ihn fand. 1942 war er in die Sowjetunion abgeordnet worden. Die Geheime Feldpolizei sei dort an der Erschießung von 21.000 Menschen als "Partisanen" beteiligt gewesen. Der Anteil seiner Einheit an der Mordbilanz könne nicht mehr genau bestimmt werden. Einzelne Meldungen zeigten aber, dass Mitglieder seiner Einheit am 12. November 1942 von sieben aufgegriffenen Personen sechs sofort erschossen hatten.

Die Polizisten hätten von der Legende profitiert, dass die Kriminalpolizei im Dritten Reich im Gegensatz zur Gestapo vergleichsweise sauber geblieben sei, dabei habe sie ihr "bei der Beteiligung an Verbrechen in nichts nachgestanden", so Hölzl. Wensky habe sich später sogar als Widerstandskämpfer stilisiert.

LKA-Chef Frank Hoever: "Das ist bedrückend"

"Das Gutachten zeigt ein sehr bedrückendes Ergebnis", sagte der amtierende LKA-Chef Frank Hoever. Die ersten vier Direktoren müssten als Täter des NS-Unrechtregimes bezeichnet werden. "Das hat mich sehr erschüttert!"

"Das Ergebnis ist umso erschreckender, als die Genannten in ihrem Amt teilweise eine Seilschaft aus der NS-Zeit pflegten. Aus heutiger Sicht hätten sie niemals mehr als Polizisten arbeiten dürfen", sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul von der CDU. (hau/dpa)

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