Drei Afghanen ertranken beim Versuch, illegal von Idomeni aus die Grenze zu überqueren. Helfer und Aktivisten im Lager sollen ihnen dabei geholfen haben und erhalten nun schwere Vorwürfe. Eine "Thema"-Reportage versucht, die Fakten richtigzustellen.

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"Schlepperei mit Todesfolge? Ab ins Gefängnis", lautet einer der gemäßigteren Internet-Kommentare zu den Geschehnissen in Idomeni. Dort haben Aktivisten Flüchtlinge bei einer illegalen Route über die Grenze begleitet. Dabei sollen drei Afghanen ertrunken sein.

Eine der freiwilligen Helferinnen vor Ort, die die Flüchtlinge begleitet hat, ist die Österreicherin Fanny Müller-Uri, die als Rassismusforscherin schon 2012 ein Buch mit dem Titel "Antimuslimischer Rassismus" veröffentlichte. Sie war vorübergehend in Haft und wird von der österreichischen Presse, allen voran der Kronenzeitung, scharf angeklagt. Der "Thema"-Bericht versucht, die Geschehnisse klarzustellen.

Was sind die Hintergründe der Grenzüberquerung?

Im Lager von Idomeni sitzen immer noch Tausende von Flüchtlingen und kämpfen gegen Kälte und Regen. Weil kaum jemand über die Grenze nach Mazedonien kommt, herrscht Verzweiflung, die schnell in Aggression umschlagen kann.

Ein Flugblatt kursierte, das mit einer Skizze einen Weg über einen Grenzfluss aufzeigte. Darin stand, dass man über diese Route weiter nach Deutschland gelangen könne. Außerdem wurde darin behauptet, dass das Lager in Idomeni bald geräumt werden solle. Es ist unklar, von wem dieses Flugblatt stammt.

An einem Tag, an dem nach langen Regenschauern wieder schönes Wetter herrschte, machte sich eine große Gruppe von Flüchtlingen auf diesen Weg. Die Überquerung des Grenzflusses war vor allem für die alten Menschen und Kinder gefährlich, weil der Fluss nach der langen Regenzeit Hochwasser führte.

Die Aktivisten, darunter Müller-Uri, halfen zusammen mit einigen Journalisten den Flüchtlingen beim Überqueren des Flusses. "Das ist eine ganz klare Selbstverständlichkeit", erklärt Müller-Uri. "Natürlich greift man sich gegenseitig unter die Arme. Man lässt ja nicht kleine Kinder da einfach rüber, ohne dass man ihnen die Hand reicht".

Was genau ist passiert?

"Treiben Helfer Flüchtlinge in den Tod?", lautete eine der Schlagzeilen zu dieser Hilfe – obwohl gar niemand starb. Die Nachricht bezieht sich auf drei Afghanen, die in der Nacht zuvor im Grenzfluss ertrunken waren. Dabei waren keine Aktivisten oder andere Helfer involviert.

"Hier wird einfach politisches Kleingeld gewaschen", vermutet Müller-Uri. Die Falschnachrichten dienen dazu, den Helfern vor Ort die Arbeit zu erschweren. "Es wird sicherlich rechtliche Folgen geben – aber nicht für mich, sondern für die Kronenzeitung", fügt sie hinzu.

Auch Profil-Korrespondent Dr. Gregor Mayer bezeichnet die Schlagzeilen vom "Todesmarsch" als "Unfug": Selbst wenn theoretisch Aktivisten bei der Planung der illegalen Route involviert gewesen wären, hätten die keinen Vorsatz gehabt, Menschen umzubringen. Das genaue Gegenteil sei der Fall, betont Babar Baloch, Sprecher des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR): "Ihre Arbeit rettet hier Menschenleben."

Wie ist die Lage in Idomeni?

In Idomeni stehen Busse bereit, um Flüchtlinge in Lager nach Athen oder Thessaloniki zu bringen. In letzterem verrät ein Mitarbeiter dem ORF-Team aber (bei nicht laufender Kamera), dass man keine Flüchtlinge mehr im Lager unterbringen kann.

Aber viele Flüchtlinge wollen ohnehin nicht von Idomeni fort: Sie haben Angst, dass die Grenze für kurze Zeit geöffnet wird und sie diesen Moment vielleicht verpassen könnten.

Wie funktioniert die Schlepperroute von Ägypten nach Italien?

In einem zweiten Beitrag porträtiert "Thema" ein kleines ägyptisches Fischerdorf namens Burg Migheizil, deren Einwohner hauptsächlich von der Schlepperei leben. Die Reportage zeigt damit auf, mit welchem System Schlepper arbeiten.

Bis zu €300.000 Gewinn können die Schlepper mit einer Fahrt machen, bei der sie Flüchtlinge nach Italien bringen. Eingesetzt werden dafür hauptsächlich Jugendliche unter 18, weil die als Minderjährige in Italien nicht bestraft werden. Wenn sie dort erwischt werden, werden sie auch als Opfer angesehen und in Schulen geschickt.

Außerdem findet sich im Ort ohnehin kaum andere Arbeit für sie: "Hier arbeitest du entweder als brotloser Fischer oder fährst die Italienroute", erzählt ein Jugendlicher.

Der syrische Flüchtling Ahmad erklärt, wie die Schlepperroute funktioniert: Mit einem Bus wird man zunächst zu einem Haus gebracht und "zwischengelagert", wie es heißt. Dann werden die Menschen auf Boote verladen – wo sich teils doppelt so viele Passagiere wie zulässig drängen. Ahmad erzählt von einem Boot, das 500 Meter vor der Küste sank, ein syrischer Mann ertrank dabei.

Die Schlepper selber leben oft eigentlich in Frankreich oder Italien und besuchen nur gelegentlich ihre Familien in Ägypten. Die Reporterin Han'a Abul Ezz spricht von einem "Parallelsystem" und erklärt, dass die Häuser der Schlepper im Ort leicht zu erkennen seien: Es handle sich um jene, die neu gebaut oder renoviert wurden.

Wie sind die Reportagen einzustufen?

Wie schon mit den vorangegangenen Berichten zur Flüchtlingskrise beweist das "Thema"-Team seriösen und sachlichen Journalismus. Die Reportagen sind nicht emotional manipulativ, sondern zeigen ganz nüchtern, was passiert und wie die Lage ist.

Man merkt den Berichten dabei auch eine erfreulich offene Haltung an, die keine Probleme verschweigt, aber mit menschlichem Blick von der Flüchtlingskrise berichtet.

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