Noch ist der Konflikt um eine mögliche Unabhängigkeit Kataloniens ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen der katalanischen Regionalregierung und der Nationalregierung in Madrid. Doch wenn Madrid nicht von seiner harten Linie abrückt, könnte aus dem Spiel bald Ernst werden, sagt Politologe Klaus Stolz.

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Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont hat am Dienstagabend ordentlich Verwirrung gestiftet: Er rief die Unabhängigkeit Kataloniens aus - und auch wieder nicht. Denn er legte den Abspaltungsprozess zugleich "für einige Wochen" auf Eis.

Was das sollte? "Ob Puigdemonts Rede ein Geniestreich oder eine Tölpelei war, wird sich noch zeigen", sagt Politologe Klaus Stolz im Gespräch mit unserem Portal. "In jedem Fall steckte eine klare Strategie dahinter."

Rajoy hat Puigdemonts Strategie durchschaut

Mit der Ausrufung der Unabhängigkeit hat Puigdemont gesagt, was die Befürworter der Unabhängigkeit hören wollten. Mit der Einschränkung, die Abspaltung vorerst auszusetzen, hat er der internationalen Gemeinschaft seine Dialogbereitschaft signalisiert - und den Ball zu Ministerpräsident Marino Rajoy und der Regierung in Madrid zurückgespielt.

Doch Rajoy ließ sich nur bedingt unter Zugzwang setzen: Am Mittwoch forderte er von der katalanischen Regierung Klartext. Sie solle unmissverständlich klar stellen, ob sie die Unabhängigkeit nun ausgerufen habe oder nicht.

"Puigdemonts Strategie war durchschaubar und Rajoy hat sie durchschaut", sagt Stolz. "Mit seiner Forderung nach einem klaren Ja oder Nein zur Unabhängigkeit spielt er den Ball seinerseits zurück."

Nach Einschätzung des Katalonien-Experten könnte dieses hin und her Passen von Bällen noch eine Weile so weitergehen.

Zum einen, weil die Zeit Rajoy in die Hände spielt: Die Separatisten werden die Massen nicht ewig mobilisieren können, die Unsicherheit schadet der Wirtschaft, mehrere Unternehmen haben bereits ihren Sitz aus der Region abgezogen.

Zum anderen haben weder Rajoy noch Puigdemont Interesse an einer Eskalation. "Vor allem aber will keiner von beiden für eine mögliche Eskalation verantwortlich gemacht werden", sagt Stolz.

Doch jede Verlängerung geht mal zu Ende - und was dann?

Separatisten werden Madrid nicht weiter entgegenkommen

Von Seiten der Separatisten ist kaum mehr Entgegenkommen zu erwarten. Mit seiner Aussage, den Trennungsprozess noch aufzuschieben, habe sich Puigdemont "so sehr bewegt, wie er sich bewegen kann", sagt Stolz. "Er hat keinen Spielraum mehr."

Bleibt also nur Madrid. Ministerpräsident Rajoy allerdings macht bislang keine Anstalten, auch nur im Geringsten von seinem harten Kurs gegenüber den Befürwortern der Unabhängigkeit abzurücken.

Auch am Mittwoch hat er wieder mit einen Vorgehen nach Artikel 155 gedroht. Danach kann die Zentralregierung eine Regionalregierung entmachten, wenn diese die Verfassung missachtet.

Die dafür nötige Mehrheit im Senat würde Rajoy aller Wahrscheinlichkeit nach bekommen.

Sollte der Ministerpräsident die Regionalregierung wirklich aus dem Amt jagen, die katalonischen Ministerien von Madrid aus regieren lassen, die dortige Polizei entmachten und Neuwahlen ansetzen, dann, sagt Stolz "wird es unschön, dann haben wir die Eskalation."

Möglicherweise können andere politische Kräfte etwas bewegen. Die linkspopulistische Podemos etwa hat wiederholt ihre Hilfe bei der Vermittlung angeboten. Und der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez hat die Gründung einer Kommission angestoßen, die in den nächsten sechs Monaten über die "Modernisierung der Autonomen Gemeinschaften" wie Katalonien mittels einer Verfassungsreform beraten soll.

Sollte eine solche Reform den Katalanen tatsächlich inhaltlich wertvolle Versprechen machen, wie etwa ein Mechanismus, der ein rechtsstaatliches Referendum über die Unabhängigkeit ermöglicht, würden sie sich womöglich auf einen Kompromiss einlassen, glaubt Stolz.

Klaus Stolz hat an der TU Chemnitz die Professur für Britische und Amerikanische Kultur- und Länderstudien inne. Zu den Schwerpunkten seiner Forschung zählen die Autonomiebestrebungen in Europa, darunter der katalanische Regionalismus. Die Woche vor und nach dem Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens hat er vor Ort erlebt.


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