Die Schleierfahndung soll ausgeweitet werden. Doch wofür? Was hat es mit der verdeckten Polizeiarbeit im Grenzgebiet auf sich und was bringt sie? Eine Spurensuche bei Passau – 25 Kilometer vor der österreichischen Grenze.

Fabienne Rzitki
Eine Reportage
von Fabienne Rzitki

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Es ist kurz nach neun Uhr morgens an diesem sonnigen Freitagmorgen. Auf der A3 bei Passau rollt der Verkehr Richtung österreichischer Grenze – Lkw, Sprinter, Motorräder, Pkw, aus Deutschland, Ungarn, Italien, Polen, den Niederlanden.

An der Autobahnauffahrt Passau-Nord steht ein unauffälliger silberfarbener BMW X3. Ihn ihm sitzen Christoph S. (44) und Christian D. (47). Mit Argusaugen beobachten sie das Geschehen auf der Autobahn.

Die beiden sind Schleierfahnder der neuen bayerischen Grenzpolizei-Inspektion, die am 1. Juli ihre Arbeit aufgenommen hat. Hervorgegangen ist sie aus der Polizeiinspektion Fahndung Passau. Das erklärt, weshalb Christoph S. und Christian D. nicht erst seit ein paar Tagen hier ihre Arbeit tun.

Seit etwa zehn Jahren halten die Fahnder Ausschau nach mutmaßlichen Drogenkurieren, Autodieben, Waffenhändlern, Wohnungseinbrechern und Schleusern. Und auch heute liegen die beiden Oberkommissare auf der Lauer.

Die Jagd auf Kriminelle

Plötzlich wird es hektisch, der Fahrer tritt aufs Gaspedal. Die Beamten jagen einem schwarzen Porsche SUV hinterher – mit fast 180 Stundenkilometern. Dann setzt sich der BMW der Polizisten vor den Porsche und gibt ein Zeichen, zu folgen.

Mit angepasstem Tempo verlassen die beiden Autos hintereinander die Autobahn. Auf dem Rastplatz Donautal West machen sie Halt.

Die Fahnder steigen aus, um den Porsche zu überprüfen. Dessen Fahrer lässt die Fenster herunter und überreicht Pass, Führerschein und Fahrzeugpapiere.

Christoph S. gibt dem Fahrer ein Zeichen. Der Kofferraum des Edel-SUV öffnet sich. In ihm befinden sich ein paar Koffer und Spielsachen. Christian D. wirft noch einen Blick ins Innere des Autos und winkt einem kleinen Mädchen mit dunklem Haar zu. Schnell ist klar: Hier ist alles in Ordnung. Der Fahrer darf mit seiner Tochter die Reise nach Bulgarien fortsetzen.

Die Schleierfahnder indes begeben sich weiter auf die Jagd nach Kriminellen. Mit dem Dienstwagen fahren sie den Rastplatz ab – vorbei an Campern, die vor ihren Wohnwagen in der Sonne rasten. Auch die abgestellten Sprinter und Lkw scheinen nicht verdächtig.

Christoph S. und Christian D. wissen genau, worauf sie achten müssen. Passt der Fahrer zum Fahrzeug? Welche Autos sind überladen und damit verdächtig? Welche ausländischen Nummernschilder sind momentan bei Fälschern beliebt? Auch Reisebusse sind im Visier der Fahnder.

Indizien verraten mögliche Straftäter

Die Beamten sind entsprechend geschult und müssen für die teils gefährlichen Verfolgungsjagden regelmäßige Fahrsicherheitstrainings absolvieren.

Fast täglich kontrollieren sie im grenznahen Raum den Verkehr. Dabei arbeiten die Fahnder eng mit den bayerischen Polizei-Dienststellen zusammen. Wichtige Informationen und Lageauswertungen finden sie im behördeninternen Netz. Auch eigene Erfahrungswerte spielen eine große Rolle, wie die Beamten sagen.

Ganz oft vertrauten die Fahnder ihrem Bauchgefühl und gewissen Indizien, sagt Christoph S. An manchen Tagen erhärte sich der ein oder andere Verdacht nicht – so wie bei dem Porsche-Fahrer. An anderen Tagen dagegen gebe es gleich mehrere Treffer.

Auf eine Besonderheit weisen die Polizisten hin: Es gebe Fahnder, die in bestimmten Kriminalitätsbereichen sehr erfolgreich seien. So hätten einige Kollegen ein gutes Gespür für Auto-Diebe. Andere wiederum seien dafür bekannt, öfter Drogenschmuggler zu entdecken.

Ab sofort auch Kontrollen an der Grenze

Schleierfahnder sind die Spürhunde der Polizei. Sie müssen keine Straftat aufklären, sie kommen ihr erst auf die Spur. Das heißt, sie überprüfen Menschen ohne einen konkreten Verdacht. Im Beamtendeutsch heißt das "verdachts- und anlassunabhängige Kontrollen".

Weil sie sich wie ein Schleier über internationale Reiserouten legen, heißt dies Schleierfahndung. Je nach Dienstgebiet kontrollieren die Polizisten Autobahnen, Durchgangsstraßen und Bundesstraßen in einem 30 Kilometer langen Korridor hinter der Grenze. Tätig sind die Beamten auch auf Flughäfen, Bahnhöfen und in Zügen. Gemäß EU-Recht.

Bisher war für Schleierfahnder an der Grenze Schluss. Denn dort ist die Bundespolizei zuständig. Das hat sich nun geändert. Regierung und Bund haben beschlossen, dass die bayerischen Grenzpolizisten künftig Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze durchführen können – allerdings nur mit Erlaubnis oder auf Anforderung des Bundes.

"In der Praxis bedeutet dies, dass die Bundespolizei wie bisher auf Grundlage der eigenen Lagebeurteilung Kontrollpositionen einnimmt", erklärt ein Sprecher der Bundespolizei im Gespräch.

Über die noch zu besetzenden Kontrollbereiche informiere die Bundespolizei die Grenzpolizei. Diese unterbreite dann einen "darauf basierenden konkreten Vorschlag für eine eigene Kontrollstelle". Erst nach Zustimmung können die bayerischen Beamten dann Kontrollen an dem vereinbarten Ort vornehmen.

Die Kontrollen sollen flexibel und stundenweise an diversen Grenzübergängen durchgeführt werden und so die festen Kontrollen an drei großen Autobahn-Grenzübergängen ergänzen.

Nur ganz unabhängig sind die Beamten auch nach Absprache nicht. Insbesondere dürfen die bayerischen Polizisten niemanden an der Landesgrenze zurückweisen und nach Österreich zurückschicken. Das ist immer noch Aufgabe der Bundespolizei. Somit wird die bayerische Grenzpolizei zur Hilfstruppe an der Grenze.

Welche Erfolge gibt es?

Polizei, Landesregierung und Kanzlerin Angela Merkel halten die Schleierfahndung für wichtig im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität und im Aufspüren von Terrorverdächtigen. Sie soll die illegale Migration merklich eindämmen.

Während sich Experten noch uneins darüber sind, wie effektiv die Schleierfahndung tatsächlich ist, verweisen Befürworter auf die Zahlen. So werden etwa die Ergebnisse der Fahnder aus Passau als beachtlich bezeichnet.

Tatsächlich ist den bayerischen Polizisten 2016 ein besonders dicker Fisch ins Netz gegangen: Am 17. Oktober wurden 231 Kilogramm Marihuana auf der Ladefläche eines Sattelzuges mit albanischer Zulassung entdeckt. Versteckt waren die Drogen in 72 Kunststoffgitterboxen.

Insgesamt stellten die Fahnder im vergangenen Jahr 315 Betäubungsmitteldelikte fest.

Im Bereich des Auto-Diebstahls wurden 26 Fahrzeuge im Gesamtwert von 300.000 Euro sichergestellt. Außerdem konnten 324 gestohlene Autos im Wert von rund neun Millionen Euro via Internetfahndung ausfindig gemacht werden.

Die Zahl illegaler Einreisen nahm nach Angaben der Fahndung Passau 2017 dagegen deutlich ab. 107 Verstöße wurden zu Anzeige gebracht, 2016 waren es 148.

Im Bereich der Urkunden-Kriminalität werden die Fahnder allerdings immer wieder fündig. 235 Urkunden-Delikte wurden bearbeitet und 288 Falsch-Dokumente sichergestellt. Straftäter wollen durch das Fälschen von Ausweispapieren ihre Identität verschleiern.

Ausländer versuchen Einreisebestimmungen zu umgehen und Autoführer geben vor, eine gültige Fahrerlaubnis zu besitzen. Es kommt auch vor, dass entsprechende Dokumente einfach fehlen.

So wie bei einem Duo aus Rumänien, das Christoph S. und Christian D. an diesem Tag auf einem Autobahn-Parkplatz anhält. Ihr silberfarbener 3er-BMW ist vollgeladen mit alten Bildern, Elfenbein-Nachahmungen und Bilderrahmen – was die Beamten stutzig macht.

Diebesgut aber scheint nicht versteckt und auch keine Drogen. Allerdings stellt sich heraus: Weder Fahrer noch Beifahrer haben einen Führerschein dabei. Die Schleierfahnder übermitteln die Personalien via Tablet – auch Car-PC genannt.

Die Abfrage aber dauert. Deshalb fordern die Beamten die beiden Männer auf, zum Dienstgebäude mitzukommen. Hier ist für die beiden erst einmal Endstation.

Für die Schleierfahnder Christoph S. und Christian D. geht es wieder zurück auf die Autobahn.

(mit Agenturmaterial der dpa)

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