Infolge der Zuwanderung ist die Zahl der Gewaltdelikte in den Jahren 2015 und 2016 gestiegen. Dies belegt eine neue Studie. Zugleich empfehlen die Autoren der Studie Maßnahmen zur Prävention. Doch können diese wirklich dem Trend entgegenwirken? Darüber haben wir mit zwei Experten gesprochen – mit aufschlussreichen Erkenntnissen.

Eine Analyse
von Fabienne Rzitki
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabienne Rzitki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Organisierte Kriminaldelikte, Sexualstraftaten, Raubüberfälle und Drogenhandel – mit dem Zuzug junger Flüchtlinge ist die Zahl der Gewalttaten einer Studie zufolge gestiegen.

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Die Autoren der Analyse "Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer" liefern nicht nur Zahlen, sondern auch Lösungsansätze, um dem Trend der Kriminalisierung junger Männer entgegenzuwirken.

Über die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene Studie haben wir mit Kripo-Chef Ulf Küch sowie mit Bernd Mesovic von Pro Asyl gesprochen. Dabei zeigt sich: Überrascht vom Ergebnis sind die Experten nicht, wohl aber von den empfohlenen Maßnahmen zur Prävention.

Zahlen der Studie überrascht Experten nicht

So hatte Kripo-Chef Ulf Küch in der Vergangenheit bereits entsprechende Folgen des Flüchtlingsstroms vorhergesehen und publik gemacht: "Wir hatten das schon 2015 kommen sehen und darauf gedrängt, genauer hinzusehen – also ob es sich wirklich um Kinder oder Jugendliche handelt. Oft haben das die Sozialbehörden aber abgelehnt", sagt der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter im Gespräch mit unserer Redaktion.

Küch ist ein Kenner der Materie. Anfang 2016 erschien sein Buch "Soko Asyl", in dem er mit Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen aufräumt – aber auch auf die Gefahren aktueller Flüchtlingspolitik hinweist. "Wir haben es damals wie heute mit drei sehr auffälligen Personengruppen zu tun: Die Nordafrikaner, die seit vielen Jahren in der Kriminalstatistik besonders auffällig sind; die Zentralafrikaner, die vor allem mit Drogenhandel zu tun haben sowie kriminelle Einbruchsbanden vom Balkan. Erst dann kommen die Flüchtlinge als vierte Gruppe dazu", erklärt Küch weiter.

Auch für Bernd Mesovic von Pro Asyl sind die neuen Zahlen keine Überraschung. "Was aber wohl viele überrascht: Im Gegensatz zum allgemeinen Rückgang der Kriminalität in Deutschland haben die Gewaltdelikte von jungen Flüchtlingen zugenommen und wirken sich auf die Gesamtbilanz 2015/2016 aus", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Können Sprach- und Sportkurse den Trend wirklich aufhalten?

Dieser Trend ließe sich jedoch aufhalten, meint Kriminalwissenschaftler Christian Pfeiffer, Co-Autor der oben genannten Studie. Notwendig seien unter anderem Sprachkurse, Sport und Praktika sowie Betreuungskonzepte für Jugendliche, die ohne Familie eingereist sind. Doch kann das wirklich der Prävention dienen – vor allem mit Blick auf straffällig gewordene Nordafrikaner?

Küch äußert sich skeptisch. "Bei den Nordafrikanern ist der Zug abgefahren – aus zweierlei Gründen: Zum einen werden sie nie einen Status als Flüchtling erhalten. Zum anderen sind sie seit Jahren in Deutschland und verhalten sich kriminell. Und wir werden sie auch nicht wieder los, weil uns die Instrumentarien dazu fehlen. Es gibt keine Absprachen mit den Heimatländern, um sie zurückzuführen."

Anders sehe es für anerkannte Flüchtlinge aus. Küch verweist auf das Beispiel Braunschweig. "Dort wurde ein Sprach- und Integrationsprojekt für junge Flüchtlinge eingeführt" – mit Erfolg, wie er betont.

Dies sei allerdings ein Weg, der konsequent gegangen werden müsse. "Wenn sich Jugendliche aber sich selbst überlassen werden, ist es kein Wunder, wenn sie auf dumme Gedanken kommen."

Mesovic von Pro Asyl pflichtet dem bei. "Alles, was den Tag strukturiert, ist positiv zu bewerten. In Richtung Integration kann man vor allem bei denen, die bleiben dürfen, mit pädagogischen Maßnahmen viel erreichen."

Kann der Familiennachzug dazu beitragen, dass Flüchtlinge nicht kriminell werden?

Eine von Pfeiffer und Kollegen vorgeschlagene Maßnahme begrüßen Küch und Mesovic hingegen: den Familiennachzug. Für die Vielzahl an Flüchtlingen wäre er sinnvoll. Vor allem, weil sich die Jugendlichen "in einem Umfeld entwickeln, das sie vorher schon hatten", sagt Mesovic.

Doch Küch warnt vor Familiennachzug bei bereits kriminell gewordenen Flüchtlingen, "weil wir uns dadurch noch mehr Probleme ins Land holen".

Wie sinnvoll ist ein finanziell gefördertes Rückkehrprogramm?

Bei seinen weiteren Vorschlägen gehe Professor Pfeiffer Mesovic zufolge über den Rahmen seiner Untersuchung hinaus. Vor allem das von den Autoren der Studie vorgeschlagene Rückkehrprogramm kritisieren beide Experten heftig. So plädieren Pfeiffer und Mitautoren dafür, Länder finanziell zu belohnen, sollten sie ihre Landsleute zurücknehmen. Außerdem sollten nicht anerkannte Flüchtlinge mit Sprachkursen und Lehrgängen unterstützt werden.

"Das ist fern jeder Realität", meint Kripo-Chef Küch. Vor allem die Nordafrikaner würden versuchen, zu bleiben. "In ihren Heimatländern gibt es keinerlei Perspektiven. Staaten wie Algerien und Tunesien taumeln. Was will man denn da Geld reinpumpen?" Mesovic sieht das ähnlich. Grundsätzlich sei der Gedanke nicht verkehrt, "aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, die Probleme vor Ort durch Entwicklungshilfe lösen zu können".

Kann ein stärkerer Schutz von Europas Grenzen helfen, das Problem zu lösen?

Auch ein anderer Vorschlag der Wissenschaftler sei problematisch: der von Pfeiffer geforderte stärkere Schutz der europäischen Außengrenzen. Nordafrikaner sollten gleich dort abgewiesen werden, sagte der Studienleiter im Morgenmagazin von ARD und ZDF. Dies hält Mesovic für utopisch und bezieht sich in seinen Ausführungen auf das Völkerrecht: "Es ist schlicht unmöglich, jemanden an der EU-Außengrenze ohne Prüfung von Asylgründen einfach umdrehen zu lassen. Selbst bei Staaten, die als sichere Herkunftsländer gelten, gibt es Verfahren unter rechtsstaatlichen Bedingungen."

Küch macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: "Die Nordafrikaner reisen nicht einfach von Tunis oder Marrakesch nach Frankfurt". Es gebe traditionelle Kontakte in die Communitys nach Spanien oder Frankreich. Von dort würden sie nach Deutschland einreisen. "Einfach die Außengrenzen dicht zu machen, löst das Problem nicht. Da irrt Herr Pfeiffer, da irrt auch die Politik. Das ist eine Milchmädchenrechnung", sagt Küch.

Welche Vorteile hätte ein Einwanderungsgesetz?

Die Vorschlagsliste der Wissenschaftler ist noch länger. So steht auch ein Einwanderungsgesetz zur Diskussion. Darin soll klar geregelt sein, unter welchen Bedingungen Ausländer eingebürgert werden können. "Das Gesetz könnte damit für in Deutschland bereits lebende Flüchtlinge Anreiz dafür bieten, sich engagiert um die Erfüllung der Einwanderungsvoraussetzungen zu bemühen", heißt es in der Untersuchung.

Mesovic sieht das jedoch kritisch. Hinter einem solchen Vorhaben stünde viel eher eine von der Wirtschaft erwünschte Migration von Arbeitskräften aus dem Ausland. Jugendliche aus den Maghreb-Staaten würden vermutlich mangels Qualifikation außen vor bleiben.

"Meine Kritik an Professor Pfeiffer ist, dass er in immer weiteren Kreisen Schlussfolgerungen aus seiner Studie zieht, die sie selbst gar nicht hergibt."

Die ausführlichen Interviews finden Sie hier:

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