Noch immer lodern die Flammen im Amazonasgebiet. Die brasilianische Regierung Jair Bolsonaros will die Region als letzte Wildnis Brasiliens erschließen und wirtschaftlich nutzbar machen – ohne Rücksicht auf Verluste.

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Die Bilder gingen im vergangenen August um die Welt: Brennender Regenwald im Amazonasgebiet und lodernde Steppenlandschaften im Feuchtgebiet Pantanal bewirkten das, was Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro am allerwenigsten behagt: Plötzlich lag der kritische Fokus der Weltöffentlichkeit auf dem größten Land Südamerikas, diskutierten Medien und ein eilig einberufener G7-Sondergipfel in Biarritz Fehler brasilianischer Politik.

Nach wie vor hat es nicht aufgehört zu brennen, die Rodungen – meist illegal aber ohne rechtliche Folgen – gehen weiter. Von Januar bis August registrierte die Raumfahrtbehörde INPE mehr als 66.000 Brandherde und rund 9700 Quadratkilometer gerodeten Regenwald. Das entspricht der Größe der Mittelmeerinsel Zypern. Das sind zwei Hektar pro Minute. So schnell brannte es in Brasilien mehr als zehn Jahre lang nicht mehr.

Bolsonaro: "Der Amazonas gehört uns"

"Der Amazonas gehört uns", ist das Credo Bolsonaros, um sich unliebsame Einmischung von außen und unangenehme Fragen vom Leib zu halten. Aber das ist falsch. Mit mehr als fünf Millionen Quadratkilometern Fläche erstreckt sich das Amazonasgebiet auch bis hinein in die Nachbarländer Venezuela, Kolumbien, Peru, Ecuador und Bolivien. Die ökologische Bedeutung dieses Gebiets ist sogar globalen Maßstabs.

Versuchte Jair Bolsonaro anfangs noch, NGOs für die Brände verantwortlich zu machen, weiß man inzwischen: Es war eine konzertierte Aktion. "Dia do fogo", der Tag des Feuers, zu dem sich illegale Landräuber verabredeten.

"Der Tag des Feuers war eine neue Sache die zeigte, dass die beteiligten landesweit vernetzt sind. Sie vereinten sich und beschlossen, dass sie den Wald verbrennen würden", sagte Hugo Loss vor einigen Tagen in Manaus. Loss ist Kontrollkoordinator der staatlichen Umweltschutzorganisation IBAMA.

Warum auch nicht? Große Strafen haben die, die illegal Flächen roden, nämlich nicht zu befürchten. Schon zu Beginn seiner Regierung strich Bolsonaro den Etat der IBAMA kräftig zusammen, sie ist praktisch mittellos.

Der Landraub wurde quasi legalisiert, eine Strafverfolgung findet kaum mehr statt. Außerdem plant die Regierung, die das Umweltministerium dem Landwirtschaftsministerium unterstellte, Bergbau künftig auch dort zu legalisieren, wo er bislang verboten war: in den Siedlungsgebieten indigener Völker.

"Wächter des Amazonas" von Holzfällern erschossen

Laut der Hilfsorganisation Survival International gibt es davon noch 305. Teilweise leben sie völlig unberührt in den Weiten des Dschungels. Und sie leben gefährlich. Immer wieder gibt es Nachrichten von getöteten Indigenen, die ihr Land beschützen wollten und sich den illegalen Holzfällern in den Weg stellten.

Anfang November wurde Paulo Paulino Guajajara, Mitglied der indigenen "Wächter des Amazonas" von Holzfällern erschossen. "Dies ist die Realität für viele indigenen Völker Brasiliens", sagt Sarah Shenker von Survival International, "und es ist unter Präsident Bolsonaro noch viel schlimmer geworden." Er ermutige die Holzfäller und Landnehmer, nimmt den Hütern der Wälder den Schutz "und überlässt sie der Gnade der schwer bewaffneten Holzfäller-Gangs".

Das Muster ist immer ähnlich. Zuerst kommen die Garimpeiros. Sie sind Menschen ohne Ausbildung, die versuchen, irgendwo im Urwald Gold zu finden. Nach ihnen kommen die Holzfäller. Sie suchen nach seltenen Hölzern, die sich auf dem Schwarzmarkt in Richtung Europa sehr gut verkaufen lassen.

Haben sie eine Schneise geschlagen, folgen die Landwirte; Rinderzüchter meist, die die Flächen roden und in Besitz nehmen. Es ist wie beim Brettspiel: Sie stellen einige wenige Kühe auf die Fläche und der Grund gilt als gesichert.

Kürzlich brachte die Regierung ein Gesetz ins Gespräch, wonach es ausreichen würde, eine vorher besitzerlose Fläche anzumelden, um sie sich als Eigentum zu sichern – ein Freifahrtschein für Landnehmer. Die Regierung Bolsonaros ist angetreten, die Amazonasregion als letzte Wildnis Brasiliens zu erschließen und wirtschaftlich nutzbar zu machen – ohne Rücksicht auf Verluste.

Jair Bolsonaro war einst selbst ein Garimpeiro

Auch für die kleinen Garimpeiros, die Goldsucher – an sich eine Gruppe, für die sich sonst niemand in Brasilien richtig verantwortlich fühlt –, hegt Bolsonaro Sympathien. Im Wahlkampf hatte er sie als Wähler für sich entdeckt und machte Versprechungen. Denn mit ihnen verbindet er einen weniger bekannten Teil seiner Biografie.

Sein Vater Percy, aber auch er selbst hatten als junge Männer als Garimpeiro gearbeitet. Anfang der 1980er Jahre, Bolsonaro war noch Fallschirmjäger beim Militär, machte er sich auf in den Bundesstaat Bahia. Angeblich, um dort sein Glück als kleiner Goldsucher zu versuchen. Aber in erster Linie wohl, um den spärlichen Sold aufzubessern.

Das war in den 70er und 80er Jahren nichts Unübliches. Im Südosten des nördlichen Bundesstaats Pará, im Bezirk der Gemeinde Curionópolis, entstand in den 70er Jahren die Serra Pelada, einer der größten Goldtagebaue der Welt. Nachdem Ende der 70er Jahre das Gelände mineralogisch untersucht worden war und bekannt wurde, dass dort größere Mengen Gold vermutet wurden, setzte ein wahrer Goldrausch ein. Bis zu einer halben Million Goldsucher strömten in der Hoffnung auf den großen Fund in die Region. Darunter auch Percy und Jair Bolsonaro – so, wie es die Bandeirantes im 17. Jahrhundert taten.

Bandeirantes werden die portugiesischen Expeditionstruppen genannt, die immer wieder ins Landesinnere vorstießen, um dort Gold, Diamanten und andere Schätze zu finden – und natürlich, um das Land im Namen der Krone zu erschließen und in Besitz zu nehmen. Das taten sie, indem sie eine portugiesische Flagge, eine Bandeira, aufstellten.

Expansionspolitik wegen Wunsch nach mehr Souveränität

Die Expansionspolitik mit der vorangetriebenen Erschließung der Amazonasregion muss bei Bolsonaro auch immer unter dem Aspekt des Wunsches nach mehr nationaler Souveränität gesehen werden. Auch deshalb reagierte er unwirsch darauf, als Norwegen und Deutschland ihre Millionenhilfen für einen Amazonasfonds strichen und später Frankreichs Präsident Emanuelle Macron mit Ratschlägen über den Atlantik kam.

Im Rauschen um die Brände im Amazonas – übrigens auch in den Nachbarländern Bolivien und Peru – ging eine weitere Naturkatastrophe medial beinahe völlig unter. Eine Ölpest hat seit Ende August fast 2000 Kilometer Küste im Nordosten des Landes schwer verschmutzt. Dabei überließ die Regierung die Küstenbewohner mit der Reinigung praktisch sich selbst.

Verwendete Quellen:

  • Agencia Brasilia: Vereinfachte Regeln für Legalisierung von Land
  • Amazonia Real: Interview Hugo Loss, Ibama
  • Survival International: Brasilien: Amazonas-Wächter getötet, ein weiterer verletzt, bei Angriff von Holzfällern
  • Folha De S. Paulo: Abholzungen erreichen Rekord
  • The Intercept Brasil: Bolsonaros Vergangenheit als Garimpeiro
  • Istoe: Ölpest in Brasilien
Regenwald, Rodung, Bolsonaro

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