Hunderte Traktoren auf den Autobahnen: Bundesweit haben zum Beginn der Woche Bauern gegen die Politik der Ampelregierung demonstriert. Doch im Vergleich zu Klimaaktivisten und deren Klebeaktionen hielt sich der Gegenwind in Grenzen. Lässt die Bevölkerung Bauern durchgehen, was sie bei anderen scharf kritisiert? Ein Protestforscher erklärt, worin die Unterschiede bestehen.

Ein Interview

Herr Gassert, gestern haben Bauern bundesweit demonstriert und haben mit ihren Traktoren Straßen und Auffahrten blockiert. Ist das eine neue Form des Protests, die wir da erlebt haben?

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Philipp Gassert: Nein, sowas hat man schon häufiger erlebt. Bauern haben sich auch in der Vergangenheit "zusammengerottet" und sind in Landeshauptstädte oder in die Bundeshauptstadt gefahren. Man hat oft auf der Straße des 17. Juni große Demonstrationen gesehen, auch in der Ära Merkel.

Was ist das Besondere an den Protesten?

Das Großgerät in den Straßen erzielt einen besonderen medialen Effekt. Damit können die Bauern eine viel höhere Aufmerksamkeit auf ihr Anliegen ziehen als andere Gruppen. Andere Demonstranten müssen erst ein paar tausend Leute bieten, um überhaupt gesehen zu werden und kamerawürdig zu sein. Andere Gruppen haben nicht die Ausstattung, um eine Autobahnausfahrt zu blockieren. Wenn sich wenige hundert Menschen auf die Straße gestellt hätten, wären viele Plätze gar nicht voll gewesen. Das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal von Landwirten und Lkw-Fahrern.

Gassert: "Menschen sind bereit, ein gewisses Verständnis an den Tag zu legen"

Wie groß ist denn das Verständnis in der Bevölkerung für die Proteste? Sie haben schließlich für bundesweite Störungen gesorgt.

Empirische Daten gibt es, Stand jetzt, noch nicht. Aber nach den ersten Eindrücken sind die Menschen bereit, den Bauern gegenüber ein gewisses Verständnis an den Tag zu legen. Gerade auch im Vergleich zu Gruppierungen wie der "Letzten Generation". Diese wird in der Bevölkerung als kleine und linke Randgruppe wahrgenommen, die Bauern als Teil der gesellschaftlichen Mitte. Die Aktionen der "Letzten Generation" lehnen 80 bis 90 Prozent der Befragten ab.

Spielt dabei auch die Form des Protests eine Rolle? Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, hat den Protest als "diszipliniert" und "verantwortungsvoll" beschrieben.

Ja, und das ist ein sehr großer Unterschied zu den Klimaprotesten – wo es sich oft um nicht angemeldete Aktionen handelt. Die Bauernproteste waren hingegen angemeldet. Die Autobahnauffahrten wurden nur wie vereinbart von 6 bis 9 Uhr blockiert und wurden dann wieder freigegeben. Die meisten Straßenblockaden durch Klimaaktivisten waren nicht angemeldet und werden deshalb als viel radikaler erlebt. Außerdem stehen hinter den jetzigen Protesten große Verbände, die breit vernetzt sind. Hier demonstrieren etablierte Kräfte, Bauern sind natürlich keine Randgruppen, sondern repräsentieren den ländlichen Raum.

Was bedeutet das?

Die Proteste haben dadurch den Anschein einer legitimen Protestform, die aus der gesellschaftlichen Mitte heraus kommt. Das ist vergleichbar mit Gewerkschaften oder Demonstrationen von Bergarbeitern, die sich dagegen wehren, dass ihre Fabrik oder ihre Grube geschlossen wird. Die Proteste haben eine gewisse organisatorische Grundstruktur, die die Gesellschaft allgemein als legitim anerkennt. Das ist ein großer Unterschied zu den disruptiven Protesten der "Letzten Generation".

Neue Subventionen für Landwirte?

Was bedeuten die Proteste für unsere Demokratie?

Der Straßenprotest und das Versammlungsrecht sind Urgesteine unserer demokratischen Verfassungsordnung. Es ist wichtig und richtig, dass man seinen Ärger über politische Entscheidungen zum Ausdruck bringen kann. Das schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht.

Und die Gefahr einer rechten Unterwanderung?

Die offiziellen Bauernverbände wehren sich gegen eine Vereinnahmung und grenzen sich von Trittbrettfahrern aus dem faschistischen, nationalsozialistischen und rechtsextremen Bereich ab. Solche Erscheinungen, dass Extremisten versuchen, sich andere Proteste zunutze zu machen, hat es in anderen Formen immer wieder gegeben. Das ist nicht der Untergang unserer Demokratie, zeigt aber die großen Probleme, die eine Regierung bekommen kann, wenn sie sich mit einer mächtigen Lobby anlegt. Die Landwirte können ziemlich viele Leute auf die Straße bringen, sind hervorragend organisiert.

Werden die Bauern denn mit ihren Protesten erfolgreich sein?

Das wird sich noch zeigen. Die Bauern wollen ein neues System von Subventionen. Die Landwirtschaft ist jedoch bei Weitem der am stärksten staatlich subventionierte Bereich in unserem Land. Über 50 Prozent der Einkommen der Landwirte gehen im Schnitt auf staatliche Subventionen zurück. Trotzdem haben vor allem kleinere Betriebe Schwierigkeiten, davon zu überleben. Das sind also Grundsatzfragen, die jetzt wieder aufgeworfen worden sind. Es geht nicht nur um den Agrardiesel, sondern darum, welche Rolle die Landwirtschaft in unserer Gesellschaft hat.

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Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Philipp Gassert ist Lehrstuhlinhaber am Historischen Institut der Universität Mannheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt politischer Protest im 20. Jahrhundert. Aktuell schreibt er an einer Weltgeschichte des Straßenprotests vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis heute.
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