Auch 80 Jahre danach erinnert sich Krystyna Budnicka lebhaft an die Kämpfe im Warschauer Ghetto. "Ich spürte, wie es um mich herum brannte", sagt die 90-Jährige, die noch immer in der polnischen Hauptstadt wohnt.

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Krystyna Budnicka war unter den rund 50.000 Menschen, die sich in Kellern und Bunkern versteckten, als am 19. April 1943 der zum Scheitern verurteilte Aufstand hunderter jüdischer Kämpfer gegen die deutschen Besatzer begann.

Die Nazis hatten ein Jahr nach ihrem Einmarsch in Polen die Errichtung des Ghettos in Warschau angeordnet. Rund 450.000 Juden wurden auf einer Fläche von etwas mehr als drei Quadratkilometern eingesperrt. Viele Bewohner starben an Hunger und Krankheiten, während die meisten anderen im Sommer 1942 in das nordöstlich von Warschau gelegene NS-Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet wurden.

Den Tod in den Gaskammern vor Augen erhoben sich die jüdischen Untergrundkämpfer am 19. April 1943 schließlich gegen die deutschen Truppen, die den Aufstand mit großer Brutalität niederschlugen und dabei das gesamte Ghetto in Brand setzten.

"Es ist vor allem der Hunger, der dich schwach macht"

Als die Kämpfe begannen, war Krystyna Budnicka zehn Jahre alt. Sie lebte damals bereits mehrere Monate in einem von ihren Brüdern gebauten Bunker unter einem Wohngebäude. Ihre gesamte Familie versteckte sich dort zusammen mit anderen Ghetto-Bewohnern vor den Nazis. "Ich hielt mich an meiner Mutter fest. Ich hatte Angst, war hungrig und schwach", erinnert sich Budnicka. "Es ist vor allem der Hunger, der dich schwach macht."

Auch Halina Birenbaum lebte während des Aufstands mit ihrer Familie in einem unterirdischen Bunker im Ghetto. "Wir waren zusammengepfercht und mussten still sein. Wir konnten den Rauch riechen, denn die Deutschen brannten das Ghetto Block für Block nieder", erinnert sich die inzwischen 93-Jährige, die heute in Israel lebt.

"Der Aufstand war Selbstmord. Wir konnten nicht gewinnen, aber wir mussten ihnen Schaden zufügen", sagt Birenbaum. Ihre Familie wurde schließlich verraten und musste aus dem Bunker fliehen. Birenbaum sah dann, dass "nichts mehr vom Ghetto übrig war". Sie wurde mit ihrer Familie in das NS-Vernichtungslager Majdanek geschickt und dann nach Auschwitz-Birkenau und später in das KZ Ravensbrück verlegt. Sie überlebte, der Großteil ihrer Familie wurde während des Holocaust getötet.

Budnicka verliert gesamte Familie durch die Nazis

Budnicka entkam aus ihrem Bunker durch die Kanalisation. Aber ihre Eltern und ihre Schwester waren bereits zu geschwächt für die Flucht. "Mama sagte mir, ich solle weitergehen (...). Ich betrachte das als ihren letzten Willen: dass ich weitermachen und leben soll", sagt sie. Ihre gesamte engere Familie wurde während des Holocaust getötet. "Ich habe nicht um sie getrauert, weil ich keine Tränen mehr in mir habe", sagt Budnicka.

Als Zeitzeugen sprechen Birenbaum und Budnicka seit Jahren vor allem mit Jugendlichen über die Gräuel, die sie damals erleben mussten. "Als der Krieg zu Ende war, habe ich mir gesagt, dass sich so etwas nicht wiederholen darf, dass die Welt etwas gelernt hat - aber ich wurde schnell eines Besseren belehrt", sagt Budnicka.

"Warum musste ich das alles durchmachen? Weil jemand wie Hitler nicht wollte, dass jüdische Kinder leben, und beschloss, dass sie sterben müssen. Aber ich lebe immer noch, zu seinem großen Leidwesen."

Steinmeier dankt für "Wunderwerk der Versöhnung"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist zum Gedenken an die Gräueltaten nach Warschau. In einer schriftlichen Erklärung vor seinem Abflug am Dienstag dankte er Polen und Israel für das "Wunderwerk der Versöhnung" und betonte: "Es ist bis heute ein Wunder, dass Jüdinnen und Juden, Polinnen und Polen uns Deutschen nach den Verbrechen unserer Vorfahren überhaupt die Hand gereicht haben." Dieses Geschenk sei beinahe genauso unfassbar wie die Taten einst. Er sei dafür zutiefst dankbar. "Heute tragen wir alle die große Verantwortung für den Erhalt dieses Wunderwerks." Er bekenne sich zu dieser Verantwortung - so wie auch Duda und Herzog.

Steinmeier will am Rande des Gedenkens auch bilaterale Gespräche mit Duda und Herzog führen. Sein Besuch in Polen fällt in eine schwierige Zeit. Im Herbst wird hier ein neues Parlament gewählt. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS schürt auch anti-deutsche Ressentiments und geht damit auf Stimmenfang. Immer wieder beliebt ist dabei die - von Deutschland strikt zurückgewiesene - Forderung nach Reparationen für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden.

Erst gestern verabschiedete Polens Regierung eine Resolution, welche die Regelung der Reparationsfrage zu einer Notwendigkeit in den beiderseitigen Beziehungen erklärte. Sie sei die formale Antwort auf die diplomatische Note, mit der Berlin die Reparationsforderungen Polens abgelehnt habe, sagte der Vize-Außenminister und Reparationsbeauftragte Arkadiusz Mularczyk. Dass die Entschließung wenige Stunden vor Steinmeiers Ankunft in Warschau gefasst wurde, ließ sich aus deutscher Sicht allerdings auch als diplomatische Provokation werten. (afp/dpa/lko)

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