Einer Studie der Stadt Zürich zufolge ist die Situation der Strassenprostituierten derzeit schlechter als angenommen. Horrende Zimmerpreise, erschöpfende Arbeitszeiten und Gewalt treiben die Frauen an die Grenzen ihrer Existenz.

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Michael Herzig vom Sozialdepartement der Stadt Zürich weiss, wie schwer es Prostituierte heutzutage haben, vor allem auch auf dem Zürcher Strassenstrich: "Es ist ein harter und gefährlicher Job. Die Prostituierten arbeiten bis zu 70 Stunden pro Woche." Vom Geld selbst sehen die Frauen meist nicht viel, wie Herzig im Gespräch mit der Sendung "10 vor 10" des Schweizer Fernsehen zu Protokoll gibt. Nicht zuletzt, weil die Monatspreise für ein Bett in einem Mehrbettzimmer bis zu 2.700 Schweizer Franken kostet.

Am Sihlquai bedienen die Frauen im Durchschnitt sechs, manche sogar bis zu 30 Männer pro Nacht. Dass diese Treffen nicht immer reibungslos verlaufen, macht die Umfrage unter 120 Prostituierten ebenfalls deutlich. Viele der Befragten leiden unter Missbrauch, Schlägen und Beleidigungen ihrer Freier. In einigen Fällen wurden Frauen sogar mit giftigen Flüssigkeiten übergossen. Die Aussage einer Frau zeigt, wie grausam manche Männer - allen voran übrigens Junge, nicht Alte - vorgehen: "Ein Freier hat mich mit Gewalt ausgezogen und schlagen wollen. Ich dachte, dass ich sterbe und meinen Sohn nie wieder sehen werde." An die Polizei wenden sich im Falle solcher Übergriffe dennoch nur wenige Opfer.

Anfang Mai 2012 ging bei der Zürcher Stadtpolizei eine Anzeige von zwei Prostituierten ein wegen der Vergewaltigung durch drei Jugendliche. Die Männer zwischen 16 und 20 Jahren sollen sich zunächst als Freier ausgegeben haben, dann aber ihre Opfer überwältigt, missbraucht und bestohlen haben. Die Ermittlungen der Polizei müssen oftmals aber nicht extern stattfinden, sondern innert des Millieus.

Im August dieses Jahres wurde ein Angehöriger der Roma verurteilt, weil er auf dem Zürcher Strassenstrich mit Frauen gehandelt und sie systematisch zur Prostitution gezwungen haben soll. Das Gericht setzte für den Kopf des zwielichtigen "Familienunternehmens" siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe fest, unter anderem wegen Körperverletzung und sexueller Nötigung. Tatsächlich hat der Grossteil der befragten Prostituierten in der Studie auch angeben, dass ihre Zuhälter meist aus dem weiteren oder sogar engeren familiären Umfeld stammen.

Fast alle Frauen, die auf der Zürcher Strasse arbeiten, sind ungarische Roma. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen erhalten sie rasch und günstig eine Arbeitsbewilligung - und so zumindest die Chance auf rechtliche und finanzielle Sicherheit. Zum anderen können es sich Einheimische kaum noch leisten, am Sihlquai anzuschaffen, wie eine Schweizer Prostituierte schon vor zwei Jahren gegenüber dem "Tages-Anzeiger" beklagte: "Dort kann man nicht mehr stehen, die Ungarinnen blasen schon für 20 Franken ohne Gummi." Die Konkurrenz, die nicht aus äussert armen Verhältnissen in vor allem Ostungarn stammt, muss sich also an andere Standorte zurückziehen.

Die stetig wachsende Zahl der Prostituierten drängt die Arbeiterinnen auch in andere Strassen Zürichs, wie beispielsweise die Langstrasse und ihre Seitenstrassen. Das ist allerdings illegal. Um der Ausbreitung des Strassenstrichs in der Stadt vorzubeugen, verteilt das Amit für Wirtschaft und Arbeit (AWA) seit einigen Jahren Informationsbroschüren an die Frauen, in denen ein Strichplan Auskunft darüber gibt, wo anschaffen geduldet wird und wo nicht. 2010 betrug die Länge des Zürcher Strassenstrichs laut Plan rund 10,7 Kilometer.

Laut der aktuellen Studie der Stadt Zürich würden rund 80 Prozent der Frauen sofort aus dem Business aussteigen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Knapp die Hälfte der Befragten begann mit der Prostitution vor dem 20. Lebensjahr.

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