Jeden zweiten bis dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das geht aus einer Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts für das Jahr 2017 hervor. Häusliche Gewalt ist nach wie vor ein großes Problem. Diskutiert wird über dieses Thema jedoch selten. Ein Gespräch mit Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen.

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In der neuen True-Crime-Serie "Haustyrann" auf TLC sind Sie als Expertin zu sehen. Wie würden Sie dem Leser die Serie beschreiben?

Gisela Friedrichsen: Es geht um Fälle, in denen der Täter ein jahrelanges Martyrium hinter sich hat, das ihn psychisch und physisch so zermürbt hat, dass es scheinbar keinen anderen Ausweg mehr gab, als den tyrannisierenden Menschen zu töten.

Da Frauen oft physisch unterlegen sind, töten sie heimtückisch mit Gift, von hinten oder im Schlaf. Heimtücke ist allerdings ein Mordmerkmal und mit einer lebenslangen Haftstrafe zu verurteilen. Genau hier macht der Gesetzgeber manchmal eine Ausnahme und sieht in Grenzfällen von Lebenslang ab, da es unzumutbar ist, jemanden, der so lange von seinem Opfer gequält wurde, lebenslänglich zu inhaftieren.

Was genau bedeutet der Begriff "häusliche Gewalt"?

Häusliche Gewalt ist alles, was sich in den eigenen vier Wänden abspielt. Das kann sich gegen die Frau richten, die zu Hause vom Mann verprügelt oder gequält wird. Es kann sich auch gegen die Kinder richten, die möglicherweise von beiden Eltern misshandelt werden.

In der Serie gibt es auch einen Fall, in dem die Frau ihren Mann so sehr quält, dass dieser irgendwann einfach durchdreht und sie letztlich umbringt, weil er es schlicht nicht mehr erträgt. Das sind alles Taten im unmittelbaren Umfeld.

Mehr als 80 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind Frauen. Woran liegt das?

Männer reagieren auf Frustration, Hass oder Eifersucht häufig mit Gewalttätigkeiten. Sie neigen aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit und ihrer Erziehung mehr dazu, physische Gewalt anzuwenden.

Frauen hingegen sind oftmals erzogen worden, nicht zuzuschlagen. Sie üben nicht weniger Gewalt aus, aber eben auf andere Weise. Diese Tendenz steckt tief in uns drin.

Gibt es so etwas wie ein klassisches Täterprofil?

Klassisches Täterprofil würde ich so nicht sagen. Man kann feststellen, dass in vielen Fällen die Gewaltanwendung ein Resultat aus einer desolaten Lebenssituation ist. Es sind häufig Männer, die man gemeinhin als "Loser“ bezeichnen würde. "Haustyrannen“ sind selten Männer, die erfolgreich sind, in sich ruhen und ein gesundes Selbstbewusstsein haben.

Das Zuschlagen ist häufig ein Zeichen von Schwäche. Um diese Schwäche nicht zu deutlich werden zu lassen, übt man körperliche Gewalt aus. Das gilt dann häufig als Zeichen der Stärke, ist aber in Wirklichkeit das genaue Gegenteil.

Weshalb bleiben so viele Opfer bei ihren gewalttätigen Partnern?

Das kann eine Form von Scham sein. Es kann aber auch ein Zeichen von Schwäche sein, weil man nicht die Möglichkeit sieht, den Partner zu verlassen und sich auf eigene Füße zu stellen. Das wäre ja eigentlich das probate Mittel, um so eine häusliche Hölle zu beenden. Nach dem Motto: "So, ich verlasse ihn jetzt und nehme die Kinder mit. Ich bringe die schon selber durch.“

Aber dazu muss man natürlich gewisse Voraussetzungen erfüllen. Man muss das Selbstvertrauen haben, das oftmals in den Auseinandersetzungen gebrochen wurde. Zudem benötigt man die finanziellen Mittel beziehungsweise die nötige Ausbildung, um zu sagen: "Ich such' mir jetzt selbst einen Job und bekomme das schon hin.“

Gibt es auch so etwas wie ein klassisches Opferprofil?

Die Erfahrung häuslicher Gewalt verändert natürlich einen Menschen. Ich habe in einem Fall erlebt, wie eine Lehrerin bei ihrem Mann blieb, obwohl ihr alle Optionen offen standen. Am Schluss war sie ein solches Wrack, dass sie nicht mehr in der Lage war, sich von ihm zu lösen.

In manchen Fällen ist es so, dass die Frauen das bereits als Kind durchlebt haben. Dort wurde dann bereits die Mutter Opfer von häuslicher Gewalt. Von dem dadurch entstandenen Rollenbild können sie sich oft nur schwer oder auch gar nicht abwenden.

In den Folgen von "Haustyrann“ ermorden die Opfer letztlich ihre Peiniger. Sind solche Fälle selten?

Ein Großteil der Tötungsdelikte findet im direkten Umkreis der Familie statt. Das sind Taten, die sich aus einer tiefen Verletzung, Eifersucht oder aus ähnlich gefühlsmäßigen Ausnahmezuständen entwickeln. Das passiert gegenüber dem Partner häufiger als gegenüber einem Fremden. Bei einem Fremden entwickele ich keine Eifersucht.

Trotzdem: Dass sich häusliche Gewalt derart steigert, dass es letztlich so dramatisch endet, ist schon die Ausnahme.

Welche rechtlichen Konsequenzen haben solche Täter zu befürchten?

Wenn Sie sich die Strafmaße anschauen, dann sind das im Schnitt unter zehn Jahre. Bezieht man mit ein, dass das ja meistens Menschen sind, die nie straffällig wurden und sich dann auch in der Haft vergleichsweise gut benehmen werden, dann müssen diese Menschen auch nur zwei Drittel ihrer Strafe absitzen. So kommen sie relativ schnell ins normale Leben zurück.

Sehen sie dabei Probleme in der heutigen Rechtslage?

Nein. Ich persönlich habe mich relativ oft gefragt, ob dieses zwingend vorgeschriebene "Lebenslänglich" unbedingt sein muss, oder ob man den Gerichten nicht die Möglichkeit geben sollte, abstufen zu können.

Nicht jeder Mord ist in seiner Verwerflichkeit mit einem anderen zu vergleichen. Da ist meine Überzeugung, dass die Gerichte differenzieren sollten beziehungsweise die Möglichkeit dazu haben müssten. Heute regelt man es über die Vollstreckung.

Jemand, der so etwas nur einmal gemacht hat und eine gute Zukunftsprognose erhält, kommt relativ früh auf freien Fuß oder wird in die Gesellschaft eingegliedert. Das ist eine Möglichkeit, wie man mit dem zwingend vorgeschriebenen Lebenslänglich umgeht.

Zirka 18 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt sind Männer. Gibt es hier Unterschiede?

Unterschiede sehe ich eigentlich in der Wahrnehmung dieser Taten. Man ist es einfach gewohnt, dass Männer ihren Frust mit Gewalt ausleben. Bei Frauen ist man fast noch entsetzter. Wenn eine Frau anfängt, ihren Mann zu schlagen und zu piesacken, bis er zusammenbricht, dann beißt sich das mit unserem Rollenbild. Gewalttätige Frauen sind einfach eine noch größere Ausnahme als gewalttätige Männer.

Gibt es einen Fall, der Ihnen persönlich besonders nahe gegangen ist?

Ja. In diesem Fall bildete sich eine Frau ein, ihr Mann wolle ihr oder den fünf Kindern etwas antun. In Wahrheit wurde der Mann von ihr über Jahre hinweg mit psychischer Gewalt fertig gemacht. Dennoch erschießt sie ihn.

In Wirklichkeit war der Mann der liebste, netteste und freundlichste Mensch, der von seiner Frau traktiert wurde, weil sie andere Vorstellungen von der Kindererziehung hatte als er. Die fünf Kinder haben jetzt niemanden mehr. Das macht diesen Fall zu einem besonders tragischen.

Was raten sie Opfern oder Betroffenen?

Sich frühzeitig Hilfe zu holen, solange man noch kann. Nicht abwarten, bis man so zermürbt und fertig ist, dass es schrecklich endet.

Es gab einmal eine Frankfurter Schwurgerichtsvorsitzende, die sagte: "Etwas Besseres als das Töten gibt es immer.“ Natürlich gibt es das. Aber man muss auch noch die Kraft aufbringen, von einer anderen Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Gisela Friedrichsen
  • bka.de: Partnerschaftsgewalt - Kriminalstatistische Auswertung - Berichtsjahr 2017
Über unseren Interview-Partner: Gisela Friedrichsen ist Autorin und eine der bekanntesten Gerichtsreporterinnen Deutschlands.
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