Jede Menge Chefsessel sind frei, aber keiner will drauf sitzen. Schulleiter werden in Deutschland händeringend gesucht. Mehr als 1000 Posten sind vakant. Dass der Job so unbeliebt ist, hat Gründe.

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Claudia H. ist Managerin von zwei Grundschulen im Westen von Nordrhein-Westfalen. Drei Kilometer liegen zwischen den Schulen mit insgesamt 280 Kindern. Die 43 Jahre alte Grundschullehrerin trägt die Verantwortung für zwei Lehrerkollegien, zwei Schulen, den Offenen Ganztag, den Hausmeister, sozialpädagogische Kräfte, Inklusion und Flüchtlingskinder. Und manchmal muss sie sich auch um einen Wasserrohrbruch kümmern. "Man ist rund um die Uhr Ansprechpartner", sagt H. "Auch in den Ferien."

Dabei ist H., die ihren vollständigen Namen nicht nennen möchte, "nur" kommissarische Schulleiterin. Seit drei Jahren ist die Leitungsstelle vakant, seit zwei Jahren macht Claudia H. den Job. "Ich bin der Kopf und der Name, der letztlich die Verantwortung trägt."

Jeden Tag um 7.30 Uhr tritt Claudia H. ihren Dienst an. Sie arbeitet sich durch "enorm viele Mails", stellt Sommer- und Wochenstatistiken auf, plant Konferenzen und außerschulische Kooperationen mit Kirchen, Vereinen, Polizei, führt Elterngespräche, erarbeitet Medienkonzepte und gibt nebenbei noch sieben Stunden Unterricht pro Woche.

Bis 16.00 Uhr versucht H., die Arbeit zu schaffen. "Dies gelingt nicht immer, so dass ich auch abends, wenn ich meine Kinder ins Bett gebracht habe, für die Schule arbeiten muss." Zeit für die Vorbereitung zur Prüfung, um hauptamtliche Schulleiterin zu werden, bleibt Claudia H. nicht.

Hunderte Schulleiterposten vakant

Blickt man auf das Pensum von Claudia H., wundert es nicht, dass der Rektoren-Posten wenig begehrt ist. Bundesweit sind weit mehr als 1000 Leitungsstellen vakant, wie aus einer Stichproben-Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den Bildungsministerien der Länder hervorgeht. Betroffen sind vor allem Grundschulen. Ganz führungslos sind die Schulen allerdings nicht. Denn überall werden Lehrkräfte als kommissarische Leiter eingesetzt. Aber in NRW zum Beispiel bekommen sie erst nach einem Jahr in dieser verantwortungsvollen Manager-Position eine Zulage zum Lehrergehalt.

In dem bevölkerungsreichsten Bundesland waren laut Statistik des Schulministeriums Anfang August 457 Schulleiterposten nicht besetzt, davon allein an 250 an Grundschulen. Das ist etwa jede zehnte Grundschule. Hinzu kommen 482 unbesetzte Konrektorenstellen. In Baden-Württemberg gab es Mitte November landesweit fast 250 vakante Schulleiterstellen - davon mehr als 150 an Grundschulen. In 84 Fällen liefen laut Kultusministerium die Besetzungsverfahren.

In Niedersachsen sind an mehr als 170 von etwa 2800 Schulen die Rektorenposten verwaist - allein 98 davon an Grundschulen. "Es ist insbesondere an kleineren Schulen in ländlichen Regionen schwieriger, Schulleitungsstellen zu besetzen", sagt Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD).

In der Hauptstadt Berlin sind 35 Schulen ohne Leiter - Tendenz steigend. Auch Schulen in Brandenburg suchen händeringend nach Rektoren. Teilweise müssten Stellen in Regionen fern von Berlin mehrfach ausgeschrieben werden, weil keine Bewerbungen vorlägen, heißt es im Bildungsministerium in Potsdam. In Bayern ist Schulleitermangel nach Darstellung des Kultusministeriums dagegen kaum Thema. Weniger als ein Prozent der Leiterstellen seien unbesetzt.

Angespannt ist die Lage dagegen im Osten Deutschlands. In Sachsen wurden zur Jahresmitte laut Kultusministerium 94 Schulen kommissarisch geleitet, davon 62 Grundschulen. In Sachsen-Anhalt sind laut Bildungsministerium 73 Schulleitungsposten nicht besetzt, das sind neun Prozent aller Schulen.

Schulleiter sind Manager

Eine Schule ohne Leitung - das ist so, als hätte eine Firma keinen Geschäftsführer. Schulleiter sind heutzutage vor allem Manager - mit allen finanziellen und rechtlichen Pflichten. "Schulleiter werden juristisch behandelt wie Betriebsleiter", sagt Harald Willert, Vize-Vorsitzender des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands (asd). Was früher noch Schulämter entschieden hätten, liege heute auf dem Schreibtisch der Rektoren, etwa Verbeamtungsverfahren. "Man muss es selber machen, hat keine Leute dafür, und muss es auch noch verantworten", sagt Willert. Viele Lehrer winkten bei einer Leiterstelle wegen der Bezahlung ab. Manchmal seien es nur 90 Euro mehr. "Mit zwei Nachhilfestunden hat man das raus - und keinen Ärger", so Willert.

Schulleiter fühlen sich wie auch Lehrer von der Politik wenig wertgeschätzt. Sie tragen eine riesige Verantwortung. "Aber gerade in Grundschulen ist die Bezahlung gegenüber normalen Lehrern nicht besonders attraktiv", sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Auch die Leitungszeit für Verwaltungsarbeit reiche oft nicht aus.

"Das größte Problem für die Schulleiter ist aber im Moment der Lehrermangel", sagt Beckmann. Viele wünschten sich ein Team, zumindest einen Konrektor, mit dem sie die Arbeit teilen könnten. "Wenn es aber nur die Aufgabe ist, den Mangel zu verwalten und den Kopf dafür hinzuhalten, dann ist das nicht attraktiv genug und macht auch keinen Spaß."

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, spricht von einem deutlichen Rückgang an Bewerbern. "Schulleitung in Zeiten von Lehrermangel ist noch mal ein deutlich undankbareres Geschäft geworden." Auch das Prestige sei nicht mehr so hoch wie einst. Die Anforderungen seien dagegen "enorm gewachsen". Aber finanziell sei der Job oft "nicht so interessant". An Schulen aber liege manchmal nur eine Gehaltsstufe zwischen Lehrer- und Rektorengehalt, was vielleicht 500 Euro brutto ausmache.

Ob Angriffe von Schülern auf Lehrer oder Eltern, die mit dem Rechtsanwalt drohen, wenn die Noten ihrer Sprösslinge schlecht sind - alle Probleme landen auf dem Tisch des Schulleiters. Die Schülerschaft werde schwieriger, die Eltern seien "anspruchsvoller geworden", sagt Meidinger. "Sie betrachten die Schule als Dienstleister und sich selber als Kunden."

Grundschulleitung besonders unbeliebt

Der Lehrermangel verschärft das Problem. "Es gibt Grundschulleiter, die endlos Vertretungsstunden machen", sagt Meidinger. Darüber hinaus seien Schulsekretariate oft nur dünn besetzt. "An kleineren Schulen schreibt teilweise die Schulleiterin die Briefe selber."

Warum aber ist gerade an Grundschulen die Leitung so oft nicht besetzt? Die Grundschule gelte immer noch als "niedere Schule", sagt Bildungsforscher Hans Brügelmann. Auch er sieht die schlechtere Bezahlung von Grundschullehrern und -rektoren im Vergleich zu Kollegen am Gymnasium als einen Grund für die mangelnde Nachfrage. "Viele haben das Gefühl, sie seien am unteren Ende einer Statusskala." Einige Länder wie NRW oder Baden-Württemberg haben reagiert und Grundschulrektoren in höhere Besoldungsstufen befördert.

Mehr als 90 Prozent der Lehrkräfte an Grundschulen sind laut Brügelmann zudem Frauen. Sie hätten mehr als Männer noch den "Nebenberuf Familie" zu managen. "Da ist es verständlich, dass viele sich überlegen, ob sie sich auf eine Schulleitung einlassen." Immerhin gibt es erste Versuche, mehr Frauen in Schulleitungsstellen zu bringen. In NRW soll in einem Schulversuch erprobt werden, ob eine Grundschule von zwei Teilzeitleitkräften geführt werden kann. Bisher gibt es eine Bewerbung und eine weitere Interessentin. (br/dpa)

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