• Seit einiger Zeit versucht die Polizei, Delikte mit Messern gesondert zu erfassen.
  • Nach Taten wie der von Würzburg besteht stets ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit, wie sich die Zahl solcher Delikte entwickelt.
  • Laut dem Rechtspsychologe Thomas Bliesener gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass diese Art von Taten zunehmen.
Ein Interview

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Herr Bliesener, vor einiger Zeit wurde in Deutschland beschlossen, dass die Polizei Delikte mit Messern gesondert erfassen soll. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für diese spezielle Statistik?

Thomas Bliesener: Es gab damals, 2018, einige Vorfälle, die in der Öffentlichkeit, auch medial, viel beachtet wurden. Man wollte von politischer Seite gerne wissen, ob es da in den vergangenen Jahren tatsächlich eine Zunahme gegeben hat, oder es nur ein gefühlter Anstieg war.

Delikte mit Messern werden gesondert erfasst

Die Diskussion war hitzig, die AfD machte damals einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Messerangriffen auf. Auch Politiker anderer Parteien forderten schärfere Gesetze. Nun werden diese Zahlen also von einigen Bundesländern gesondert erfasst - haben sie Klarheit in der Frage gebracht, ob diese Art von Taten zugenommen haben?

Nein, die Zahlen schwanken stark, es lässt sich da keine bestimmte Tendenz ablesen. Bei einer Tendenz geht es ja darum, wie sich Zahlen über mehrere Jahre entwickeln. Und da kann man insgesamt sagen: Eine Tendenz, dass Delikte mit Messern zugenommen haben, ist nicht feststellbar.

Was würde man denn aus einer Tendenz - in welche Richtung auch immer - ableiten?

Handeln müsste man ja überhaupt nur, wenn die Zahl der Delikte zunähme. Dann müsste man sich natürlich Gedanken darüber machen, wie man das verhindert oder härter bestraft. Denkbar ist zum Beispiel, dass das Tragen bestimmter Messer verboten wird.

Da ist noch Spielraum, obwohl ja schon einige verboten sind, etwa Butterfly-Messer oder andere Messer, die mit einer Hand geöffnet werden können. Derzeit sehen wir für eine Verschärfung aber keinen Anlass.

Als Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen kennen Sie sich natürlich mit Kriminalitätsstatistik aus, vor allem sind ja aber Psychologe mit dem Schwerpunkt Kriminologie. Deswegen eine Frage zum Messer als Tatwaffe: Warum greift ein Täter zum Messer anstatt zu einer anderen Waffe, etwa einer Schusswaffe?

Ein Messer zu verwenden, ist erst einmal nicht besonders naheliegend. Ein Täter oder eine Täterin muss dieses Werkzeug erstmal als Waffe sehen, um sie einzusetzen. Das klingt banal, ist es aber nicht.

Den meisten von uns würde es nicht einfallen, ein Messer als etwas anderes als ein Werkzeug zum Schneiden zu betrachten. Ein Messerangriff erfordert also Vorbereitung, auch mental. Jemand, der mit einem Messer einen anderen Menschen attackiert, hat das wahrscheinlich vorher zumindest im Kopf mehrmals durchgespielt.

Welche Rolle spielt denn dabei, dass sich an ein Messer wahrscheinlich leichter herankommen lässt als an eine Schusswaffe?

Messer sind natürlich leichter zugänglich. Häufig ist es so, dass Täter das Messer erst einmal einstecken und mit sich herumtragen, wenn sie draußen herumlaufen. Sie erklären dazu, sie trügen das nur, um sich bei einem Angriff verteidigen zu können. Es gibt auch Milieus, in denen es Ansehen bringt, eine Waffe mit sich herumzutragen.

Gründe für das Messer als Tatwaffe

Gibt es andere Gründe, weshalb ein Täter oder eine Täterin ein Messer als Tatwaffe wählt? Spielt etwa die Nähe zum Opfer eine Rolle? Eine Messerattacke ist ja eine sehr unmittelbare Tat.

Tatsächlich kann eine Angriffshemmung durch eine große Entfernung überwunden werden. Ein Angriff kostet umso mehr Überwindung, je näher das Opfer ist.

Die meisten Angriffe finden aber in Zuständen höchster Erregung statt. Diese emotionale Erregung führt dazu, dass die Täter ihre Hemmungen ablegen und ihr Gegenüber schwer oder gar tödlich verletzten. Das gilt übrigens auch für den Schusswaffengebrauch: Die meisten Opfer werden aus nächster Nähe und nicht aus der Entfernung erschossen.

Über den Experten: Professor Thomas Bliesener ist Diplom-Psychologe mit Schwerpunkt Rechtspsychologie. Er ist seit April 2015 Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover. Zwei seiner aktuellen Projekte beschäftigen sich mit der "Radikalisierung im digitalen Zeitalter" und der "Entwicklung der Kriminalität von Zuwanderern in Schleswig-Holstein".
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