• Am 5. September jährt sich das Olympia-Attentat in München zum 50. Mal.
  • Die versuchte Geiselbefreiung der Polizei wurde zum Fiasko, alle israelischen Geiseln, ein Polizist und fünf palästinensische Terroristen starben am Flugplatz Fürstenfeldbruck.
  • Guido Schlosser war als junger Polizist dabei und erinnert sich im Interview zurück.
Ein Interview

Das Unternehmen schien von vorneherein aussichtslos. Ein Freiwilligenkommando mit jungen Polizisten, die meisten gerade frisch aus der Ausbildung, sollte am 5. September 1972 die acht Terroristen ausschalten, die im Olympischen Dorf elf israelische Sportler und Trainer als Geiseln genommen hatten.

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Als Flugzeugcrew verkleidet wurden die Polizisten in einem Flugzeug platziert, das dem palästinensischen Terrorkommando auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck bereitgestellt worden war. Ohne entsprechendes Training, nur mit Pistolen bewaffnet und einem schlechten Schussfeld an Bord der Maschine, sahen die Polizisten keine Chance, die Geiseln zu befreien. Sie verließen das Flugzeug und postierten sich auf dem Flugplatz, bei dem anschließenden Feuergefecht wurden alle Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf Palästinenser getötet.

Polizisten wurden als Feiglinge bezeichnet

Dass die Geiselbefreiung in einem Fiasko endete, wurde dem Freiwilligenkommando angelastet. Von Befehlsverweigerung war die Rede, die Polizisten wurden als Feiglinge bezeichnet. Guido Schlosser, der sich im Alter von 21 Jahren freiwillig für den Einsatz meldete, hat viele Jahre über seine Erlebnisse geschwiegen.

Nun, zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats, hat er mit seiner Tochter Patrizia Schlosser, einer Journalistin, den Podcast "Himmelfahrtskommando" für den Bayerischen Rundfunk aufgenommen. In der neuen Sky-Dokumentation "1972 – Münchens Schwarzer September" ist er ebenfalls zu sehen. Im Interview mit unserer Redaktion erinnert sich Schlosser zurück.

Herr Schlosser, Sie haben sich jahrzehntelang nicht öffentlich zu Ihren Erlebnissen während des Olympia-Attentats 1972 geäußert. Was hat Sie dazu gebracht, nun den Podcast mit Ihrer Tochter aufzunehmen und in der Sky-Dokumentation aufzutreten?

Guido Schlosser: Meine Tochter Patrizia hat 2018 einen preisgekrönten Podcast über die RAF gemacht, das Olympia-Attentat hat sich dabei im Zusammenhang mit dem Terrorismus allgemein wie ein roter Faden durch den Podcast gezogen. Wir waren gemeinsam zur Recherche in Amman in Jordanien, ein Interview mit Leila Khaled (führendes Mitglied der Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas, Anm.d.Red.) wurde abgesagt und wir hatten viel Zeit.

Und dann hat meine Tochter gesagt: Erzähl doch mal, was damals passiert ist. Und dann habe ich zum ersten Mal meine Geschichte in allen Einzelheiten erzählt. Meine Tochter war die erste. Nicht mal meiner Ehefrau hatte ich das erzählt, weil es mich immer so sehr gestresst hat. Das war ein psychisches Problem.

Hilft es Ihnen bei der Verarbeitung der Ereignisse, jetzt darüber zu sprechen?

Nachdem ich meiner Tochter meine Geschichte erzählt hatte, ist die Idee entstanden, einen eigenen Podcast zum Olympia-Attentat zu machen. Wir sind dann so richtig in die Recherche eingestiegen. Das hat meiner Psyche geholfen, weil wir nachweisen konnten, dass wir in dem Flugzeug nicht daran schuld waren, dass die Geiselnahme nicht zu einem glücklichen Ende gekommen ist, wie es der ehemalige bayerische Innenminister Bruno Merk 1992 in einer Fernsehsendung behauptet hat.

Wir, die das Flugzeug verlassen haben, waren nicht die großen Versager. Das war nur vorgeschoben. Das Flugzeug stand dort nur als Täuschungsmanöver. Es war nicht vorgesehen, dass die Terroristen damit wegfliegen und es war auch nicht vorgesehen, dass sie in dem Flugzeug überwältigt werden.

Was ist bei der geplanten Geiselbefreiung schiefgelaufen?

Man hat festgestellt, dass man die Terroristen in dem Gebäude im Olympia-Dorf nicht überwältigen kann. Durch die Zusage, sie von Fürstenfeldbruck aus mit dem Flugzeug nach Ägypten auszufliegen, hat man sie aus der Enge des Gebäudes herausbekommen.

Terroristen einen Hubschrauber zur Verfügung zu stellen war "ein Riesenfehler"

Sie dann in Hubschrauber zu setzen, war aber schon ein Riesenfehler. Die hätten einfach irgendwo anders hinfliegen und abhauen können. Aber sie haben daran geglaubt, dass ein Flugzeug für sie bereitsteht und sind deshalb nach Fürstenfeldbruck geflogen. Die Idee, sie aus der Enge eines Gebäudes in die Enge einer Boeing 727 reinzulassen, war totaler Blödsinn.

Wie soll man darin Geiseln befreien? Aber das hat nie jemand hinterfragt. Es war eine tolle Geschichte für die Presse, dass 14 Polizisten einfach aus dem Flugzeug abgehauen sind. In den 50 Jahren hat niemand recherchiert, ob die Aktion Sinn gemacht hätte.

Wenn das dann noch von ganz oben so dargestellt wird, dass man schuld ist, bekommt man Schuldgefühle und fragt sich, ob man nicht doch etwas hätte machen können. Das hat mich psychisch extrem belastet. Wir haben jetzt als Erste dazu recherchiert und die Vorwürfe beiseiteräumen können.

Sie hatten am 5. September 1972 eigentlich frei und haben sich freiwillig für den Einsatz gemeldet. Wann haben Sie erfahren, dass Sie und Ihre Kollegen die Terroristen ausschalten sollten?

Wir hatten am Abend vorher gefeiert und einige waren nicht gut beinand. Als wir dann im Fernsehen gesehen haben, was passiert ist, waren wir durch das Adrenalin schnell wieder klar. Am späten Nachmittag wurde uns gesagt, dass es sich um einen Sondereinsatz handelt.

Aber da habe ich immer noch gedacht, es würde darum gehen, im Olympiapark beim Absperren zu helfen. Erst als wir mit Blaulicht ins Präsidium gefahren wurden, ist mir klar geworden, dass es sich um etwas Größeres handeln muss.

Dort ist uns dann gesagt worden, worum es geht. Dann sind wir mit Hubschraubern aus der Kaserne in der Schwere-Reiter-Straße nach Fürstenfeldbruck geflogen worden. Zu diesem Zeitpunkt ging die Sonne unter, das Flugzeug war noch nicht da.

Was ist dann in Fürstenfeldbruck auf dem Flugplatz passiert?

Die Befreiungsaktion im Flugzeug war weder Plan A noch Plan B. Die Terroristen sollten eigentlich auf dem Weg vom Hubschrauber zum Flugzeug überwältigt werden. Es hat sich ein polizeitaktischer Fehler an den anderen gereiht, gepaart mit schlechter Ausrüstung und schlechter Ausbildung. Das hat für ein totales Fiasko gesorgt.

Die Politik und die oberen Polizeiführer hätten damals in der Nachbetrachtung eingestehen müssen, dass schlimme Fehler gemacht wurden und sagen müssen, dass es ihnen leidtut, dass niemand gerettet werden konnte. Aber das haben sie niemals gemacht.

Sie haben gesagt, dass das Maximale getan worden wäre. Und das ist eine Unverschämtheit gegenüber den Angehörigen der Opfer und hat über die Jahre für große Wut bei diesen gesorgt. Eine Entschuldigung wäre angebracht, stattdessen sind immer noch wichtige Dokumente gesperrt. Die Angehörigen werden immer wieder vertröstet.

Wie haben Sie das anschließende Feuergefecht am Flugplatz Fürstenfeldbruck erlebt, bei dem neun israelische Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf Palästinenser getötet wurden?

Es gab ein kurzes Zeitfenster nach der Landung, da waren sechs Terroristen außerhalb der Hubschrauber. Man hätte sie ausschalten können, wenn es genug Scharfschützen gegeben hätte. Aber es war ein Kasperletheater im Tower. Heute würde es so etwas nicht mehr geben, dass ein anwesender Politiker aktiv bei so etwas eingreifen und sagen kann: Ich entscheide, wann geschossen wird.

Schlosser: "Die schlimmste Nacht meines Lebens"

Irgendwann hat einer der Scharfschützen gesagt: Kruzifix, jetzt müsst ihr euch schon mal entscheiden, wann wir schießen sollen. Ich war als Melder des Einsatzleiters eingesetzt. Ich habe die Toten gesehen und wie das Blut geflossen ist.

Diese unwahrscheinlich furchtbaren Bilder bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf. Die Gesichter der toten Israelis habe ich total verinnerlicht. Ich erinnere mich genau, wie sie in dem Hubschrauber gesessen haben. Das war die schlimmste Nacht meines Lebens.

Sie haben Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten Fechttrainers André Spitzer und Sprecherin der Opfer-Angehörigen, in Tel Aviv besucht. Wie lief der Besuch ab?

Frau Spitzer hat viel dazu beigetragen, dass ich alles so verarbeiten konnte, dass ich mich nicht mehr schuldig fühle. Sie hat gesagt, dass wir letztlich auch nur Bauernopfer waren und missbraucht wurden, weil die Führung versagt hat. Ihre Tochter Anouk hat gesagt: Ihr habt sechs Millionen Juden umbringen können, habt eine perfekt organisierte Tötungsmaschine gehabt. Und jetzt seid ihr nicht in der Lage, acht Terroristen auszuschalten?

Der Spruch hat uns vom Hocker gehauen, das hat uns wehgetan. Sie hat sich dafür entschuldigt, aber so wird in Israel immer noch gedacht. Daran haben auch die arroganten Politiker Schuld, die damals an der Macht waren und es nicht geschafft haben, die Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen. Gelegenheiten gab es genug und gibt es bis heute.

Die Angehörigen der Opfer sagen sich: Die haben uns nach Strich und Faden verarscht, die haben überhaupt kein Mitgefühl gezeigt. Und jetzt fordern wir Geld. So erklären sich die Forderungen. Das Treffen mit Frau Spitzer war deshalb sehr emotional, das waren schwere Minuten. Es wurde geweint, die Stimme hat versagt.

Die Olympischen Spiele wurden fortgesetzt. Wie haben Sie die Atmosphäre nach dem Olympia-Attentat wahrgenommen?

Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Nichts war mehr, wie es zuvor war. Nur wir waren weiter im Dienst, als wäre nichts gewesen. Psychologische Betreuung oder Ähnliches gab es nicht. Wir haben einen halben Tag freibekommen, um die Vorkämpfe im Zehnkampf zu verfolgen. Das war der Dank für unseren Einsatz.

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Man hat bei guten Leistungen im Stadion geklatscht. Aber diese Euphorie und Begeisterung, wie man sie zuletzt auch wieder bei den Europameisterschaften in München gespürt hat, war weg. Die Leute in der Stadt waren sehr bedrückt, viele der Touristen sind abgereist. Die Stimmung war im Keller, da war keine Freude mehr. Das war sehr schade. Wenn das Attentat nicht passiert wäre, wären die Olympischen Spiele von München vielleicht bis heute als die schönsten in Erinnerung.

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