Nördlich von Hannover geht der Wolf um: Das Leittier des Rodewalder Rudels hat vermutlich ein acht Monate altes Isländerpferd gerissen. Die Menschen sind alarmiert, das Umweltministerium von Niedersachsen will den Wolf nun töten lassen. Die Frage ist jedoch: Löst das das Problem oder muss an einer ganz anderen Stelle angesetzt werden?

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Arnar Halldorsson erlitt einen Schock, als er sah, was von dem kleinen Isländerpferd Snót übrig geblieben war. Hinten auf der Weide lag der Kadaver: abgenagte Rippen und Beinknochen, nur der Kopf der acht Monate alten Stute war noch komplett.

Gut eine Woche später hat das Gestüt Hrafnsholt in Nöpke nördlich von Hannover die offizielle Bestätigung: Das gut 100 Kilo schwere Jungtier wurde in der Nacht zum 5. Februar von Wölfen gerissen. Verantwortlich könnte der Rüde GW 717m sein, für dessen Abschuss das niedersächsische Umweltministerium Ende Januar eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt hat.

Rodewalder Wolfsrudel
Arnar Halldórsson, Mitarbeiter und Sohn des Inhabers eines Islandpferde-Gestüts. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

"Ich hätte nie gedacht, dass es uns so treffen würde", sagt Halldorsson, ein kräftiger Mann, der noch immer unter dem Eindruck der Wolfsattacke steht. Als die Wölfe kamen, hatten zehn Pferde auf der Weide gestanden. "Sie waren danach komplett erschöpft und legten sich hin, als wir da waren und sie sich sicher fühlten", erzählt der 39-Jährige. Jetzt wurden sie auf eine Koppel näher am Hof gebracht.

Abschuss es Leitwolfs löst das Problem nicht

Lange hieß es, dass Herden von großen Tieren sich selbst gegen Wolfsangriffe schützen könnten. Unter den Nutztieren werden ansonsten vor allem Schafe und Ziegen von Wölfen gerissen.

Doch das inzwischen berüchtigte Rodewalder Rudel attackiert in seinem Jagdrevier seit dem Frühjahr 2018 immer wieder Rinder und zuletzt mehrere Ponys. Auch ein Alpaka fiel ihm schon zum Opfer. Betroffen sind Teile des Landkreises Nienburg, des Heidekreises und der Region Hannover.

Dass ein Abschuss des Leitwolfs das Problem löst, glaubt der Leiter des Isländergestüts, Herbert Ólason, nicht. "Der hat sein Wissen schon an die Welpen weitergegeben", meint er. "Es ist leichter, in eingezäunten Wiesen Beute zu fangen als in der Wildnis."

Aus Ólasons Sicht muss die Population des Wolfes begrenzt werden - gerade weil Pferde, aber auch vermehrt Kühe und Schweine artgerecht - also draußen - gehalten werden.

Seit der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland führen Gegner und Befürworter einen erbitterten Streit. Der Rodewalder Rüde GW 717m wird von Wolfsschützern in sozialen Medien liebevoll Roddy genannt. Naturschutzvereine legten Einspruch gegen die Abschussgenehmigung des Landes ein - jetzt ist das Verwaltungsgericht Oldenburg am Zug.

Proteste gegen Tötung von Wolf im Jahr 2016

Das niedersächsische Umweltministerium äußert sich nicht dazu, wie es demnächst GW 717m aufspüren will, sollte das Verwaltungsgericht dafür grünes Licht geben. Der bundesweit erste Wolf, der im April 2016 ebenfalls in Niedersachsen mit behördlicher Genehmigung erschossen wurde, hatte einen Sender getragen. Schon damals hatte es Proteste gegen die Tötung des Kurti getauften jungen Wolfes gegeben. Er war in der Lüneburger Heide mehrfach Menschen sehr nahe gekommen.

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) Niedersachsen fragt, warum nicht erst versucht wurde, den Leitwolf zu vergrämen oder mit einem Sender auszustatten. Möglicherweise müssten auch Rinderherden mit wolfsabweisenden Zäunen ausgestattet werden, meinen Naturschützer.

Etwa zehn Kilometer nordöstlich des Isländergestüts in Nöpke liegt Rodewald. Schon vor über 70 Jahren sorgte hier ein Wolf für Aufsehen. Der "Würger vom Lichtenmoor" - so der Titel einer Zeitungsserie - wurde im August 1948 nach Dutzenden Rinderrissen von einem Bauern erschossen. Sein präparierter Kopf hängt im Heimatmuseum.

Rodewalder Wolfsrudel
Der präparierte Kopf des "Würgers vom Lichtenmoor" aus dem Jahr 1948 hängt heute im Heimatmuseum. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Gisela Weier vom Heimatverein hat sich intensiv mit diesem Wolf beschäftigt. "Damals hatten die Menschen eine Riesenangst", erzählt sie. Um den Wolf zu finden, sei eine Treibjagd mit tausend Leuten veranstaltet worden.

Waldkindergarten wurde bereits eingezäunt

In Rodewald berichten Einwohner davon, in der Dämmerung Wölfe gesehen zu haben. Den örtlichen Waldkindergarten zäunten Eltern im Herbst aus Sorge um ihre Söhne und Töchter ein. "Der größte Teil der Menschen hier würde sich besser fühlen, wenn es das Rudel nicht gäbe", meint Weier, die persönlich "gar keine Angst vor dem Wolf" hat.

Sie fragt sich, warum nicht alle Welpen in Niedersachsen mit Sendern ausgestattet werden: "Es ist nicht damit getan, dass der Rüde abgeschossen wird." (pak/dpa)

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