Inmitten einer sich stetig verschärfenden Coronakrise und sich zuspitzenden Wahlkampf-Phase streitet die US-Politik über Maßnahmen gegen die Folgen der Pandemie. Ein Experte warnt: Wenn der Staat untätig bleibt, könnte sich die Krise für Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheitssystem dramatisch verschärfen.

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Die Corona-Pandemie hat den USA schon so manch traurigen Rekord beschert. Laut Johns-Hopkins-Universität haben sich im Land bisher mehr als 4,2 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, fast 150.000 sind daran gestorben.

Nach den Beschränkungen des öffentlichen Lebens hatte sich die Arbeitslosenquote im April in einem historischen Sprung von 4,4 Prozent auf 14,7 Prozent mehr als verdreifacht. Inzwischen ist sie zwar wieder leicht auf 11,1 Prozent gesunken – doch noch immer sind 17,8 Millionen Amerikaner ohne Job.

Die Lage könnte sich nun weiter zuspitzen. Denn derzeit ist unklar, wie die Politik auf die Pandemie und ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen reagiert.

Bisher 600 Dollar Zuschuss zur Arbeitslosenhilfe

Um die schlimmsten Folgen abzufedern, hatte der US-Kongress Ende März den "CARES-Act" erlassen: das größte wirtschaftliche Konjunkturpaket in der amerikanischen Geschichte.

Es war insgesamt 2,2 Billionen US-Dollar schwer und stellte Geld für Darlehen an kleine Unternehmen sowie für die Gesundheitsversorgung bereit. Vor allem aber wurde dadurch die in den USA recht schmale Arbeitslosenhilfe pro Person um 600 Dollar aufgestockt.

"Diese Entlastung hat es vielen Arbeitslosen und ihren Familien ermöglicht, ihren Lebensstandard und ihre Ausgaben auf dem Level von vor der Corona-Zeit zu halten", sagt Chad Stone im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er ist Chef-Ökonom des unabhängigen Forschungsinstituts "Center on Budget and Policy Priorities" in der US-Hauptstadt Washington. "Dadurch wurde die Wirtschaft maßgeblich unterstützt – und das hat verhindert, dass der Abschwung noch schärfer ausgefallen wäre."

Das Gesetzespaket schützte zudem Amerikaner, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, vor einer Zwangsräumung.

Parteien uneins über neues Gesetzespaket

Doch Ende Juli – also schon in wenigen Tagen – läuft das Gesetz aus. In Washington ringen Republikaner und Demokraten um eine Nachfolgeregelung. Die beiden Parteien haben jeweils in einer der beiden Kongresskammern eine Mehrheit. Wenn sie sich nicht einigen, wird es kein neues Gesetz geben.

Für Streit sorgt vor allem die Höhe der Ausgaben: Die Republikaner schlagen ein eine Billion Dollar teures Gesetzespaket mit dem klingenden Namen HEALS-Act vor.

Es sieht Geld für die Schulen aber auch Direktzahlungen an Bürger und Unternehmen vor. Den Zuschuss zur Arbeitslosenhilfe wollen die Republikaner allerdings von derzeit 600 auf 200 Dollar pro Person kürzen.

Den Demokraten ist das zu wenig. Sie haben im Repräsentantenhaus bereits den HEROES-Act verabschiedet – noch so ein klingender Name. Dieses "Helden-Gesetz" sieht vor, dass der Staat drei Billionen US-Dollar ausgibt.

Im von den Republikanern kontrollierten Senat fiel der Gesetzesvorschlag allerdings durch. Jetzt müssen sich beide Seiten aufeinander zubewegen, wenn es eine Nachfolgeregelung für den CARES-Act geben soll.

Große soziale Risiken

Experten warnen schon länger davor, das Programm ohne Ersatz auslaufen zu lassen. Viele Amerikaner haben kaum Rücklagen und sind daher in dieser Situation auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Vor allem, wenn die 600-Dollar-Zahlungen an Arbeitslose sowie das Räumungsverbot enden, befürchtet Wirtschaftswissenschaftler Chad Stone weitreichende soziale und wirtschaftliche Folgen. "Das würde Millionen von Amerikanern der Gefahr aussetzen, ohne Dach über dem Kopf auf der Straße zu landen.

Arbeiter würden eine viel niedrigere Arbeitslosenhilfe bekommen, was wiederum ihre Kaufkraft schmälern würde." Die Folgen seien eine viel langsamere wirtschaftliche Erholung und eine weiter steigende Arbeitslosigkeit.

159 renommierte Ökonomen unterzeichneten schon Ende Juni einen Brief, in dem sie die Politik dringend aufforderten, ein weiteres Konjunkturpaket nachzuschieben.

"Wenn es dem Kongress nicht gelingt zu handeln, werden auf die Bundesstaaten und Kommunen möglicherweise desaströse Steuerausfälle zukommen", heißt es darin.

Was Wissenschaftler vorschlagen

Die Experten sind sich zwar uneins, wie umfangreich ein neues Paket ausfallen sollte. Sie fordern aber einmütig eine Fortsetzung der Zuschüsse zur Arbeitslosenhilfe und eine finanzielle Unterstützung der Bundesstaaten und Kommunen.

Zudem schlagen sie Programme vor, die das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern stabilisieren. Kurzarbeitergeld wie in vielen europäischen Staaten kennen die USA nicht. Daher müssen Firmen in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihre Mitarbeiter häufig schnell entlassen.

Die wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Lage der Bevölkerung und die Bekämpfung des Virus hängen untrennbar zusammen: Ein weiterer wirtschaftliche Abschwung könnte auch die Situation im Gesundheitssystem verschlimmern.

Wenn Menschen von ihrer Arbeitslosenunterstützung nicht mehr leben können, können sie sich gezwungen fühlen, sich trotz Krankheit zur Arbeit zu schleppen. Das wiederum würde die Ausbreitung des Virus begünstigen.

Chef-Ökonom Chad Stone sagt daher: "Der Erfolg jedes Nachfolgeprogramm wird davon abhängig sein, ob es gelingt, das Coronavirus in Schach zu halten. Nur dann ist es für die Menschen sicher genug, zur Arbeit zu gehen und an wirtschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen."

Über den Experten:
Chad Stone hat an der Yale-Universität promoviert und in mehreren Funktionen für die Demokraten im US-Kongress gearbeitet. Er ist Chef-Ökonom am parteiunabhängigen Forschungs- und Beratungsinstitut "Center in Budget and Policy Priorities" und beschäftigt sich vor allem mit öffentlichen Finanzen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Chad Stone, Center on Budget and Policy Priorities
  • CNN Politics: McConnell formally unveils $1 trillion Senate GOP stimulus proposal: „The American people need more help“
  • Forbes.com: Stimulus: Here Are The Latest Numbers For Second Stimulus Checks, Student Loans, Unemployment And More
  • Johns Hopkins University: COVID-19 Dashboard
  • US-Arbeitsministerium: The Employment Situation – June 2020

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