• 13 Forscher unterschiedlichster Fachrichtungen haben in einem Strategiepapier skizziert, wie aus ihrer Sicht der Corona-Dauerlockdown am besten abgelöst werden kann.
  • Die Wissenschaftler streben ein "NO-COVID-Ziel" an, sprich Null Neuinfektionen und Todesfälle.
  • In dem Papier präsentieren die Wissenschaftler auch ihre Argumente gegen die verbreitetsten Missverständnisse im Umgang mit der Pandemie.

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Dass angesichts weiterhin hoher Fallzahlen und täglich Hunderter neuer Corona-Toten gehandelt werden muss, ist Bund und Ländern bewusst. Sie wollen zur Eindämmung des Virus den derzeitigen Lockdown erneut verlängern, nun bis zum 14. Februar, wie am Dienstag bekannt wurde.

Doch im Hintergrund ringen sowohl Politik, Wirtschaft und Wissenschaft weiter um den richtigen Weg. 13 renommierte Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen, darunter die Virologin Melanie Brinkmann, der Ökonom Clemens Fuest und der Physiker Michael Meyer-Hermann, haben nun einen möglichst harten, aber dafür zeitlich begrenzen Lockdown vorgeschlagen. Sie verfolgen ein "NO-COVID-Ziel".

Im Kern geht es den Experten darum, Neuinfektionen, Todesfälle und weitere bundesweite Lockdowns gänzlich zu vermeiden. Die Null soll dabei so schnell wie möglich erreicht werden. So entstehende "Grünen Zonen" sollen dann durch lokale Kontrollen, Tests und Quarantänen sowie ein "rigoroses Ausbruchsmanagement" gesichert werden. In den Zonen sollen alle Beschränkungen und Corona-Regeln aufgehoben werden. Die Wissenschaftler sehen das als Hauptanreiz für die Bevölkerung.

In ihrem elfseitigen Strategiepapier mit dem Titel "Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2", das "Die Zeit" veröffentlicht hat, beschreiben sie ihren radikalen Vorschlag zum Weg aus der Corona-Dauerkrise. Die Autoren haben sich dabei Australien und Neuseeland zum Vorbild genommen.

Angelehnt an die in dem Papier aufgeführte Strategie wollen die Wissenschaftler zudem aus ihrer Sicht in Deutschland verbreitete Mythen geraderücken. Wir haben die Erläuterungen zu acht Missverständnissen zusammengefasst:

Annahme 1: Gesundheit und Wirtschaft stehen in Konkurrenz zueinander

Klar ist: Jede Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie, die das öffentliche Leben einschränkt, hat negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Je stärker die Regeln sind, desto stärker wird auch die Wirtschaft beeinträchtigt. Ein ebenso entscheidender Faktor ist allerdings auch die Dauer der Einschränkungen. Hier sagen die Autoren des Strategiepapiers: Sehr starke, aber dafür verhältnismäßig kurze Einschränkungen würden durch eine schnellere Bewältigung der Pandemie "überkompensiert". "Daher werden Maßnahmen zur schnellen Bewältigung der Pandemie nicht auf Kosten, sondern im Interesse der Wirtschaft ergriffen", schreiben die Experten. Sie betonen, dass der seit Oktober bestehende Lockdown nicht nur viele Todesopfer gefordert habe, sondern auch "wirtschaftlich den größten Schaden anrichtet".

Annahme 2: Wie können die Risikogruppen schützen

Weltweit habe sich den Wissenschaftlern zufolge gezeigt, dass es "praktisch unmöglich" ist, alle Risikogruppen zu schützen. Es sei schwierig, alle Infizierten überhaupt zu identifizieren und diese konsequent von Gesunden zu trennen. Im überalterten Deutschland umfassen die verschiedenen Risikogruppen, zu denen neben Senioren laut Robert-Koch-Institut etwa auch stark übergewichtige Menschen oder Asthma- und Diabetespatienten zählen, bis zu 33 Millionen Menschen.

Annahme 3: Nur alte Menschen sind von COVID-19 betroffen

"Selbst in einer jüngeren Bevölkerung ist SARS-CoV-2 schädlich und tödlich", betonen die Wissenschaftler unter Verweis auf mehrere internationale Studien. Dazu komme, dass das Virus auch mit Blick auf mögliche Langzeitfolgen noch nicht vollständig erforscht ist.

Annahme 4: Wer infiziert war, bleibt immun

Den Autoren zufolge ist nach wie vor unbekannt, wie lange eine Immunität gegen SARS-CoV-2 anhält und wie hoch das Risiko einer Reinfektion ist. Bisherige, saisonale Coronaviren hätten gezeigt, dass die Immunität abklingt und dass erneute Infektionen innerhalb eines Jahres auftreten. Für SARS-CoV-2 heißt das aus Sicht der Wissenschaftler, "dass wiederkehrende epidemische Zyklen wahrscheinlich sind".

Annahme 5: Impfungen allein bringen die Rettung

Die Impfung verstärkt zwar die Immunität, wie die Experten festhalten. Das Hauptproblem sei aber, dass in den kommenden sechs bis neun Monaten nicht genügend Menschen geimpft werden können, "um weitere dramatische Infektionswellen zu verhindern". Und auch nach einer Impfung ist unklar, wie lange die Immunität anhält.

Annahme 6: Herdenimmunität kann durch Infektionen erreicht werden

Das Streben nach Herdenimmunität durch natürlich erworbene Infektionen stellt aus Sicht der Wissenschaftler keine sinnvolle Strategie dar. Nicht nur fordere ein solches Vorgehen viel zu viele Opfer, auch gebe es dafür keine Erfolgsaussichten. Die Autoren nennen das Beispiel der brasilianischen Millionenmetropole Manaus: Obwohl sich dort etwa 70 Prozent der Menschen mit dem Virus infiziert hatten, wurde die Stadt von einer zweiten Corona-Welle getroffen.

Annahme 7: Kinder und Familien belastet die Schließung von Schulen mehr als deren Offenhaltung

Familien leiden in der aktuellen Situation vor allem unter der Unsicherheit, argumentieren die Autoren. Ein sich stetig verlängernder und anhaltender Lockdown würde diesen Effekt verstärken. Die Begründung: "Bei hoher Inzidenz und geöffneten pädagogischen Einrichtungen kommt es zu häufigen Quarantänemaßnahmen, die in ihrer psycho-sozialen Wirkung auf Familien als stärker einzuschätzen sind als ein strukturierter und mit einem Ziel und Sinn versehener Lockdown." Zudem werde die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen vor allem durch die Kontaktbeschränkungen und andere soziale Einschränkungen der Pandemie beeinträchtig. Weil auch in geöffneten Kitas und Schulen Corona-Regeln weiter gelten, halten die Wissenschaftler diese nur für einen "geringen Entlastungsfaktor".

Annahme 8: Impfungen werden die Pandemie rasch beenden

Bisher ist die Impfkampagne in Deutschland erst langsam angelaufen. Auch mit den erwarteten 25 Millionen Impfungen in den kommenden Monaten erwarten die Experten bis zum Juni kaum Lockerungen. Denn sowohl die bis dahin getätigten Impfungen als auch die saisonalen Effekte würden nicht ausreichen, um die Pandemie entscheidend zu bremsen. (mf)

Rückschlag: Hoffnungsvolle Serumtherapie enttäuscht im Kampf gegen Corona

Neben der Impfung hat man im Kampf gegen Corona vor allem auch auf die sogenannte Serumtherapie gesetzt. Dabei erhalten COVID-19-Patienten die Antikörper von Menschen, die die Erkrankung bereits überstanden haben. Wie eine britische Studie zeigt, war die Serumtherapie allerdings nicht erfolgreich. (Teaserbild: picture alliance/dpa/Sven Hoppe)
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