Im Kampf gegen die Verbreitung des neuartigen Coronavirus haben die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland weiter Bestand, mit schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft und das soziale Leben. In der neuesten Folge des NDR-Podcast "Coronavirus-Update" bespricht Christian Drosten eine neue Studie aus Oxford, die die Wirksamkeit von Handy-Apps untersucht. Diese könnten offenbar einen entscheidenden Beitrag dazu liefern, ins normale Leben zurückzukehren.

Mehr Coronavirus-Themen finden Sie hier

Bereits am Dienstag hatte sich im "Coronavirus-Update" alles um die Verwendung von Handydaten gedreht, Professor Christian Drosten hatte den Einsatz von Apps im Kampf gegen die Corona-Pandemie als wissenschaftlich zielführend und sinnvoll bezeichnet.

Nun gibt es eine neue Studie des englischen Oxford Big Data Institute, die zu belegen scheint, dass mithilfe von Handy-Apps die Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und der damit verbundenen Atemwegskrankheit COVID-19 deutlich eingedämmt werden könnte, ohne dass die komplette Bevölkerung unter eine Ausgangssperre gestellt werden muss.

Die aktuellsten Zahlen flossen in die Studie ein, eine Gruppe von Wissenschaftlern um Professor Christophe Fraser berechnete, dass 46 Prozent aller Ansteckungen passieren würden, bevor der Ansteckende überhaupt Krankheitssymptome zeigt. Eine Quarantäne mit Beginn der Symptome kommt also häufig zu spät, angesteckte Personen können nichtsahnend schon wieder andere anstecken, bevor Krankheit und Isolation überhaupt beginnen.

Clown-Power gegen das Coronavirus

Die Klinik-Clowns dürfen die Kinderstationen nicht mehr besuchen - und kommen nun via Internet zu ALLEN nach Hause. © YouTube

Durch eine App könnten Isolationsmaßnahmen früher eingeleitet werden

Bis Tests veranlasst werden, die Testergebnisse eintreffen und schließlich Kontaktpersonen durch die Gesundheitsämter ermittelt sind, vergeht also häufig zu viel Zeit. Auch in Kombination mit Ausgangsbeschränkungen könne der Studie zufolge die Ausbreitung der Epidemie durch die Maßnahmen der Fallverfolgung nicht komplett gestoppt werden, berichtete Drosten.

"Dann wird etwas anderes mit einberechnet, nämlich der Zeitverlauf, den man erreicht, wenn man eine App benutzt", erklärte der Virologe weiter: "Hier wird sich eine hypothetische App ausgedacht. Diese App kann bei Symptombeginn die Symptome aufnehmen." Der User gibt der App also seine Symptome an, die App schickt die Daten direkt an ein Labor, ein Test wird veranlasst. Im nächsten Schritt könnte die App im Falle eines positiven Tests über Bluetooth-Daten ermitteln, mit welchen Personen die erkrankte Person Kontakt hatte und diese warnen, damit diese sich ebenfalls in Isolation begeben und testen lassen.

Lesen Sie auch: Coronavirus-Update: So funktioniert die Datenspende-App des RKI

Mindestens 60 Prozent der Bevölkerung müssten mitmachen

Die App könnte der Studie zufolge also Teile der Arbeit der Gesundheitsämter übernehmen und diese Vorgänge deutlich beschleunigen. "Diese ganzen Parameter wurde in das Modell gefüttert", berichtete Drosten: "Man kann kurz sagen, wenn die Epidemien mit der Zeitgeschwindigkeit wie am Anfang in Wuhan verliefen und wenn ungefähr 60 Prozent der Bevölkerung mitmachen, sich also so eine App installieren würden, und ungefähr 60 Prozent derjenigen, die informiert werden, dass sie zuhause bleiben sollen, auch wirklich zuhause bleiben, dann könnte man schon die R0 unter 1 senken. Das ist erstaunlich."

R0 ist die Basisreproduktionszahl, die besagt, wie viele Personen eine infektiöse Person im Schnitt ansteckt. Wenn R0 kleiner als 1 ist, sinkt die Zahl der Infizierten und die Ausbreitung der Epidemie kommt zum Stillstand. Allerdings gebe es auch Einschränkungen, führte Drosten weiter aus. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit in Europa sei derzeit beispielsweise größer als damals in Wuhan.

Deshalb müssten aktuell in Europa oder speziell in Deutschland sich wohl mehr als 60 Prozent der Bevölkerung die App herunterladen, um diese Erfolge zu erreichen. Eine andere Option wäre es der Studie zufolge auch, die Vorgehensweise der App nochmals zu beschleunigen, indem mitten in einer Infektionswelle beispielsweise Personen mit Symptomen direkt als positiv eingestuft werden und sie und ihre Kontaktpersonen ohne Test in Quarantäne gebeten werden.

App könnte ein Ausweg aus den Ausgangbeschränkungen sein

Die breitflächige Verwendung einer solchen App könnte der Studie zufolge effektiver sein als ein kompletter Lockdown oder ein Wechsel zwischen Ausgangsbeschränkungen und normalem Leben über einen längeren Zeitraum.

"Das ist eine echte Perspektive in dieser im Moment mit einiger Verzweiflung geführten Diskussion, wie wir aus diesen Maßnahmen wieder rauskommen und was wir dann als nächstes machen", sagte Drosten: "Und mich fasziniert schon der Gedanke, dass man über so eine App, gerade wenn viele mitmachen würden, doch schon so ein Instrument hätte, um eine ganz andere Feingliedrigkeit in der Steuerung zu erreichen."

Eine Rückkehr zum normalen Leben könnte dadurch ermöglicht werden. An Schulen könnte wieder unterrichtet werden, Betriebe die Arbeit aufnehmen. "Aber eben nicht alle zu allen Zeiten", führte Drosten weiter aus. Schließlich müssten nur die Personen, die eine Warnung auf ihrem Smartphone erhalten haben, sich selbst isolieren, während alle anderen ihren weitestgehend normalen Tätigkeiten nachgehen könnten. "Das ist zumindest ein sehr interessantes Denkmodell, dem man sich nicht verwehren sollte", erklärte der Virologe.

Eine europäische Corona-App befindet sich derzeit in der Testphase, schon Mitte April könnte sie zum Download bereitstehen. Und vielleicht schon bald zu einem wichtigen Faktor in der Coronakrise werden.

Professor Dr. Christian Drosten ist Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité und einer der führenden Virus-Forscher Deutschlands. Der 48-Jährige gilt als Mitentdecker des SARS-Virus. Unmittelbar nach dem Ausbruch SARS-Pandemie 2003 entwickelte er einen Test auf das neu entdeckte Virus, wofür er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. In der aktuellen Corona-Krise ist der gebürtige Emsländer ein gefragter Gesprächspartner, täglich gibt er Auskunft zur aktuellen Lage.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.