Das südamerikanische Land schafft, woran Deutschland verzweifelt: eine Impf-Kampagne im Schnellverfahren. Das Erfolgsrezept liegt in unbürokratischen, privatwirtschaftlichen Lösungen und der frühen Einbindung aller Ärzte. Der Staatschef handelt wie ein Unternehmer - schließlich ist er selber Milliardär.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
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Chile impft im Superschnellverfahren - so schnell wie kein anderes Land der Welt: 1,4 Dosen pro 100 Einwohner wurden in der letzten Woche im Schnitt pro Tag verabreicht. In Israel, dem bisherigen Impf-Champion, waren es nur halb so viele (0,7 Dosen), in Deutschland gar bloß 0,24. Nach den Daten der Oxford-Universität impft Chile damit fast sechsmal so schnell wie Deutschland.

Knapp 30 Prozent der Bevölkerung Chiles sind schon mit mindestens einer Dosis versorgt. In Santiago sind jetzt bereits die 50-Jährigen an der Reihe, bis Juni sollen 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein: "Wir werden die Pandemie damit schon im Mai weitgehend hinter uns lassen", heißt es aus der Regierung des südamerikanischen Impfmusterlands.

Der Kontrast zu Deutschland ist eklatant - und für die Bundesregierung peinlich. Obwohl die Corona-Tests und auch der Schlüsselimpfstoff von Biontech hierzulande entwickelt worden ist, zeigen in der Impfkampagne nicht nur Israel, Großbritannien und die USA wie man es eigentlich machen sollte. Selbst Länder wie Serbien und Marokko haben Deutschland bei der Impfgeschwindigkeit mittlerweile überholt. Vor allem aber Chile. Zwei Dinge sind es, die Chile richtig und Deutschland falsch gemacht hat.

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Zwei Dinge macht Chile beim Impfen besser als Deutschland

Erstens: Während Deutschland die Impfstoffe zu spät, bürokratisch kompliziert über die EU und also langsam bestellt hat, organisierte Chiles Präsident Sebastián Piñera die Impfeinkäufe wie ein Unternehmer im Sofort-Modus. Schon im März 2020 vor der ersten Welle formierte er - promovierter Wirtschaftswissenschaftler mit Harvard-Diplom - ein Einkaufsteam und schickte es mit Bestellfreibriefen in die Welt. Logistiker, Händler und Pharmaprofis nutzten die Kontakte der Freihändlertradition Chiles und zeigten sich in der Kaufverhandlungen von Anfang an offen, auch in die klinischen Erprobungsphasen direkt eingebunden zu sein.

Gezielt wurde sogar China als Partner angesprochen und angeboten, sich an der Impfstofferprobung zu beteiligen. Schon im ersten Halbjahr 2020 hatten die Chilenen so einen Vertrag mit dem chinesischen Impfstoffhersteller Sinovac geschlossen. Und Piñera bestellte auch bei allen anderen Kandidaten weit vor den Europäern sofort große Mengen. Der kleine Präsident (1,65 Meter), der selber großer Unternehmer war (ihm gehörte eine Kreditkartenfirma, die Fluggesellschaft Lan, ein Fernsehsender und ein Fußballclub), engagierte sich persönlich als Chefeinkäufer mit logistischer Expertise. Anders als Deutschland verfolgte Chile also eine stringente, national entschlossene Bestellstrategie.

Zweitens: Chile organisiert die Verteilung und Verimpfung im Land unbürokratisch und mit der Einbindung aller Ärzte - wieder im Unternehmer-Stil. Während Deutschland umständlich auf staatliche Impfzentren setzt und Hausärzte, Apotheken wie Krankenhäuser bislang von der Impfkampagne komplett ausschließt, macht Chile genau das Gegenteil. Selbst Hebammen und Zahnärzte impfen, und sie impfen in Praxen, Kirchen, Parks, Schulen, selbst durchs offene Autofenster werden die Impfungen von selbständigen Ärzten verabreicht. Der "chilenische Weg" steht damit im Gegensatz zur zentralistischen Generalstrategie Deutschlands, in der Pandemie vieles staatlich und wenig privat zu organisieren.

Präsident Piñera: Ein Milliardär regiert in Chile

Präsident Piñera war vor Jahresfrist noch politisch schwer angeschlagen, soziale Spannungen und Massendemonstrationen spalteten das Land, die erste Welle der Pandemie traf Chile hart. Piñera wirkte wie ein entrückter Superreicher - laut Forbes-Magazin besitzt er ein Privatvermögen von 2,8 Milliarden Dollar - und wurde von linken Medien gerne als Berlusconi Lateinamerikas verunglimpft. Nun erlebt er ein bemerkenswertes Comeback und steigende Umfragewerte. "Dieses Mal spielt seine Vergangenheit als Geschäftsmann zu seinen Gunsten", sagt Gonzalo Muller, Direktor des Zentrums für öffentliche Politik an der Universidad del Desarrollo. "Er zeigt seinen Geschäftssinn und seine Fähigkeiten, Ressourcen zu mobilisieren, zu verwalten und zu verhandeln."

Chiles Impferfolg eröffnet nun auch die Perspektive für rasche Öffnungen und einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung. Zentralbankpräsident Mario Marcel macht Hoffnung, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 zwischen 5,5 und 6,5 Prozent wachsen wird. Chile steht dank einer unternehmerfreundlichen Politik wirtschaftlich ohnedies relativ gut da in Lateinamerika. Der jetzige Erfolg als Impfweltmeister in der Pandemie macht den politisch liberalen Kurs bei den Nachbarländern zusätzlich attraktiv.

Piñera kann die Impf-Kampagne seines Landes nicht nur als großen innenpolitischen Erfolg verbuchen. Er inszeniert sich nun auch als Helfer kleinerer Länder Lateinamerikas. Aus Chile - nicht aus Europa - werden 20.000 Impfdosen nach Ecuador und Paraguay verschickt, um das dortige Medizinpersonal endlich zu impfen. Sauerstoff-Flaschen werden medienwirksam nach Peru verschenkt, Uruguay wird beim Transport der Impfstoffe geholfen. Da Brasilien wegen seines Corona-fahrlässigen Präsidenten Jair Bolsonaro als regionale Führungsmacht in der Pandemie ausfällt, rückt Chile und also Piñera nun in die Vorbildrolle des zupackenden Helfers in der Not. Und so hat er selbst nun auch die zweite Impfdosis medienwirksam erhalten - und zwar die vom chinesischen Pharmaunternehmen Sinovac.

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