Ein alarmierender Bericht des BKA: Die Gewalt gegen Flüchtlinge steigt dramatisch an. Doch in der digitalen Welt werden Opfer zu Tätern gemacht.

Eine Analyse
von Michael Wollny
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Wollny sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Internet-Suchmaschinen sind schon eine feine Sache, geben sie doch recht schnell und zuverlässig Antworten auf nahezu jede Frage.

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Ob die Antworten dann auch immer richtig sind, ist allerdings eine Frage, die selbst eine Suchmaschine nicht beantworten kann. Schließlich ist in den Suchergebnissen für jeden was dabei und es liegt bei einem selbst, für welche Antwort man sich entscheidet. Fakt oder Fiktion.

Wunsch wird zum Vater des Gedanken

Will man sich davon überzeugen, dass die Erde eine Scheibe und Elvis am Leben ist, wird man im Internet definitiv Antworten finden, die das eifrig bestätigen. Der Wunsch wird zum Vater des Gedanken - die tendenziöse Frage auch gleich zur gewünschten Antwort.


So wie auch beim Thema Flüchtlinge. Google speichert Unmengen an Suchanfragen und bastelt aus der Häufigkeit Vorschläge, die einem die Suche erleichtern sollen. Wenn man also einen Suchbegriff eingibt, werden umgehend weitere Wörter angeboten, die in diesem Zusammenhang am häufigsten gesucht werden.

Demaskierte Fremdenfeindlichkeit

In der aktuellen Flüchtlingskrise kann das recht verstörend sein. Es hat bisweilen den Anschein, als demaskierten diese Suchbegriffe das andere Gesicht eines weltoffenen Deutschlands, die Fratze einer erschreckend xenophoben Gesellschaft.

Das Bundeskriminalamt (BKA) mahnt erneut, dass Gewalttaten gegen Flüchtlinge auf dramatische Weise zugenommen haben. Waren es im gesamten Jahr 2014 noch 28 registrierte Vorfälle, sind es im laufenden Jahr 2015 bereits 104. Die Gewalt gegen Schutzsuchende hat sich in Deutschland also nahezu vervierfacht.

Bezieht man neben Gewalttaten auch die politisch motivierten Straftaten gegen Unterkünfte mit ein, steigt die Zahl sogar auf rund 640, dem Dreifachen des Vorjahres. Das weiß, wer sich täglich bildet und auf dem Laufenden hält. Googeln muss man das eigentlich nicht.

Gewalttaten: Von oder gegen?


Doch was passiert, wenn man dennoch mal nach "Gewalttaten" sucht? Man bekommt keine Suchvorschläge zu Gräueltaten etwa in Syrien oder dem Irak. Noch nicht einmal Vorschläge zu ach so gewalttätigen Fußballfans. Und erst recht erhält man keine Vorschläge zu Gewalttaten gegen Flüchtlinge.

Google bietet aus der Masse an Suchanfragen zu "Gewalttaten" tatsächlich umgehend die Begriffe "Flüchtlinge" und "Asylanten" an. Und zwar "Gewalttaten von Flüchtlingen", "Gewalttaten durch Flüchtlinge" sowie "Gewalttaten von Asylanten". Diese Wortkombinationen spiegeln die krampfhafte Suche nach Argumenten für eine Täter-Opfer-Verkehrung. Das ist beängstigend.

Fremdenfeindlichkeit und Angst


Zweifellos gibt es auch Gewalttaten durch Flüchtlinge und Asylanten. Doch diese Tatsache führt wohl kaum zu einer solch dominanten Suchdichte im Internet. Hier scheint vielmehr eine Mischung aus offener Fremdenfeindlichkeit und diffuser Angst die Fragen zu diktieren.

Gewalt durch Flüchtlinge bietet anhand von Tatsachen und Fakten schließlich keinen Grund zur Sorge - die Fakten und Tatsachen des BKA hingegen schon. Der Gewaltanstieg gegen Menschen, die in diesem Land Schutz suchen, ist alarmierend und beschämend.

Wer eine Antwort auf das "Warum?" fordert, wird bei Google fündig, ohne lange danach suchen zu müssen. Permanente Gewalttaten von und durch Flüchtlinge? Wer dazu im Internet eine Bestätigung sucht, kann sie im wahren Leben wohl einfach nicht finden.

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