• Polarlichter, die unlängst auch über Deutschland zu sehen waren, entstehen durch sogenannte Sonnenstürme.
  • Doch es gibt auch potenziell bedrohliche Folgen einer solchen starken Sonneneruption - und das Weltraumwetter dürfte in den nächsten Jahren ungemütlicher werden.
  • Mögliche Folgen sind Stromausfälle und in bestimmten Regionen der Erde auch gesundheitliche Auswirkungen.

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Nach einem Sonnensturm waren kürzlich auch im Norden Deutschlands wunderschöne Polarlichter zu sehen. Die solchen Stürmen zugrundeliegenden Sonneneruptionen können auf der Erde aber auch die Zerstörung von Satelliten und großflächige Stromausfälle zur Folge haben.

"Es gibt auch indirekte Effekte, etwa beim extrem genauen Satelliten-Zeitsignal, das in der Medizintechnik oder beim ultraschnellen Börsenhandel verwendet wird"", sagt Jens Berdermann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Neustrelitz. Da Satellitenanwendungen inzwischen in vielen Bereichen üblich sind, können Sonnenstürme zu entsprechend vielfältigen Störungen führen.

Das Weltraumwetter ist schwer vorherzusagen

Anzahl und Stärke solcher Ereignisse hängen von der Aktivität der Sonne ab - die sich in einem Zyklus von etwa elf Jahren gerade wieder auf ein Maximum zubewegt. In den Jahren 2024 bis 2026 könnte es erreicht werden. Das Weltraumwetter vorherzusagen, das vor allem auf Strahlung, Teilchen und magnetisiertes Plasma der Sonne zurückgeht, dürfte deshalb in der kommenden Zeit immer wichtiger werden. Doch Prognosen sind erheblich schwerer als beim Wetter auf der Erde.

Trotz wissenschaftlichen Fortschritts und großer Datenmengen sei noch vergleichsweise wenig über unser Zentralgestirn bekannt, sagt Volker Bothmer von der Universität Göttingen, der schon seine Doktorarbeit Anfang der 1990er-Jahre über Sonnenstürme geschrieben hat und sich seitdem der Erforschung der Sonne und des Weltraumwetters widmet.

"Wir wissen beispielsweise nicht, warum die Temperaturen in und auf der Sonne so verteilt sind, wie wir sie modellieren und messen"", erklärt Svetlana Berdyugina vom Leibniz-Institut für Sonnenphysik in Freiburg. Im Zentrum herrschen demnach etwa 15 Millionen Grad, auf der Sonnenoberfläche nur knapp 6.000 Grad, während die Sonnenatmosphäre, auch Korona genannt, bis zu zwei Millionen Grad heiß sein kann.

Berdyuginas zentrales Forschungsthema ist das Magnetfeld der Sonne und anderer Sterne. Lokale Änderungen im starken Magnetfeld der Sonne sind der Grund, aus dem bei Sonneneruptionen Strahlung und geladene Teilchen ins Weltall geschleudert werden.

Für verlässliche Simulationen fehlen Rechenkapazitäten

Während das Magnetfeld der Erde recht sanfte Übergänge zwischen den magnetischen Polen und dem Äquator aufweist, ist das Sonnenmagnetfeld deutlich komplexer. Zum einen liegt das an der Konvektion, also Umwälzungen des heißen Plasmas in der Sonne. Zum anderen drehen sich verschiedene Bereiche des heißen Gasballs unterschiedlich schnell um die eigene Achse: Am Äquator ist die volle Umdrehung nach etwa 25 Tagen vollzogen, nahe der Pole dauert sie rund 31 Tage. Auch rotieren tiefere Schichten je nach Breitengrad schneller oder langsamer als die Oberfläche. Dies führt zu turbulenten Verwirbelungen des Sonnenmagnetfeldes.

"Es ist sehr schwer, die Veränderungen im Sonnenmagnetfeld zu simulieren, denn man braucht dafür große Rechenkapazitäten"", betont Berdyugina. Für eine Simulation der kompletten Sonne reichten die Rechenkapazitäten bei Weitem nicht. Deshalb müsse man Abschnitte der Sonne so simulieren, dass sich sinnvolle Aussagen treffen lassen.

Die Forscherin wagt keine Prognose, wann Sonnenstürme verlässlich vorausgesagt werden können. Vielleicht müsse man auch vorhandene Daten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz nach Mustern durchsuchen, um Vorboten für Sonnenstürme zu finden. Wichtig wäre eine frühe Vorhersage unter anderem, um zumindest einen Teil der anfälligen Infrastruktur rechtzeitig schützen zu können.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Sonne ihr zerstörerisches Potenzial nie in vollem Ausmaß gezeigt - erahnen lässt es sich aber anhand der Folgen des sogenannten Carrington-Ereignisses. "Das 'Carrington-Ereignis' war etwa dreimal so stark wie die 30 stärksten Sonnenstürme, die wir seit 1932 aufgezeichnet haben"", sagt Volker Bothmer.

Das "Carrington-Ereignis" von 1859 ließ Telegrafen verrückt spielen

Anfang September 1859 spielten in Nordeuropa und Nordamerika die Telegrafen verrückt: Die Bediensteten erhielten elektrische Schläge, wenn sie sie berührten. In einigen Büros sprühten Funken aus dem Gerät und entzündeten Papier, auf dem die Telegramme notiert wurden. Selbst nach dem Ausschalten der Telegrafen, als sie stromlos hätten sein sollen, waren sie noch so geladen, dass Telegramme versendet werden konnten. Die Vorkommnisse lösten Angst und Entsetzen aus - und beeinträchtigten das weltweite, erst in den vorangegangenen Jahren aufgebaute Telegrafienetz stark. Außerdem waren Polarlichter, die üblicherweise nur in der Nord- oder Südpolregion auftauchen, plötzlich selbst in den Tropen - darunter die Bahamas, Hawaii und Jamaika - zu sehen.

Zuvor, am 1. September, hatte der englische Astronom Richard Carrington (1826-1875) zwei helle Lichtblitze auf der Sonne entdeckt, als er ihr Teleskopbild auf einen Schirm warf, um Sonnenflecken abzuzeichnen. Damals wusste noch niemand, dass alle Ereignisse auf eine Ursache zurückzuführen waren: den stärksten bisher von Menschen erfassten Sonnensturm.

"Wenn man bedenkt, wie viele elektrische Geräte es mittlerweile gibt, dann kann man sich halbwegs vorstellen, was ein 'Carrington-Ereignis' heute auslösen würde"", sagt DLR-Wissenschaftler Berdermann. Das DLR-Team beobachtet das Weltraumwetter und forscht zu seinen Einflüssen auf wichtige Technologien wie die Navigation und Kommunikation per Satellit sowie die Stromnetze.

Was genau passiert bei Ausbrüchen der Sonne? Wenn die sonnenmagnetischen Feldlinien aufbrechen, entweichen zunächst hochenergetische Teilchen, vor allem Protonen. Einige sind mit rund 15 Prozent der Lichtgeschwindigkeit unterwegs und erreichen die Erde nach etwa einer Stunde. Da der Ausbruch in der Sonnenkorona stattfindet, prallt ein anderer Teil der Teilchen auf die Sonnenoberfläche und gibt dabei Röntgenstrahlung ab - Röntgenblitz oder Flare genannt. Diese Strahlung verbreitet sich mit Lichtgeschwindigkeit und erreicht die Erde nach etwa acht Minuten.

Schnellste Sonnenstürme erreichen die Erde in weniger als einem Tag

Eine wichtige gelegentliche Folge einer Sonneneruption ist zudem der sogenannte koronale Massenauswurf, der aus Elektronen, Protonen und Atomkernen besteht. Er kann Geschwindigkeiten von über 2.000 Kilometern pro Sekunde erreichen und kommt in der Regel nach ein bis zwei Tagen an der Erde an. Die schnellsten Sonnenstürme erreichen die Erde sogar in weniger als einem Tag, beim "Carrington-Ereignis" zum Beispiel waren es 17 Stunden.

Das Plasma ist hauptsächlich für Auswirkungen von Sonnenstürmen verantwortlich: Weil die Bestandteile elektrisch geladen sind, wechselwirken sie mit dem Erdmagnetfeld und stauchen es quasi zusammen. Durch magnetische Kurzschlüsse im Schweif des Erdmagnetfeldes werden Teilchenströme in die Polarregionen erzeugt, die die Luftteilchen zum Leuchten anregen, was als Polarlicht sichtbar wird.

Die Störung des Erdmagnetfeldes bringt zudem einen geomagnetisch induzierten Strom in langen Leitungen hervor. Zwar sind die Stärken der dabei entstehenden elektrischen Felder erheblich geringer als die lokalen Felder bei einem Blitzeinschlag. Doch über die Länge einer Überlandleitung oder einer Pipeline können sich hohe Spannungen aufbauen und starke Ströme fließen, die Transformatoren zerstören und zu Stromausfällen führen.

Des Weiteren heizt das Plasma die obere Atmosphäre auf, die sich bis zu den Umlaufbahnen von Satelliten ausdehnt und sie durch die erhöhte Reibung abbremst. Zum Teil müssen Bahnkorrekturen durchgeführt werden, zum Teil können die Betreiber aber auch die Kontrolle über ihre Satelliten verlieren, die schließlich abstürzen.

Auch kleinere Störungen können schon Auswirkungen haben: Bei der Satellitennavigation bestimmt das Gerät am Boden seinen Ort anhand der Laufzeiten mehrerer Satellitensignale. Wenn sich die Bahnen der Satelliten auch nur leicht ändern oder Signale in der Ionosphäre verzögert werden, hat das Folgen für die Genauigkeit der Ortsbestimmung.

Flüge über die Polarregion können bei Sonnenstürmen die Gesundheit gefährden

Gänzlich hilflos ist die Menschheit nicht: Da der Röntgenblitz und die hochenergetischen Teilchen die Erde deutlich früher erreichen als die Plasmawolke eines koronalen Massenauswurfs, kann zumindest mit etwas Vorlauf vor dem Eintreffen einer solchen Wolke gewarnt werden. Doch es gibt viel Luft für Verbesserungen.

Berdermann, der Göttinger Forscher Bothmer und weitere Weltraumwetterexperten haben 2022 in einem gemeinsamen Beitrag unter anderem den Aufbau eines nationalen Weltraumwetter-Zentrums, den Auf- und Ausbau boden- und satellitengestützter Beobachtungssysteme sowie die Erstellung einer Risikobewertung zu allen betroffenen Systemen und Services empfohlen. "Besondere Aufmerksamkeit muss den Auswirkungen auf betroffene Systeme gelten, insbesondere der Sicherstellung der Energieversorgung (Umspannwerke, Transformatoren) sowie aufstrebenden Neuentwicklungen wie im Bereich des autonomen Fahrens und der E-Mobilität"", schreiben die Wissenschaftler.

International gibt es eine Reihe von Bestrebungen für eine verbesserte Sonnenbeobachtung und Möglichkeiten für Weltraumwetter-Warnungen. Bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) zum Beispiel gibt es das Projekt "ESA Vigil": Der Satellit soll in einigen Jahren am sogenannten Lagrange-Punkt 5 in rund 150 Millionen Kilometern Entfernung von der Sonne und von der Erde platziert werden und frühe Warnungen ermöglichen.

Bedrohen Sonnenstürme das Leben von Menschen auch direkt? Auf der Erde sind sie durch das Magnetfeld recht gut geschützt, doch schon bei Flügen in der Polarregion können sie eine erhöhte Dosis hochenergetischer Teilchen abbekommen. Noch gefährlicher wird es für Astronauten, die sich außerhalb des Erdmagnetfeldes befinden. "Deshalb ist das Weltraumwetter ein wichtiger Faktor bei Mond- und Marsmissionen"", unterstreicht Bothmer. Für einen Sonnensturm im Jahr 1972 während des Mondfahrtprogramms "Apollo" der US-Weltraumbehörde Nasa zum Beispiel hätten Datenauswertungen ergeben, dass es für die Astronauten lebensgefährlich gewesen wäre, hätte zur Zeit des Sonnensturms ein Raumflug stattgefunden. (dpa/cze)

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