• Der Mord an der Parkhaus-Millionärin Charlotte Böhringer 2006 beschäftigt München bis heute.
  • Neue Erkenntnisse könnten nun zu einer spektakulären Wende führen.
  • Wird der Fall wieder aufgenommen, und sitzt Benedikt Toth seit 14 Jahren unschuldig im Gefängnis?

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Es ist einer der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der letzten Jahre. Am 15. Mai 2006 wird die Münchener Millionärin Charlotte Böhringer auf brutalste Weise erschlagen. Schnell präsentieren die Ermittler einen Täter: Benedikt Toth, den Neffen Böhringers. Seit 2008 sitzt dieser mittlerweile im Gefängnis und bestreitet beharrlich, den Mord begangen zu haben. Sagt er die Wahrheit?

Darauf deuten neue Erkenntnisse des Profilers Axel Petermann hin. Nun hat die Verteidigung einen Antrag auf Wiederaufnahme des Falls gestellt. Böhringer hatte ihr Millionenvermögen mit Immobilien und einem Parkhaus aufgebaut, über dem sie ein Penthouse bewohnte.

Dort soll ihr Benedikt Toth aufgelauert haben, als sie zu ihrem wöchentlichen Stammtisch aufbrechen wollte. Das angebliche Motiv: Toth war als einer von zwei Haupterben eingesetzt – unter der Voraussetzung, dass er sein Jurastudium abschließen würde. Was die Tante - dem Gericht, aber nicht Toths eigenen Aussagen zufolge - nicht gewusst haben soll: Toth hatte sein Studium längst abgebrochen. Steckte also Habgier hinter der Tat?

"Das sieht konstruiert aus": Profiler Axel Petermann hat Zweifel am Urteil

Davon ging das Landgericht München aus und verurteilte Toth zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Außerdem stellte das Gericht eine besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Entlassung unmöglich macht. Doch das Urteil basiert ausschließlich auf Indizien. Und deren Stichhaltigkeit zweifelt Axel Petermann an.

"Ich ließ mir von der Familie das Urteil geben und bekam sofort Zweifel", so Petermann. "Zum Beispiel als ich las, dass der Todeszeitpunkt bestimmt wurde, indem Rechtsmediziner die Körperkerntemperatur der Ermordeten am Oberschenkel gemessen hatten." Eine solche Methode ist laut Petermann nicht üblich. Stattdessen sei es wissenschaftlicher Standard, die Messung rektal durchzuführen.

"Ich dachte also, das sieht konstruiert aus", so Petermann. "Ich befürchtete, dass sich dieses Vorgehen auch noch bei anderen Beweisen zeigen könnte, denn wenn es irgendwo unsauber ist, dann zieht sich das meist durch das gesamte Verfahren."

Münchener Parkhausmord: Diese Fehler machten die Ermittler

"Das Zweite, was mich stutzig machte", fährt Petermann fort, "war, dass man den Todeszeitpunkt sehr genau zwischen 18:15 Uhr und 19:15 Uhr festgelegt hat. Zufälligerweise genau die Zeit, in der Herr Toth kein Alibi hat." Dabei machten es die Schlampereien bei der Messung unmöglich, den Todeszeitpunkt so genau einzugrenzen.

Petermann kann sich die zahlreichen Nachlässigkeiten nur damit erklären, dass die Ergebnisse einfach gut in die Theorie passten, dass Benedikt Toth der Täter sein musste. Der erfahrene Profiler will es jedoch ganz genau wissen, kontaktiert sogar den Erfinder der Temperaturberechnung, der ihm bestätigt, dass die Untersuchung falsch durchgeführt wurde.

"Die kriminalistische als auch die juristische Beweisführung erfordert eine hohe Selbstkontrolle", so Petermann. "Etwas, was immer wieder Menschen abhandenkommen kann, wenn sie lediglich ihre Annahmen bestätigt haben möchten."

Falsch gedeutete Blutspuren und ein nicht-existenter Handschuh: Experten bestätigen Zweifel

Petermann lässt nun nicht mehr locker und deckt weitere Ungereimtheiten auf. Darunter die Annahme, dass das Opfer direkt an der Tür überfallen wurde. "Die Blutspuren, die vermeintlich auf einen Angriff an der Tür hinweisen sollten, wurden falsch interpretiert", erklärt Petermann. "Denn die ersten Schläge haben sich am Ende des Flurs zugetragen und nicht am Eingangsbereich. Das kann ich an den Blutspuren erkennen."

Auch die Theorie, dass der Täter Handschuhe getragen haben soll – ein Beweis für Heimtücke – entkräftet Petermann. Auf dem Sakko der Getöteten war eine vermeintliche Handschuhspur gefunden worden – darin DNA-Abdrücke von Benedikt Toth. Das Gericht schloss daraus, dass der blutige Handschuh mit DNA des Angeklagten kontaminiert war.

Petermann zieht Experten aus einem Textilkundeinstitut hinzu. Das Ergebnis: Die scheinbaren Handschuhabdrücke sind lediglich der Struktur des Stoffes zuzuschreiben. "Es gibt aus meiner Sicht und aus Sicht der Experten aus den jeweiligen Fachdisziplinen, die ich angefragt habe, keine Hinweise, dass Benedikt Toth Handschuhe getragen hat", sagt Petermann.

Experte Petermann ist überzeugt: Parkhausmörder hätte nicht verurteilt werden dürfen

Die neuen Erkenntnisse bringen Petermann zu der Überzeugung, dass das Gericht von falschen Annahmen ausging. "Ich sage klar, dass Benedikt Toth mit den vorliegenden Beweisen, die im Urteil angeführt sind, nicht verurteilt hätte werden dürfen", so Petermann. "Weil die Angaben zum Todeszeitpunkt, zum Ort des ersten Angriffs und zur Herkunft seiner DNA am Blazer nicht zutreffen oder eine andere, durchaus logischere Erklärung zulassen."

Die Erfahrung zeigt, dass die Chancen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gering sind. Das weiß auch Petermann. Zumal es in diesem Fall bereits die dritte Wiederaufnahme wäre. Trotzdem zeigt sich der Profiler optimistisch: "Normalerweise würde ich denken, die Beweise müssten als sogenannte Novitäten ausreichen, um das Verfahren wieder aufzunehmen. Auch, weil jetzt gegenüber damals überlegene Untersuchungsmethoden angewandt worden sind."

Ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft in Augsburg zeigt sich jedoch zurückhaltend. "Fest steht, es gibt ein rechtskräftiges Urteil", so der Sprecher. "Und es gab schon zwei Wiederaufnahmen, die negativ beschieden wurden."

Münchener Parkhausmord: Kommt es zur Wiederaufnahme?

Generell sind die Hürden für eine Wiederaufnahme hoch, schon aus Respekt vor einem gefällten Urteil. Um ein solches Verfahren einzuleiten, müssen wesentliche neue Erkenntnisse vorliegen. Dies könnte nun der Fall sein.

"Der Antrag wird gerade geprüft", erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft. "Ob es ein Verfahren gibt, entscheidet das Gericht." Wann die Entscheidung fällt, ist noch nicht abzusehen. Der Sprecher deutet an, dass es noch dauern kann, da der Antrag sehr komplex und umfangreich sei – 375 Seiten.

Bis zur Entscheidung sitzt Benedikt Toth weiter in Haft.

Über den Experten: Axel Petermann ist zertifizierter Fallanalytiker (Profiler), Kriminalist und Autor.
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Verwendete Quellen:

  • Interview mit Axel Petermann
  • Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Augsburg
  • abendzeitung-muenchen.de: Mordfall Böhringer: Anwalt will neuen Prozess für Toth
  • sueddeutsche.de: Fall Charlotte Böhringer: Anwalt des Neffen beantragt Wiederaufnahme des Verfahrens

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