Bereits seit Jahrtausenden halten sich einige körperbasierte Maße wie Elle, Fuß und Daumenbreite. Auch heute noch sind sie nützlich für verschiedene Kulturen. Warum sich Naturmaße entwickelt und teilweise so lange gehalten haben.

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Es muss nicht immer ein Maßband oder Meterstab sein: Bevor sich Einheiten wie Meter, Meile oder Hektar etablierten, nutzten Menschen quer durch die Kulturen körperbasierte Maße wie Elle, Fuß oder Daumenbreite. Finnische Forscher beschreiben nun im Fachblatt "Science", wie sich diese Einheiten entwickelt und teils gehalten haben - und warum sie vielleicht auch heute noch manchen Standardmaßen überlegen sein könnten.

Für ihre Studie nutzte ein Team um Roope Kaaronen von der University of Helsinki die ethnografische Datenbank "Human Relations Area Files" (HRAF), um die Entwicklung und Verwendung von Naturmaßen in 186 Kulturen weltweit zu untersuchen.

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Die Analyse der Wissenschaftler ergab dabei, dass Variationen der Armspanne, welche die Entfernung zwischen den Fingerspitzen der ausgestreckten Arme beschreibt, der Handspanne und der Elle durch alle untersuchten Kulturen am häufigsten vorkamen. Dabei gab es deutliche Ähnlichkeiten über Kulturen hinweg.

Warum sich Naturmaße entwickelt und gehalten haben

Die Forscher um Kaaronen arbeiteten vier Aspekte heraus, die erklären könnten, wie und warum sich Naturmaße entwickelt und teilweise sehr lange gehalten haben:

1. Körperbasierte Einheiten bieten maßgeschneidertes ergonomisches Design

"Körperbasierte Einheiten haben den Vorteil, dass sie ein maßgeschneidertes ergonomisches Design in einer Weise bieten, die bei standardisierten Systemen oft nicht beachtet wird", schreibt das Forschungsteam. Als Beispiel nennt es den Bau von Kajaks bei den Eskimogruppen der Yupik und den grönländischen Inuit.

Diese nutzten körperbasierte Maße, um Kajakdesigns individuell anzupassen: "Ein reaktionsschnelles Kajak erfordert die richtige Positionierung des Körpers. Folglich gibt es keine Einheitsgröße, die für alle Kajakfahrer geeignet ist." Ähnliche Prinzipien fänden sich bei der Konstruktion von Skiern bei der finno-ugrischen Ethnie der Chanten und bei der individualisierten Gestaltung von Waffen wie Bögen, aber auch von Kleidung und Schuhen.

2. Schlaffe Gegenstände sind einfacher zu messen

Bestimmte Körpermaßeinheiten machen es einfacher, schlaffe Gegenstände wie Fischernetze oder Seile zu messen.

3. Naturmaße sind immer verfügbar

Naturmaße sind ständig verfügbar. Hierzu wird in der Studie ein Angehöriger der Mapuche, eines indigenen Volkes Südamerikas, zitiert: "Aber ich habe nicht immer ein Metermaß zur Hand; ich weiß, dass mein wima (die Länge vom Adamsapfel bis zu den Fingerspitzen eines ausgestreckten Arms) fast einen Meter beträgt, und ich benutze es."

4. Körperbasierte Maße können lokales Wissen einbeziehen

In einigen Fällen erlauben körperbasierte Maße, lokales Wissen einzubeziehen. Ein Beispiel: Die Nikobaresen, indigene Einwohner der Inselgruppe Nikobaren im Golf von Bengalen, geben den Forschern zufolge die Entfernung von Kanufahrten in der Menge der konsumierten Kokosnussgetränke an. "Im Salzwasser des Indischen Ozeans ist die Flüssigkeitszufuhr ein besonders wichtiger Faktor, und es erscheint praktisch sinnvoll, die Entfernungen mit den erforderlichen Flüssigkeitseinheiten zu messen."

Darüber hinaus würden standardisierte Längeneinheiten wie Seemeilen die lokalen Unterschiede bei Strömungen, Wetter und Windbedingungen nicht ausreichend berücksichtigen, die sich alle auf die körperliche Anstrengung und die Reisezeit (und damit auf die erforderliche Flüssigkeitsmenge) auswirken könnten.

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Entstehung von Staaten und Industrialisierung Gründe für allmähliches Schwinden

Alles in allem zeige ihre Analyse, dass körperbasierte Maßeinheiten auch im 20. Jahrhundert weltweit und damit fast fünf Jahrtausende nach dem Aufkommen der ersten bekannten standardisierten Einheiten genutzt wurden, schreiben die Wissenschaftler.

Ihr allmähliches Schwinden erklären sich die Forscher vor allem durch die Entstehung von Staaten und die Industrialisierung: Aktivitäten wie interkultureller Handel, Regulierung und Besteuerung würden eine Standardisierung und Unterteilbarkeit verlangen, die körperbasierte Maßeinheiten nicht bieten.

Armspanne, Elle und Co. weiterhin nützlich für verschiedene Kulturen

"Dies würde auch erklären, warum standardisierte Einheiten in erster Linie durch den Einfluss von Herrschern und großen Staaten entstanden sind", schreiben sie. Der Übergang von körperbezogenen Messsystemen zu standardisierten Einheiten spiegele eine größere Zäsur in der kulturellen Entwicklung des Menschen wider, die dazu geführt habe, dass sich die Produktionssysteme von lokalen und heterogenen zu globalen und homogenen Systemen entwickelt haben.

"Infolgedessen sind die traditionellen Maßeinheiten im Rahmen des allgemeinen kulturellen Aussterbens, das auf die Globalisierung, Industrialisierung und Kolonialisierung folgte, gefährdet."

In einem "Science"-Kommentar hebt Anthropologe Stephen Chrisomalis von der US-amerikanischen Wayne State University hervor, dass körperbasiertes Messen kein Überbleibsel oder kultureller Vorläufer heutiger gängiger Maßeinheiten sei. Vielmehr hätten Armspanne, Elle und andere Maße überlebt, weil sie für verschiedene Kulturen weiterhin nützlich seien. (ff/dpa)

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