• Desinfektionsmittel und Haushaltsreiniger enthalten oft Wirkstoffe, die für die Gesundheit des Menschen und seine Umwelt bedenklich sind. Nun konnten Forschende eine sehr hohe Konzentration selbiger in hessischen Böden nachweisen.
  • Der Forscher Kai Jansen im Gespräch mit unserer Redaktion über die sogenannten Quartären Alkylammoniumverbindungen (kurz QAAV).
  • Warum die Stoffe bisher wenig erforscht sind, wieso sie im Zusammenhang mit Antibiotikaresistenzen stehen und worauf beim Kauf von Desinfektionsmitteln und Haushaltsreinigern geachtet werden kann.
Ein Interview

Desinfektionsmittel sind spätestens seit der Pandemie nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. In vielen dieser Mittel sind sogenannte Quartäre Alkylammoniumverbindungen (kurz QAAV) enthalten. Diese Stoffe sorgen dafür, dass Viren und Bakterien abgetötet werden. Zugleich stellen QAAV aber auch ein Risiko für den Menschen dar: QAAV können Antibiotikaresistenzen begünstigen.

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Was das genau bedeutet und worauf man beim Kauf von Haushaltsreinigern und Desinfektionsmitteln achten sollte, weiß Kai Jansen vom Institut für Bodenkunde an der Justus-Liebig-Universität Gießen. In seiner Doktorarbeit hat Jansen gemeinsam mit einem Forschungsteam und dem Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) untersucht, inwieweit Quartären Alkylammoniumverbindungen in verschiedenen Böden Hessens vorhanden sind. Insgesamt wurden 65 Proben aus Ackern, Grünland, Wäldern und Weinbaustandorten untersucht, der Großteil dieser archivierten Bodenproben wurde bereits vor der Pandemie genommen.

Ein Interview über bedenkliche Wirkstoffe, die weit verbreitet scheinen – und wenig erforscht sind.

Herr Jansen, in Ihrer Forschungsarbeit haben Sie QAAV in fast allen 65 Bodenproben gefunden. Wie ordnen Sie dieses Ergebnis ein?

Kai Jansen: Wir hatten erwartet, QAAV vor allem in Böden zu finden, die regelmäßig bei Hochwasser überflutet werden und so einem Eintrag über die Ablagerung von Schwebstoffen der Flüsse unterliegen. Außerdem waren wir davon ausgegangen, QAAV in landwirtschaftlich genutzten Böden nachzuweisen, in die QAAV über die Applikation von Klärschlamm, organische Dünger oder Pflanzenschutzmittel eingetragen werden können. Insgesamt hatten wir erwartet, die QAAV in wenigen Böden zu finden, aber nicht in fast allen. Die Studie zeigt sehr eindrücklich, dass QAAV weiter verbreitet sind, als wir vermutet hatten.

"Wir haben die höchsten Konzentrationen für QAAV gefunden, die eigentlich seit Anfang, Mitte der 90er nicht mehr in großen Mengen verwendet werden sollten"

Wie die Verbindungen zum Beispiel in Waldböden gelangen, ist unklar. Es muss also zusätzlich Eintragspfade in Böden geben, die wir bislang nicht kennen. Außerdem haben wir die höchsten Konzentrationen für QAAV gefunden, die eigentlich seit Anfang, Mitte der 90er nicht mehr in großen Mengen verwendet werden sollten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass einige dieser Stoffe persistent sind, also länger im Boden verbleiben und wenig oder gar nicht abgebaut werden.

Welche Gefahr besteht dabei?

Der weitverbreitete Nachweis dieser Substanzen ist sehr bedenklich. Gerade deshalb, weil wir hohe Konzentrationen gefunden haben. Im Vergleich zu Antibiotika, die man in diesen Böden gefunden hat, liegen die nachgewiesenen Konzentrationen an Desinfektionsmitteln ein oder zwei Größenordnungen darüber.

Die größte potenzielle Gefahr bei QAAV ist die Antibiotikaresistenz. QAAV können eine Verbreitung von Antibiotikaresistenzen auf Mikroorganismen-Ebene begünstigen.

Das Thema gehört generell zu einer der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und wird maßgeblich durch den missbräuchlichen Einsatz von Antibiotika, unter anderem in der Tierhaltung, verursacht. Obwohl QAAV keine Antibiotika sind, können sie das Problem zusätzlich verschärfen. Dadurch, dass sie antibiotikaresistente Mikroorganismen selektieren können. Das bedeutet, dass sich Mikroorganismen, die gleichzeitig resistent gegen QAAV und Antibiotika sind, weiter vermehren und ausbreiten können.

"Obwohl QAAV keine Antibiotika sind, können sie das Problem mit Antibiotikaresistenzen zusätzlich verschärfen."

Wenn sich Antibiotikaresistenzen verbreiten, bedeutet das, dass Antibiotika und Medikamente nicht mehr so funktionieren, wie sie sollen. Schätzungen gehen davon aus, dass es bereits 2050 weltweit zehn Millionen Tote verursacht durch Antibiotikaresistenzen geben wird. Es ist allerdings noch unklar, welchen Anteil das Vorkommen von QAAV in Böden an der Ausbreitung antibiotikaresistenter Bakterien hat.

Was bedeutet es für den Menschen, wenn in Ackern, an Weinbaustandorten oder im Wald hohe Konzentrationen von QAAV im Boden sind? Oder anders gefragt: Würden Sie im Wald gesammelten Bärlauch oder Pilze essen?

Ja, das würde ich. Zum jetzigen Zeitpunkt ist von keiner akuten, großen Gefahr für den Menschen auszugehen. Da QAAV positiv geladen sind, binden sie sehr stark an die überwiegend negativ geladenen Bodenpartikel. Das heißt, die QAAV bleiben vor allem im Boden. Deshalb ist die Gefahr bei Pflanzen oder bei der Nahrungsaufnahme relativ gering. Im Haushalt kann es bei QAAV schneller zu einem Eintrag in den menschlichen Körper kommen.

"In Innenräumen könnte es leicht zu einer Aufnahme kommen, etwa über das Einatmen von Staubpartikeln, in denen sich QAAV anreichern können"

Worauf sollte man denn im Haushalt achten, um nicht mit QAAV in Berührung zu kommen?

Es sollte darauf geachtet werden, keine Desinfektionsmittel zu verwenden, die QAAV enthalten. In Innenräumen könnte es leicht zu einer Aufnahme kommen, etwa über das Einatmen von Staubpartikeln, in denen sich QAAV anreichern können. Um die Verbreitung von QAAV zu vermeiden, sollte möglichst auch auf Hygienespüler für die Wäsche verzichtet werden, die QAAV enthalten. Man sollte hier lieber auf Hausmittel wie Essig oder Natron zurückgreifen.

Und woran erkenne ich genau, ob ein Produkt QAAV enthält?

Die Bezeichnung "QAAV" steht so nicht direkt auf den Produkten. Allerdings gibt es zwei Hauptvertreter, die am häufigsten in diesen Produkten eingesetzt werden, diese sind

  • Didecyldimethylammoniumchlorid (DDAC) und
  • Alkyldimethylbenzylammoniumchlorid/Benzalkoniumchlorid (ADBAC/BKC).

Bessere QAAV-freie Alternativen sind zum Beispiel Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis, sprich Ethanol oder Isopropanol.

"Wir gehen davon aus, dass Proben in ganz Deutschland ähnlich stark belastet sind"

Welche anderen Auswirkungen kann die hohe Menge von QAAV in Böden auf unsere Umwelt haben?

Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es gibt bisher sehr wenige Untersuchungen dazu, wir stehen noch relativ am Anfang der Forschung. Eine Kollegin untersucht momentan den steigenden Verbrauch von QAAV während der Pandemie und die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf Konzentrationen in der Umwelt und Multiresistenzentwicklung in Pathogenen und Umweltbakterien.

Ihre Forschungsarbeit hat sich auf Hessen konzentriert, wie schätzen Sie die Bedeutung für den Rest Deutschlands ein?

Ich denke, wir sollten weitere Bodenproben in ganz Deutschland untersuchen. Wir gehen stark davon aus, dass Proben in ganz Deutschland ähnlich stark belastet sind. Und auch in anderen Industrieländern. Das ist kein spezifisches Problem für Hessen, diese Stoffe werden überall genutzt.
Ein erster großer Schritt wäre getan, wenn die QAAV-Analytik routinemäßig in Umweltlabors stattfinden würde. Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll, gewisse Grenzwerte oder Vorsorgewerte zu definieren. Lieber zu vorsichtig sein, um mögliche negative Auswirkungen frühzeitig zu verhindern. Vorsorge- und Grenzwerte gibt es ja auch für Schwermetalle oder organische Schadstoffe im Boden. Ich denke, das wäre auch für QAAV sinnvoll.

Selbst ein Bioacker hat also keine QAAV-Grenzwerte?

Nein. Im Boden gibt es in diesem Zusammenhang keine Grenzwerte.

Zur Person: Kai Jansen ist Doktorand am Institut für Bodenkunde und Bodenerhaltung an der Universität Gießen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Verhalten von Desinfektionsmitteln (quartäre Ammoniumverbindungen) in Böden; Projekt: Verbleib und Effekte von Quartären Ammoniumverbindungen im Boden – Die Rolle der Mikroaggregierung

Verwendete Quellen:

  • Telefonisches Interview mit Kai Jansen
  • Pressemitteilung: Desinfektionsmittel in hessischen Böden
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