Durch einen Zufall ist in Lübeck ein Armenfriedhof entdeckt worden, wo bis zu 50.000 Menschen begraben liegen. Klar ist: Viele der Verstorbenen in dem Gemeinschaftsgrab haben in einem Haus gelebt. Nun wird nach der Todesursache geforscht.

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Hätten die Lübecker Entsorgungsbetriebe den Regenwasserkanal nicht erneuert, wäre der Armenfriedhof nie ans Licht gekommen. Jetzt legen Archäologen den großen Gräberkomplex frei. "Bis zu 50.000 Menschen sind hier bestattet worden", schätzt Ingrid Suthoff von der Stadt Lübeck.

Archäologen legen Grab frei
Chiara Engesser (l), Archäologin und Grabungstechnikerin an der Grabungsstelle, und Josie Schulz, Grabungsmitarbeiterin, legen Skelette in der Grabungsstelle an der Hüxtertorallee frei. © picture alliance/dpa/Marcus Brandt

Die Skelette liegen kreuz und quer in der Grube. Die Archäologin Katharina Ostrowski zeigt auf ein Skelett in einem Zwischenraum zwischen den Knochen zweier Erwachsener. Das sei ein Baby gewesen, sagt sie. "Ob die zusammengehört haben, wissen wir leider nicht." Doch eines steht fest. Zu ihren Lebzeiten haben alle im Armen- und Werkhaus St. Annen gelebt - einer früheren Sozialeinrichtung für mittellose Männer, Frauen und Kinder. Seit Mitte Februar legen Archäologen Schicht für Schicht den historischen Armenfriedhof frei.

Viele Kinder unter den Toten

Rund 200 Jahre lang - von 1639 bis 1868 - wurden hier vor dem Mühlentor Menschen bestattet, die sich kein Grab auf einem "normalen" Friedhof leisten konnten. "Wir haben hier kein Massengrab im herkömmlichen Sinn, sondern so etwas wie ein Gemeinschaftsgrab", sagt Ostrowski. "Die Verstorbenen wurden in großen Gruben, aber in individuellen Särgen bestattet."

Doch nicht nur Bewohner des Armenhauses fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Auch Beamte, Ärzte und Lehrer der Einrichtung wurden hier bestattet. "Das erkennt man an den aufwendigeren Särgen", erläutert Ostrowski.

Bislang hat das aus drei Archäologen besehende Team etwa 200 Skelette freigelegt. "20 davon waren Skelette von Kleinkindern und auch von Babys", berichtet Ostrowski.

Ausmaß des Grabes in Lübeck überrascht

Von allen gefundenen Skeletten werden Proben aus dem Brust- und Beckenbereich entnommen und im Institut für klinische Mikrobiologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel untersucht. "Vielleicht erfahren wir so doch noch etwas über die Todesursache der Menschen", sagt sie.

Der Fund der Gräber hat die Lübecker Archäologen nicht überrascht. "Wir wussten von der Existenz des Armenfriedhofs", sagte die Leiterin der Archäologie der Hansestadt Lübeck, Ingrid Sudhoff. "Aber das Ausmaß hat uns doch überrascht." Stellenweise waren bis zu sieben Särge übereinander gestapelt. Möglicherweise sei aus noch unbekannten Gründen der Platz knapp geworden, sagt sie.

Archäologin reinigt mit einem Pinsel das Gebiss eines Totenkopfs in der Grabungsstelle
Chiara Engesser, Archäologin und Grabungstechnikerin an der Grabungsstelle, reinigt mit einem Pinsel das Gebiss eines Totenkopfs in der Grabungsstelle an der Hüxtertorallee. © picture alliance/dpa/Marcus Brandt

In den zwei Jahrhunderten seines Bestehens dürften hier mehr als 50.000 Tote beerdigt worden sein, schätzt die Hansestadt Lübeck. Sie stützt sich dabei auf Begräbnisunterlagen und weitere historische Schriftstücke. Der Friedhof in der heutigen Hüxtertorallee erstreckte sich über eine Länge von etwa 120 Metern von Norden nach Süden und setzt sich auch westlich und östlich im Bereich der Grünanlagen fort. "Insgesamt hatte er eine Fläche von etwa 8.000 Quadratmetern", sagt Ostrowski.

Die gefundenen Knochen werden an der jeweiligen Fundstelle fotografiert und anschließend in die Räume der Lübecker Archäologie gebracht. Möglicherweise klärt sich dann auch das Geheimnis um den jüngsten Fund auf. "Das war ein Skelett mit einem Einschussloch im Schädel, die Kugel lag noch daneben", sagt Sudhoff. "Ich bin schon sehr gespannt, welche Ergebnisse die anthropologische Untersuchung ergeben wird." (dpa/mak)

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