Noch immer werden Frauen in aller Welt im Schnitt schlechter bezahlt als Männer. Die US-Ökonomin Claudia Goldin hat Arbeitsmarktdaten von über 200 Jahren aufgearbeitet, um die Lohnlücke zu analysieren. Gerade für Deutschland ist ihre Forschung relevant.
Was sind die Ursachen für die Lohnlücke zwischen Mann und Frau? Was behindert weibliche Karrieren? Welche Folgen hatte die Antibabypille in der Arbeitswelt? Und was kann die Politik lernen im Kampf für Gleichberechtigung? Für die Forschung an solchen Fragen geht der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften an die US-Ökonomin Claudia Goldin. Besonders für Deutschland, wo große Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen herrschen, ist ihre Arbeit brisant - die Aufgaben für die Politik bleiben groß.
Goldin hat Daten über die enorme Dauer von 200 Jahren zur Arbeitswelt in den USA aus den Archiven zusammengetragen, die Rückschlüsse erlauben, wie sich Geschlechterunterschiede bei Bezahlung und Beschäftigungsraten über die Zeit veränderten. Sie habe den ersten umfassenden Beitrag über Einkommen und Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt im Laufe der Jahrhunderte geliefert, würdigte sie der Vorsitzende des zuständigen Nobelkomitees, Jakob Svensson.
Mit ihrer pionierhaften Forschung hat die heute 77 Jahre alte Professorin der Harvard-Universität gezeigt, dass die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt nicht über die gesamten 200 Jahre gestiegen sei, sondern einer U-Kurve ähnele, erklärte die Akademie. Die Beteiligung verheirateter Frauen am Arbeitsleben habe beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft erst ab- und dann mit dem Wachsen des Dienstleistungssektors wieder zugenommen.
Auswirkungen der Antibabypille auf den Arbeitsmarkt untersucht
Goldin sah demnach darin ein Ergebnis des Strukturwandels und aufkommenden sozialen Normen in Bezug auf die Verantwortung von Frauen für Haushalt und Familie. Die Bildung von Frauen sei dann im 20. Jahrhundert kontinuierlich gestiegen und liege in den meisten Staaten mit hohen Einkommen höher als bei Männern. Goldin habe verdeutlicht, dass der Zugang zur Antibabypille für Frauen den Wandel entscheidend beschleunigt habe, weil sie so neue Möglichkeiten zur Karriereplanung bekamen.
Goldin legte dar, dass viele Weichen für Karrieren schon in frühen Jahren gestellt werden. Der Großteil der Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen bestehe jedoch im gleichen Beruf und steige mit der Geburt des ersten Kindes. "Dank Goldins bahnbrechender Forschung wissen wir mehr über die zugrundeliegenden Faktoren und welche Hürden künftig angegangen werden müssen", sagte Svensson.
Goldin wurde 1946 in New York geboren. Sie ist erst die dritte Frau nach Elinor Ostrom 2009 und Esther Duflo 2019, die den Wirtschaftsnobelpreis in der Männerdomäne Ökonomie erhält - und die erste Frau, die als Einzelpreisträgerin in der Kategorie auserkoren wurde.
"Ich bin eine Detektivin gewesen"
"Ich bin eine Detektivin gewesen, seit ich ein kleines Kind war", sagte die Wissenschaftlerin in einem Telefon-Interview, das auf dem Nobelpreis-Kanal auf der Online-Plattform X (früher Twitter) veröffentlicht wurde. Vor langer Zeit habe sie Bakteriologin werden wollen, doch dann packte sie die Arbeit mit Unmengen an Daten und Archiv-Material. "Eine Detektivin zu sein, bedeutet, dass du eine Frage hast", sagte Goldin. "Die Detektivin glaubt immer daran, dass es einen Weg gibt, die Antwort zu finden, und so habe ich immer Forschung betrieben."
In der Fachwelt gab es viel Zuspruch für die Auszeichnung von Goldin mit dem Preis, der mit umgerechnet rund 950.000 Euro dotiert ist. Der Preis für Goldin solle "ein Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft" für mehr Chancengleichheit sein, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.
In Deutschland noch große Lohnlücken zwischen Mann und Frau
Er sieht in Deutschland große Hürden auf dem Weg zur Gleichberechtigung. In kaum einem vergleichbaren Land sei die Lohnlücke zwischen Mann und Frau so groß wie in der Bundesrepublik - außerdem: "Bei den Arbeitsstunden, den Karrierechancen, der sozialen Absicherung und bei der für Pflege und Familie aufgebrachten Zeit klaffen in Deutschland große Lücken zwischen Männern und Frauen, die nur langsam kleiner werden.
Immer noch werden Frauen im Schnitt schlechter bezahlt als Männer - selbst für gleiche Arbeit. Im vergangenen Jahr verdienten Frauen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 18 Prozent weniger pro Stunde, auch weil Frauen oft in schlechter bezahlten Berufen und in Teilzeit arbeiten. Bei vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie verdienten Frauen pro Stunde 7 Prozent weniger als Männer. Seit Start der offiziellen Aufzeichnung 2006 schrumpfte die Lohnlücke nur um fünf Prozentpunkte.
Hürden für Frauen wie fehlende Kitaplätze oder Steuernachteile
Viele Frauen würden statt in Teilzeit gerne mehr und besser arbeiten können, sagte Fratzscher. Doch es gebe Hürden wie mangelnde Betreuung in Kitas oder eine steuerliche Schlechterstellung. "Der deutsche Staat kann und muss endlich diese Hürden adressieren, allen voran durch längst überfällige Reformen des Ehegattensplittings und der Mitversicherung, der Minijobs, in der Pflege und durch mehr Transparenz und Vereinbarkeit auf dem Arbeitsmarkt."
"Goldin hat mit ihren Arbeiten unser Verständnis zu mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz wesentlich erweitert", lobte Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW. Die Ökonomin habe sich stark gemacht für mehr Flexibilität am Arbeitsplatz ohne Beschränkung der Karrierechancen, "damit Kinder nicht zum Nachteil für den Arbeitsmarkt werden. Es gibt auch heute noch einiges zu tun." (dpa/cgo)
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