Wenn alle Einkünfte plötzlich wegfallen, dann sind die meisten Haushalte schon nach wenigen Wochen oder Monaten pleite. Der Grund: Das Vermögen ist zu gering - oder gar nicht vorhanden. Besonders betroffen sind Ostdeutsche und Alleinerziehende. Das zeigt eine interessante Studie des WSI-Instituts.

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Der Verteilungsbericht des gewerkschaftsnahen Düsseldorfer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hat sich einer spannenden Frage gewidmet: Wie lange reicht das Vermögen bei komplettem Einkommensausfall?

Diese Frage kann theoretisch jeder für sich beantworten. Doch wie sieht es aus, wenn man auf alle Haushalte in Deutschland blickt?

Erschreckendes Studien-Ergebnis

Die Ergebnisse des Berichts sind erschreckend: Die Mehrheit der Haushalte hätte schon nach wenigen Wochen oder Monaten ohne jegliches Einkommen massive Probleme.

20 Prozent der Haushalte verfügen sogar über so gut wie keine Rücklagen. Bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit wären sie umgehend nicht mehr in der Lage, ihren Lebensstandard zu halten.

Auf der anderen Seite haben fünf Prozent der deutschen Haushalte so viel Erspartes und Rücklagen, dass sie damit über 20 Jahre hinweg gut auskommen könnten.

Heftig gestritten wird schon seit langem über die großen Einkommensunterschiede in Deutschland. Nun zeigen die Wissenschaftler, dass der Vermögensunterschied der Haushalte noch größer ist.

Einkommensverteilung und Vermögensverteilung müssen, so die Forscher, gemeinsam betrachtet werden, um zu einem verlässlichen Bild über den Wohlstand der Haushalte zu kommen.

Ein Gedankenspiel der Forscher

Die Wissenschaftler des WSI stellen zunächst den Haushalt in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Die finanziellen Ressourcen eines Haushalts setzen sich demnach aus Einkommen und Vermögen zusammen.

Das Einkommen sind die Gelder, die jeden Monat neu zur Verfügung stehen. Das Vermögen besteht aus Sach- und Finanzvermögen, von dem die Schulden abgezogen werden - es geht also um das Nettovermögen. Die dritte Größe ist der Konsum. Er umfasst alle Haushaltsausgaben für Güter- und Dienstleistungen.

Das Gedankenspiel besteht nun darin, dass von heute auf morgen alle Einkommensarten entfallen, also auch staatliche Zahlungen aus den Sozialversicherungen oder Zahlungen aus Kapitaleinkommen. Der Haushalt muss nun an die Substanz des Vermögens gehen, um seinen Konsum zu decken.

Wie lange reicht das Vermögen?

Im Durchschnitt würde das Vermögen aller deutschen Haushalte für ein Jahr und elf Monate zur Sicherung des Konsums reichen.

Doch schaut man sich die Verteilung genauer an, kommt man zu drastischen Unterschieden: 30 Prozent der Haushalte wären nach wenigen Wochen mittellos. Sie verfügen über kein nennenswertes Vermögen, sind zum Teil verschuldet und auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen.

Weitere 20 Prozent der Haushalte können maximal knapp zwei Jahre ihren Konsum sichern. Noch einmal 30 Prozent kommen auf knapp acht Jahre. 10 Prozent der Haushalte sind 13 Jahre gut versorgt und 5 Prozent schaffen es sogar über 21 Jahre, ihren Konsum sichern. Das oberste Prozent hat sogar genügend Vermögen, um 100 Jahre lang davon leben zu können.

Ostdeutsche und Alleinerziehende

Ein großer Unterschied besteht zwischen Ost- und West-Deutschland. Das Vermögen pro Haushalt ist in Ostdeutschland deutlich geringer. Allerdings sind die Konsumkosten der Ostdeutschen ebenfalls geringer als die der Westdeutschen.

Im Osten liegt der Mittelwert aller Haushalte für eine Konsumsicherung ohne Einkünfte bei unter einem Jahr - im Westen dagegen bei über zwei Jahren.

Der Anteil der Haushalte, die nur wenige Wochen oder Monate durchhalten würden, beträgt im Osten 40 Prozent, im Westen sind es 30 Prozent. Auf der anderen Seite können die vermögendsten zehn Prozent im Osten 7,5 Jahre lang ihren Konsum finanzieren, im Westen sind es über 14 Jahre.

Aber nicht nur die Vermögenskluft zwischen Ost und West macht diese Untersuchung deutlich. Auch die angespannte Lage vieler Alleinerziehender zeigt sich. Knapp die Hälfte aller Haushalte von Alleinerziehenden haben überhaupt kein Vermögen angespart und sind auf ihr laufendes Einkommen angewiesen. Sie leben praktisch von der Hand in den Mund.

Schuld ist die derzeitige Einkommensverteilung

Die Forscher kritisieren vor allem, dass viele Haushalte kein regelmäßiges, verlässliches Einkommen haben, das oberhalb der unmittelbaren Existenzsicherung liegt. Denn nur dann könne sich ein Haushalt individuell absichern. Das sei mit Blick auf die derzeitige Einkommensverteilung bei Weitem nicht für jeden der Fall, heißt es in der Studie.

Deshalb appellieren die Experten an die Politik, "die Rahmenbedingungen für die private Vorsorge zur Konsumsicherung zu optimieren". Zum anderen müssten direkte staatliche Maßnahmen dort greifen, wo eine private Vorsorge aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, heißt es im Bericht weiter.

Experten fordern höhere Löhne und starke Tarifbindung

Für ein ausreichend hohes Arbeitseinkommen für mittlere und untere Lohngruppen sei eine starke Tarifbindung nötig. Zudem sei ein ausreichendes und kostenloses Betreuungsangebot für Kinder wichtig, damit die Eltern überhaupt arbeiten können, so die Forscher.

Sie empfehlen außerdem eine staatliche Förderung für untere und mittlere Einkommensgruppen beim Erwerb von Immobilien. Schließlich halten die Experten ein kostenloses Informations- und Beratungsangebot für geeignete Geldanlagen in Zeiten niedriger Zinsen für sinnvoll.

Auch der Staat sollte die Haushalte bei der Sicherung des Konsumniveaus unterstützen. Dazu "bedarf es ausreichender Lohnersatzleistungen und existenzsichernder Arbeitslosengeld-II-Leistungen", mahnen die Experten.

Schließlich fordern die Forscher auch Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau und ein "armutsfestes öffentliches Rentensystem".

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