Dass ein DAX-Unternehmen ins Visier der Justiz geraten ist, markiert einen traurigen Höhepunkt. Doch während sich der nunmehrige Ex-Wirecard-Chef Markus Braun seiner Verantwortung und den Behörden stellte, ist Vize-Chef Jan Marsalek im Ausland untergetaucht. Unterdessen stellt sich eine weitere Schlüsselfigur im Skandal - und wird verhaftet.

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Nach Ex-CEO Markus Braun ist eine zweite Schlüsselfigur im Wirecard-Skandal gefasst. Der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East FZ-LLC mit Sitz in Dubai sei am Montagmorgen verhaftet worden, hieß es vonseiten der Staatsanwaltschaft München.

Oliver Bellenhaus sei zuvor aus Dubai angereist und habe sich dem Verfahren gestellt. Nachdem er als Beschuldigter vernommen worden sei, habe man ihn aufgrund eines bereits zuvor beantragten Haftbefehls festgesetzt. Am Nachmittag wurde er dem Haftrichter vorgeführt.

Der Haftbefehl stützt sich laut Staatsanwaltschaft unter anderem "auf den dringenden Tatverdacht des gemeinschaftlichen Betrugs und versuchten gemeinschaftlichen Betrugs jeweils im besonders schweren Fall sowie den Verdacht der Beihilfe zu anderen Straftaten". Nach einer weiteren Hauptfigur im Skandal - dem Österreicher Jan Marsalek - wird unterdessen weiter gefahndet.

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Wirecard 1999 bei München gegründet

Die börsennotierte Wirecard AG mit Sitz in Aschheim bei München wurde 1999 gegründet. Das Geschäftsfeld des Zahlungsdienstleisters umfasst vor allem die Automatisierung von Zahlungsprozessen, elektronische Zahlungs- und Risikomanagementlösungen sowie die Herausgabe und Akzeptanz von Kreditkarten. Über 20.000 internationale Firmen aus unterschiedlichen Branchen gehören zu den Kunden von Wirecard.

Nachdem die Wirtschaftsprüfer das Testat für die Bilanz verweigert hatten, wurde im Juni 2020 bekannt, dass Aktiva in Höhe von 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz nicht nachgewiesen werden konnten. Wirecard versuchte zunächst, sich als Betrugsopfer darzustellen, räumte schließlich aber ein, dass die 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten auf den Philippinen verbucht sein sollten, womöglich gar nicht existieren.

Die philippinische Zentralbank teilte mit, dass die fehlenden Gelder nicht in das Finanzsystem des Landes geflossen seien. In der Folge meldete das Unternehmen am 25. Juni 2020 Insolvenz an.

Der Erdrutsch kam nicht so überraschend, wie es scheint

Innerhalb des Unternehmens gab es ein weltweit verzweigtes Konstrukt aus Tochter- und Partnerfirmen, deren ausgewiesene Umsätze und Gewinne offenbar nur teilweise oder sogar nie existierten.

Die "Financial Times" hatte in der Vergangenheit bereits mehrmals Kritik an Wirecard geübt und die unklare Herkunft von Gewinnen sowie dubiose Drittparteien angeprangert. Die Manipulationen könnten bereits im Jahr 2014 oder sogar noch früher begonnen haben.

Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" auch wegen des Verdachts der Untreue. Offenbar flossen dreistellige Millionensummen von Wirecard-Konten an Firmen in Asien und auf Mauritius.

Jan Marsalek - Schlüsselfigur im Wirecard-Skandal

Der Österreicher Jan Marsalek (40), Vize-Chef und rechte Hand des nunmehrigen Ex-CEO Markus Braun, arbeitete seit 2000 bei Wirecard. Als Chief Operating Officer (COO) war er über zehn Jahre lang verantwortlich für das Tagesgeschäft sowie für das Drittpartner- und Asiengeschäfte von Wirecard.

Pressekonferenzen blieb Marsalek während seiner Amtszeit eher fern, obgleich er COO für das Asiengeschäft war. Auch innerhalb des Konzerns hielt er sich laut Berichten der FAZ eher im Hintergrund und wahrte Distanz zu den Mitarbeitern.

Nach Bekanntwerden der fehlenden Gelder wurde Jan Marsalek von seiner Tätigkeit als Vorstand der Wirecard AG zunächst freigestellt und kurz darauf fristlos entlassen.

Gegen ihn liegt mittlerweile ein Haftbefehl vor; auch Interpol sucht nach Marsalek. Vorgeworfen werden ihm mehrere Delikte im Zusammenhang mit dem Bilanzskandal. Über seinen Anwalt hatte er zunächst zugesagt, zur Vernehmung nach München zu kommen. Aus Kreisen der Verfahrensbeteiligten erfuhren "Süddeutsche Zeitung", WDR und NDR nun aber, dass er sich doch nicht stellen wolle und nicht nach München kommen werde.

Ex-Vorstand auf der Flucht vor den Behörden - wo ist er untergetaucht?

Es wird darüber spekuliert, wo sich Marsalek mittlerweile aufhält. Möglicherweise ist er über die Philippinen nach China gereist. Da er eine philippinische Ehefrau hat, wäre ihm trotz Corona eine Einreise möglich gewesen. Von Cebu aus soll er nach China weitergereist sein.

Allerdings sind die Angaben widersprüchlich, am Tag seiner vermuteten Weiterreise hat es wohl keinen Flug von Cebu nach China gegeben, und Marsalek war auch auf keinem Video der entsprechenden Flughäfen zu sehen. Daher könnte es sich auch um ein Ablenkungsmanöver gehandelt haben.

Das "Wall Street Journal" berichtete am 3. Juli, dass Marsalek wohl falsche Spuren gelegt habe und die Einreise auf die Philippinen nur fingiert war. Möglich wäre aber auch, dass er nicht nach China weitergereist ist und sich nach wie vor auf den Philippinen aufhält.

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Die Suche nach dem "verschwundenen Geld"

Unabhängig vom Aufenthaltsort Marsaleks sind die Philippinen in Erklärungsnot. Millionenbeträge sind verschwunden, Bankunterlagen wurden gefälscht, unter Umständen sind korrupte Beamte in den Skandal verwickelt. Das philippinische Justizministerium ist um Aufklärung bemüht, Justizminister Menardo Guevarra hat drei Behörden mit den Ermittlungen beauftragt.

Die Notenbank der Philippinen sowie die beiden lokalen Banken der Philippinen hatten erklärt, dass sich kein Geld von Wirecard auf den Banken des Inselstaates befände und es keine Konten von Wirecard gäbe. Allerdings existieren wohl mindestens drei Partner-Firmen von Wirecard, die unter anderem wegen Verdachts der Geldwäsche nunmehr ins Visier genommen werden sollen.

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • Zeit Online: "Die Spur führt nach Manila"
  • The Wall Street Journal: "Wirecard Executive’s Entry Into Philippines Might Have Been Faked"
  • cash: "Ehemaliger Wirecard-Topmanager von den Philippinen Richtung China gereist"
  • FAZ: "Wo steckt der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek?"
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