Von "Schulz & Böhmermann" sagt man, es sei eine Talkshow für Leute, die keine Talkshows mögen. In der Tat bricht das ZDFneo-Format immer wieder anarchisch mit den Regeln des TV-Betriebs. In der nächsten Sendung geht man sogar noch einen Schritt weiter.

Eine Kritik
von Eric Leimann

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Anstelle von "echten" Talkshowgästen sind in dem TV-Experiment (Sonntag, 6. August, um 23:15 Uhr auf ZDFneo) die Schauspieler Iris Berben, Lars Eidinger, Karoline Herfurth und Katharina Thalbach zu Gast - die in Masken Talkshowgäste mimen.

Ihre Rolle ziehen sie über die gesamte Sendestrecke von knapp einer Stunde konsequent durch. Das Publikum im Saal weiß anfangs von nichts.

Das Publikum hält alles für echt

"Hallo, ich bin Jan Böhmermann und bin immer enttäuscht, wenn Schauspieler als Privatpersonen in Talkshows sind", sagt Deutschlands bekanntester Satiriker zu Beginn dieser sehr besonderen Ausgabe von "Schulz & Böhmermann".

Das Publikum im Studio hört diesen Satz nicht. Es denkt, zumindest zu Beginn, die eingeladenen Gäste seien echt.

Da sind zum einen der exzentrische Theaterstar Finn Meinhold (Lars Eidinger) oder die unbedarfte AfD-Wählerin Marita Skwara (Katharina Thalbach).

Noch glaubwürdiger, weil weniger scharf profiliert: Eine YouTube-Unternehmerin namens Claudine Landmann (Karoline Herfurth), die ihre 11-jährige Schwester vor zwei Millionen Followern vermarktet.

Und dass man die in die Jahre gekommene Schauspiel-Diva Kathrin Ferrante (Iris Berben) nicht kennt, die schon lange in Malibu lebt und zuletzt vor zehn Jahren bei "Wetten, dass..?" im deutschen Fernsehen aufgetreten ist, kann ja auch mal sein.

"Ich bin ein Anti-Feminist!"

Jeder der vier Schauspieler bleibt über knapp 60 Minuten in seiner Rolle. Auch wenn manchem Zuschauer dank der einen oder anderen clownesken Einlage Thalbachs, die eine einfach gestrickte Brandenburgerin verkörpert, irgendwann aufgehen dürfte, dass hier irgendetwas nicht stimmt.

Selbst Lars Eidinger, der sich für seine Rolle als intellektueller Provokateur offenbar ein wenig von Rainer Werner Fassbinder inspirieren ließ, reizt in seinem - wohlgemerkt brillanten - Auftritt die eine oder andere Grenze des TV-Plausiblen aus.

Dass er das Fernsehen hasst, weil es den lebendigen Augenblick tötet und in eine Kiste packt, mag ja noch angehen.

Dass der obskure Theaterstar sich jedoch als Anti-Feministen bezeichnet, weil der Mann der Frau einfach überlegen sei und er niemals unter einer weiblichen Regisseurin oder in einem von einer Frau geschriebenen Stück spielen würde - nun, diese Position ließe sich im "echten Fernsehen" wohl nicht lange durchhalten.

Alle wollen etwas verkaufen

Subtiler geraten die Auftritte von Berben und Herfurth: Ferrante und Landmann sind als Talkshow-Gäste verblüffend echt.

Im Profanen, das sie reden und ausstrahlen, aber auch in ihren künstlich wirkenden Lebensbotschaften, mit denen sie sich selbst verkaufen. Die beiden Frauen geben sich emanzipiert, liberal und idealistisch. Dabei wollen sie doch nur ihr Produkt verkaufen.

Diva Ferrante, die von ihrem Gatten, einem extrem reichen, aber schlecht beleumundeten Geschäftsmann der Marke Carsten Maschmeyer finanziert wird, will ihren Dokumentarfilm über "Earthing" bewerben.

Und Landmann, die früher ein pummeliger Kinderstar war und ihren Nachnamen heute französisch ausgesprochen haben will? Für sie ist ohnehin alles cool und gechillt, aber eben auch Geschäft.

Dass die Moderatoren irgendwann in ihrer Improvisation ebenfalls mutiger und pöbeliger werden und Landmann fragen, ob es nicht den Pädophilen in die Karten spielen würde, den Alltag ihrer elfjährigen Schwester samt Bikini-Kollektion zu vermarkten, gehorcht aber sogar den normalen Regeln der Sendung.

Selbst Meinhold, der Rebell der Runde, hat am Ende etwas zu verkaufen. Es ist ein kurzer Ausschnitt aus seinem Bühnenprogramm, das Shakespeare-Monologe mit Jazz verknüpft. Auch die folgende dadaistische Hochkultur-Parodie gelingt Schauspiel-Berserker Eidinger.

Pflichtprogramm für kritische TV-Zuschauer

Insgesamt ist dieses Spezial von "Schulz & Böhmermann" ein großer Spaß und absolutes Pflichtprogramm für alle, die lustvoll kritisch über das Medium Fernsehen nachdenken.

Am Ende sieht man - leider nur wenige Minuten - wie die Schauspieler und die Gastgeber Jan Böhmermann und Olli Schulz über die Show reflektieren.

Dann erfährt der Zuschauer, wie man sich in der Runde das Lachen verkniff (durch Wegdrehen von der Kamera), wenn einer der sechs am Tisch mal wieder einen improvisatorischen Volltreffer landete.

Dieser Reflexion hätte man gerne noch etwas länger zugesehen. Ebenso wären Publikumsreaktionen interessant gewesen, denn hier hätte der eigentlich ernste Mehrwert des TV-Experiments verhandelt werden können.

Es geht um die Frage: Inwieweit nimmt der Zuschauer Talkshows als Realität oder eben Rollenspiel wahr? Dass politische Redesendungen eher Letzterem zuzurechnen sind, weil dort meist Partei-Positionen "gespielt" werden, weiß man schon lange.

Dass aber auch andere Talkshows, in denen man mehr über einen Kreativen, Star oder findigen Unternehmer herausfinden will, ebenso dem Gesetz des Rollenspiels folgen, diesem Eindruck ist man nach diesem Abend bei "Schulz & Böhmermann" noch etwas näher gekommen.

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