• Nur Glamour und Glitzer in der Schlagerwelt? Von wegen!
  • Die dreiteilige ARD-Doku "Vanessa Mai - MAI time is now" offenbart die Schattenseiten des Business.
  • Der Film rekapituliert eindrucksvoll die Höhe- und Tiefpunkte der Karriere von Vanessa Mai.

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Dokumentationen über Musikstars stellen nicht selten intime Geständnisse, die Enthüllung von Geheimnissen und exklusive Einblicke hinter die Kulissen in Aussicht - und entpuppen sich dann doch als nicht eingelöstes PR-Versprechen. Anders ist das bei der dreiteiligen SWR-Doku "Vanessa Mai - MAI time is now " (ab sofort in der ARD Mediathek abrufbar).

Vier Jahre lang, ab 2018, heftete sich ein Kamerateam an die Fersen von Vanessa Mai. Das eineinhalbstündige Filmdokument ist nicht nur ein Zeitzeugnis der Höhen und Tiefen von Mais Karriere, sondern gleicht auch einer Bestandsaufnahme der teils ernüchternden Mechanismen der Silbereisen-Schlagerwelt.

Videoaufnahmen zeigen Streit zwischen Vanessa Mai und ihrem Mann und Manager

"Der Schlager war nicht das Problem, sondern die Grenzen, die sich Menschen für dieses Genre ausgedacht haben", resümiert Vanessa Mai ziemlich am Ende der Doku-Reihe. Diese Grenzen wurden Mai jahrelang vor Augen geführt. Zu Beginn ihrer Solo-Karriere war die Sängerin Dauergast in großen Samstagabend-Shows - und fügte sich zunächst vielen Vorgaben der Produzenten: "Man hat mir schon durch die Blume gesagt: So ein Tränchen schadet nicht." Doch das Korsett sei immer enger geworden, schildert die 30-Jährige.

Wie zerrissen Mai damals war, offenbaren Videoaufnahmen, die einen Streit zwischen ihr und ihrem Manager und Ehemann Andreas Ferber zeigen. "Ich werde nicht mit ihm am Tisch sitzen. Ich werde mir nichts predigen lassen wie eine Schülerin", wehrt Mai jegliche Versuche ihres Partners ab, mit dem einflussreichen Show-Produzenten Michael Jürgens weiter zusammenzuarbeiten. "Tu mir das nicht an, Jürgens ist für mich durch."

Vanessa Mai als Helene Fischer 2.0? "Jeder Vergleich mit Menschen ist toxisch"

Belastend seien auch die permanenten Vergleiche mit Helene Fischer gewesen, räumt Vanessa Mai ein. Ihr gehe es nicht um Helene Fischer als Person, die immer eine Inspiration gewesen sei, aber: "Jeder Vergleich mit Menschen ist toxisch. Wenn das jahrelang auf dich einprasselt, macht das etwas mit dir." Mai aber will anders sein, will ihre eigenen Spuren hinterlassen, wie sie beschreibt: "Ich wollte ausbrechen, ich wollte Grenzen sprengen. Ich wollte mir meine Freiheit erarbeiten."

Dafür arbeitet die Sängerin hart, geht an ihre eigenen Grenzen - und darüber hinaus. Bei Proben für ein Konzert in Rostock liefert ihr Körper die bittere Quittung für die Schinderei. "Es war ein Moment, wo meine Muskulatur zugemacht hat. Es war so ein Schmerz, ich konnte mich nicht mehr bewegen", denkt die Künstlerin in der Doku an den schlimmen Moment zurück.

Die Kameras sind auch mit dabei, als der behandelnde Arzt Mai via Autotelefon den Ernst der Lage schildert. "Als es hieß, du kannst nicht mehr tanzen, habe ich mich total nutzlos gefühlt", beschreibt Mai ihre damaligen Gefühle. Sie habe es nicht wahrhaben wollen, im schlimmsten Fall gelähmt sein zu können.

Raus aus der künstlerischen Krise - auch dank TikTok

Es sind diese Kehrseiten einer scheinbar schillernden Welt des Schlagers, die "MAI time is now" eindrucksvoll nach außen kehrt. Im Zentrum dieser Aufs und Abs steht Vanessa Mai zugleich als Mensch und als Künstlerin. Dass ausgerechnet der Charterfolg ihrer 2018er-Platte "Schlager" eine absolute Zäsur ihrer Karriere einleitet, passt ins Bild. Zwischen Backstage-Auseinandersetzung mit Ehemann Andreas Ferber und Jubel-Postings in den sozialen Medien fragt Mai den Kameramann an einer Stelle: "Hattest du schon einmal Depressionen?"

Die viele Politik im Hintergrund hemmt den Freigeist Mai, die Rebellion gegen die Schlager-Stereotypen tut ihr Übriges. Die Folge: eine künstlerische Krise. "Es ist so leer in meinem Kopf", räumt sie Ende 2018 ein. Die Songwriting-Reise mit dem renommierten Produzenten Stefan Dabruck nach Nashville ergibt nichts. Vanessa Mai steht ohne Album da, sagt die geplante Tournee ab und trennt sich von großen Teilen ihres Teams. "Nur noch Andreas da: Was machen wir jetzt eigentlich?", rekapituliert Mai die "emotional wirklich sehr belastende" Zeit.

Und doch kämpft sich Vanessa Mai aus dem Tief, wie Folge drei von "MAI time is now" illustriert. Während Andreas Ferber den mit einfachen Mitteln umgesetzten Musikvideo-Dreh 2019 zur Single "Venedig" als "musikalischen Wendepunkt" beschreibt, entdeckt Mai in der Corona-Pandemie TikTok und die sozialen Medien für sich. "Dass es solche Wellen schlägt, hätte ich nicht erwartet", denkt sie verblüfft zurück. Social Media habe ihr trotz Negativkommentaren geholfen, "mich so zu zeigen, wie ich wirklich bin".

Letztlich ist es, so zeigt es "MAI time is now", nur eine Facette einer vielseitigen Künstlerin, die weit mehr ist als eine Schlagerprinzessin oder eine Helene Fischer 2.0. "Natürlich war das Risiko da zu scheitern. Aber dazu war ich bereit", erklärt Vanessa Mai in den letzten Momenten der sehenswerten Dokumentation. "Es war genau richtig, für meine Freiheit einzustehen."

(tsch)  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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