RTL holt "Winnetou" aus den ewigen Jagdgründen zurück und Teil eins erwies sich bereits als Glücksgriff. Auch der gestrige zweite Teil überzeugt. Dabei hat "Winnetou – Das Geheimnis vom Silbersee" mit dem Buch ebenso wenig gemeinsam wie mit dem Vorgängerfilm aus den 1960ern. Zum Glück.

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Mensch, was waren Winnetou und Old Shatterhand doch für Haudegen. Konnten aus 100 Metern, ach was, aus 1000 Kilometern dem Feind die Kniescheibe wegschießen. Aus Fairness, weil sie ihn nicht töten, sondern nur bewegungsunfähig machen wollten. Hut ab vor so viel Noblesse! Und reiten konnten die beiden. Oft tagelang – ohne auf die Uhr zu schauen! Solche zwei hätte man bei jedem Handgemenge gerne an seiner Seite. Zumindest war das 1962 so, als Lex Barker und Pierre Brice Old Shatterhand und den edlen Häuptling Winnetou gaben.

Knapp 50 Jahre nach der Erstverfilmung sind Winnetou und Old Shatterhand zwar immer noch die beiden ungekrönten Prärie-Prinzen, aber meilenweit entfernt von einem Unbesiegbarkeitsnimbus. Im zweiten Teil der neuen Trilogie von gestern Abend, sind die beiden erst einmal nur zwei dicke Freunde mit Hang zum Abenteuer. Zwei, mit denen man Pferde stehlen kann. Nachdem das aber auch im Wilden Westen illegal war, besorgen sich die beiden neue Reitgelegenheiten lieber auf die altmodische Art: mit dem Einfangen von Wildpferden.

Old Shatterhand darf endlich Mensch sein

Old Shatterhand alias Karl May demonstriert dabei eine grundsätzliche Unbeholfenheit – eine Eigenschaft, die im zweiten Teil noch stärker zu Tage tritt als im ersten. Mit dem Superhelden eines Lex Barker aus den 1960ern hat Old Shatterhand hier nur noch seinen Edelmut gemeinsam. Ansonsten agiert er bisweilen regelrecht tölpelhaft: er schleicht sich an "wie eine flüchtende Büffelherde", beim Reiten fällt er vom Pferd und seinen Eulenruf kriegen Sechsjährige besser hin. Nur auf seinen rechten Schwinger kann er sich verlassen. Ansonsten ist er von einem Apachen noch so weit entfernt wie Sie und ich.

Und genau das macht dem Ingenieur aus Sachsen zu schaffen. Mehr noch, als die Schwester Winnetous, Nscho-tschi, ihn zu ihrem Mann machen möchte. Da nimmt Karl May Reißaus, weil er glaubt, nie ein Apache werden zu können. Die zwei Herzen in einer Brust, Sie verstehen. Jedenfalls kehrt er erst einmal nach Roswell zurück, um dort Kaufhäuser zu bauen und lässt die enttäuschte Nscho-tschi zurück. Als die jedoch von einem mexikanischen Gangster entführt wird, kommt Old Shatterhands Selbstfindungsprozess ins Rollen.

Aus Karl May wird Old Shatterhand

Ist schon der Film-Klassiker aus den 1960ern eher lose an das Original von Karl May angelehnt, hat "Winnetou – Das Geheimnis vom Silbersee" eigentlich nur noch den Silbersee und dessen Schatz mit der Buchvorlage gemein. Der Rest der Geschichte wird aufs Gröbste vereinfacht, im Mittelpunkt steht stattdessen Karl Mays Kampf zwischen Mystik und Zivilisation, zwischen dem Homo Faber und dem Apachen in ihm. Es ist die Reise Mays zu dem Menschen, den der Zuschauer bereits als Old Shatterhand kennt.

Symbolisches Ziel dieser Reise ist Nscho-tschi (Iazu Larios), die er aus den Fängen des ebenso unberechenbaren wie brutalen Gangsterbosses El Mas Loco (Fahri Yardim) befreien muss. Wenn er sie rettet, sind Herz und Verstand vereint, kann Karl May seine Ruhe finden und aus dem Indianerhäuptling und dem Greenhorn aus Sachsen Winnetou und Old Shatterhand werden. Eine Person in zwei Körpern vereint.

Es ist ebenso ungewohnt wie befreiend, den großen Old Shatterhand einmal nicht als den kühlen Hühnen mit der Eisenfaust, den Lex Barker aus ihm machte, zu sehen. Wilke-Möhrings Old Shatterhand ist zwar nach wie vor der Held mit dem Herz am rechten Fleck, aber er darf endlich auch einmal ein Mensch sein, einer mit Schwächen. Er darf herumstümpern, Frauen verprellen, dumme Entscheidungen treffen, nicht alles wissen und vor allem: sich erst einmal selbst finden.

"Das Chili ist noch warm"

Die Geschichte um diesen Selbstfindungsprozess herum ist zwar eher dünn, aber mit Charme, Humor und vielen netten Einfällen erzählt. Eine typische Cowboy-und-Indianer-Geschichte wie sie der Nachwuchs vielleicht im Garten nachspielen könnte. Es wird viel angeschlichen, viel von Fesseln befreit und der Vorsprung der Banditen anhand des Wärmegrades des Chilis geschätzt. Was man halt so im Wilden Westen gemacht hat, als es noch kein Pokémon Go gab.

Dazu sieht man einen Fahri Yardim als El Loco, der seinem Namen als verrückter Bandit alle Ehre macht und einen Milan Peschel der, seinem Sam Hawkins zwar seine Schrulligkeit lässt, aber dafür noch ein paar Facetten mehr hinzufügt. Das alles ergibt eine herrliche Wild-West-Schote mit Tiefgang an den richtigen Stellen und genügend von dem alten "Winnetou"-Flair, dass man sich ohne schlechtes Gewissen auf Teil drei freuen darf.

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