• Es wird heiß und stickig in Wien: Nachdem ein hoher Beamter beim Joggen tot umkippt, stoßen Moritz Eisner und Bibi Fellner auf einen schmierigen Wirtschaftsverein.
  • Niemand will, dass sie ermitteln, aber sie ziehen in den Kampf wie David gegen Goliath.
  • Der Wiener Tatort "Verschwörung": Ein schweißtreibender Fall in malerischer Landschaft.
Eine Kritik

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Moritz Eisner geht scheinbar ruhig durch ein Amtsgebäude. Zieht eine Nummer, setzt sich, wartet. Wir sehen sofort, dass mit dem Kommissar etwas nicht stimmt. Dass dieser Mann tief erschüttert ist. Und dass die Schweißtropfen, die ihm die Schläfen herunterlaufen, weil es so furchtbar heiß ist in diesen Tagen in Wien, genauso gut Tränen sein könnten.

Und natürlich wollen wir sofort wissen, was passiert ist. Was hat Moritz Eisner aufs Arbeitsamt geführt, wo die Beamtin seine beeindruckende Karriere auflistet und dann ungläubig wissen will: "Gekündigt? Was haben’s denn gemacht?" Und er antwortet: "Meinen Job." Moritz Eisner innerlich derart aufgewühlt – das ist verstörender als so manche Leiche.

Und dann geht der eigentliche "Tatort" los. Damit, dass im Wald ein Jogger halluziniert und dann umkippt. Und damit, dass eine erwartungsfrohe Bibi Fellner ihren Kollegen Eisner vom Bahnhof abholt. Die Wiedersehensfreude der beiden ist rührend. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir, dass Moritz Eisner ein Jahr nach Den Haag gehen soll. Bibi gefällt das gar nicht, aber Moritz hat ihr ein Schlüsselbund mitgebracht, an dem winzige Clogs in Delfter Blau klimpern – ihren eigenen Zugang zum Gästezimmer seiner Wohnung in Holland. Aber wir wissen auch, dass diese Szenen sich eine Woche vor Moritz Eisners Besuch auf dem Arbeitsamt abspielen, und wir können einfach nicht teilnehmen an dieser guten Laune, diesem freundlichen Geplänkel der beiden Kollegen.

Die stoßen bei ihren Ermittlungen auf einen alten Korruptionsskandal, in den der tote Jogger verwickelt war. Denn Willi Wagner war Referatsleiter im Innenministerium. Das Bauernopfer nach der Enthüllung aber war sein Freund, Nachbar und Kollege Leytner. Der hat seine Stelle im Ministerium zwar verloren, ist aber offenbar sehr weich auf einen Posten als Vorstand des dubiosen "Vereins Sichere Zukunft" gefallen, wo Privatunternehmen Kontakte zum Innenministerium verschafft werden. Regierungsaufträge für eine sichere Zukunft also – vor allem die der Unternehmer.

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Gemeinsam mit dem Kommissar vor Wut schäumen

Und dann wird es abstoßend, fast zu abstoßend: Eisner und Fellner werden nämlich geradezu hoheitsvoll zur Audienz beim Verein vorgelassen, und all die pomadisierten Frisuren und gestutzten Bärtchen, die dazu perfekt passende aalglatte Arroganz und die passiv-aggressive Freundlichkeit scheinen arg dick aufgetragen.

Diese Extreme bewirken ein emotionales Wechselbad, das es leicht macht, mit Moritz Eisner mitzufühlen. Denn kurz nach dem Besuch im Büro des schmierigen Doktor Leytner und ein paar hinterhältigen Andeutungen erfährt Eisner, dass er den eigentlich sicheren Posten in Den Haag doch nicht bekommen wird. Und das ist erst der Anfang.

Der Kommissar schäumt, und wir schäumen mit ihm. Und wenn ihn nach der Wut die Verzweiflung packt und er nachts einsam auf dem Dach seiner Wohnung sitzt, dann starren wir mit ihm in die Dunkelheit und über die Stadt, angewidert von ihren verlogenen Entscheidungsträgern, die meinen, die eigene Geld- und Geltungssucht komme auch der Gesellschaft zugute.

Natürlich ermittelt Moritz Eisner weiter, auch wenn er das offiziell gar nicht mehr darf, und natürlich helfen ihm Bibi Fellner ebenso wie die neue Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer), und allen rinnen, weil es so heiß ist in diesem Wiener Sommer, die Schweißtropfen herunter - nicht die heimlichen Tränen des Ausgestoßenen, sondern echter Schweiß, Ausdruck der Entschlossenheit des Einzelkämpfers.

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Eine elegante David-gegen-Goliath-Geschichte

Das Drehbuch von Ivo Schneider verzichtet auf klassenkämpferische Plattitüden und konzentriert sich ganz auf die Figuren, die er in einen David-gegen-Goliath-artigen Kampf ziehen lässt. Und weil diese Figuren vor allem Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser in Gestalt von Eisner und Fellner sind, stört es nicht weiter, dass manche Fährten, die sie verfolgen, etwas lieblos versickern und andere von arg glücklichen Zufällen begleitet werden. Dem emotionalen Parcours, den sie bewältigen, sieht man gebannt zu. Und auch Matthias Franz Stein als Doktor Leytner ist in seiner selbstgefälligen Lässigkeit überzeugend widerwärtig.

Regisseurin Claudia Jüptner-Jonstorff inszeniert die "Verschwörung" mit viel Gespür für das richtige Bild zum richtigen Zeitpunkt, elegant erzählen ihre Einstellungen vom Auf und Ab der Gefühle und Temperaturen.

Der Ort des Hauptgeschehens macht es ihr aber auch leicht: Wie zwei Festungen gebieten die beiden modernen Villen der "Frenemies" Wagner und Leytner über die lieblichen Hügel bei Wien – die des Toten weiß, die des Verdächtigen schwarz. Unschuldig ist hier niemand. Moritz Eisner hat nichts mehr zu verlieren, und Bibi Fellners Loyalität ist furchtlos und unbedingt. Gegen die glühende Entschlossenheit dieses Teams hat auch die modernste Klimaanlage keine Chance.

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