Einen Krimi in der Gamer-Szene spielen zu lassen, ist natürlich eine tolle Idee: Schließlich ist das Milieu für die Münchner Kommissare und die Mehrheit des Publikums wahrscheinlich noch exotischer als Frankfurter Zuhälterkreise oder Berliner Drogenbarone. Andererseits: Vor dem Bildschirm zu sitzen und anderen Menschen dabei zuzusehen, wie sie vor dem Bildschirm sitzen und Videospiele spielen, finden die meisten Krimizuschauer vermutlich eher verwerflich. Wahrscheinlich sind Videospiele sogar genau das, wovor sie ihre Kinder und Enkel dauernd warnen: "Warum gehst du nicht mal raus zum Spielen!"

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Keine leichte Aufgabe also, die sich der Münchner "Tatort: Game Over" da gestellt hat. Aber die Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen gehen die Sache behutsam an: Alles beginnt mit einem klassischen Mord.

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Eine junge Polizistin wird bei einer Fahrzeugkontrolle erschossen. Ziemlich schnell erhärtet sich der Verdacht von Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec), dass der oder die Täter aus den eigenen Reihen stammen – und wahrscheinlich zu den "Munich Sheriffs" gehören, einer Online-Gruppe, die regelmäßig zusammen ein Shooter-Game spielt.

Shooting-Star Oskar hilft bei den Ermittlungen

Kollege Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) darf einmal mehr glänzen und seine Jugendlichkeit beweisen, weil er als Freizeitzocker zumindest etwas Ahnung von Videospielen hat. Hilfreicher ist dann aber doch Oskar Weber (Yuri Völsch). Der Teenager ist ein Shooting-Star (Ha-ha!) der Szene und nimmt mit seinem Team an einem internationalen Turnier teil, das gerade in München stattfindet. Oskar wird in den Chat der Munich Sheriffs geschickt, um an die Klarnamen der spielenden Polizisten zu kommen.

Und dann können Batic und Leitmayr wieder in der realen Welt ermitteln. Während Oskar online im Spieleklassiker Counter-Strike um Ecken huscht, klettert Leitmayr über Balkone und findet echte Leichen.

Fans fiebern beim Counter-Strike-Turnier mit

Naturgemäß hängen viele Schlüsselmomente der Ermittlungen mit Computerwissen zusammen und müssen mittels Erklärdialogen geliefert werden. Doch optisch holen Regie (Lancelot von Naso) und Kamera (Peter von Haller) aus dem E-Sport-Milieu heraus, was herauszuholen ist. Die meiste Action von "Game Over" spielt sich im kalten Bildschirmlicht abgedunkelter Räume ab, wo eine Szene zu Hause ist, die diesen Underground dem Licht ihres Alltags vorziehen. Weil der ihnen nicht genug bietet – oder aber umgekehrt, weil er sie überfordert.

Das Turnier, das Oskar um jeden Preis gewinnen will, findet in einer ausverkauften Arena statt. Wie Fußballfans fiebert das jubelnde Publikum mit seinen zockenden Helden mit. Und während die Fans auf riesigen Bildschirmen verfolgen können, wie die E-Sportler in Counter-Strike als Mitglieder einer Anti-Terroreinheit gegen Terroristen kämpfen, müssen echte Polizisten in diesem Trubel einen echten Mörder finden.

Dabei vermeidet "Game Over" die Peinlichkeit, mit Videogaming die Jugendlichkeit und Coolness dieses "Tatort" beweisen zu wollen. Auch die betuliche Altherrenkomik, die Batics und Leitmayrs Ahnungslosigkeit mit sich bringt, hält sich in Grenzen. Die ungewohnte – und lukrative – Welt des E-Sports dient in erster Linie als unverbrauchte Kulisse, um eine universale Geschichte von viel Geld, Gier und Sucht zu erzählen.

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Ein E-Sportler unter Stress

Das hat dann aber auch den Nachteil, dass tiefere Einblicke in die Welt des E-Sports auf der Strecke bleiben – Einblicke, die man über Hauptfigur Oskar Weber locker hätte erzählen können. Der will das erhoffte Preisgeld dazu nutzen, von zu Hause auszuziehen – kein Wunder, bei dem Streit, den sich seine besorgte Mutter ("Unser Sohn ist süchtig!") und sein ambitionierter Vater ("Oskar hat echtes Talent!") ständig liefern. Kurz wird erwähnt, dass Oskar sich in Therapie befindet – aber worin genau seine Probleme liegen, ob es tatsächlich Spielsucht ist, oder ob das Onlinespiel vielleicht sogar dazu beiträgt, seine Ängste in den Griff zu bekommen, erfahren wir ebenso wenig wie von den spezifischen Anforderungen, die an E-Sportler gestellt werden. Stattdessen gilt viel Aufmerksamkeit den Polizisten der "Munich Sheriffs" und ihrem Stress.

Letztendlich ist "Game Over" deshalb wieder nicht weniger, aber auch nicht mehr als ein solider Münchner "Tatort" mit zwei routinierten Ermittlern, die immer gute Polizeiarbeit liefern, egal ob in einer E-Sportarena oder im Kleingärtnermilieu.

Apropos: Hund Ludwig aus dem letzten Münchner "Tatort", in dem es um den boshaften Kleingärtner Hackl ging, hat in "Game Over" eine Gastrolle. Leitmayr sucht für Hackls Dackel ein neues Zuhause, was sich als fast so kompliziert erweist wie eine Mördersuche.

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