• Der Tatort "Wie alle anderen auch" erzählt im dokumentarischen Stil vom Tod einer Kölner Obdachlosen.
  • Die Nähe zur Realität war beabsichtigt und hatte auch Auswirkungen auf die Darsteller.
  • So wurden beim Dreh unter Kölns Obdachlosen "intensive Erfahrungen" gemacht.

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So erzählt Dietmar Bär (Kommissar Schenk): "Was mir ganz selten passiert, da es für mich eigentlich immer eine professionell bedingte kritische Distanz beim Anschauen unserer Tatort-Produktionen gibt: Der fertige Film hat mich extrem bewegt!" Wir liefern weitere Hintergründe.

Wie hat sich die Regisseurin auf den Dreh vorbereitet?

Nina Wolfrum ging es vor allem darum, dem Klischee des Schnaps trinkenden "Penners" eine andere Realität entgegenzusetzen. Bei ihren Recherchen stellte sie fest, dass Obdachlosigkeit zunehmend die Mittelschicht treffe: "Also auch Menschen, die tagsüber einem Beruf nachgehen und die abends draußen oder in ihrem Auto ihren Schlafplatz aufschlagen", erzählt sie in den Presseinformationen des WDR.

"Vor diesem Hintergrund wollte ich Frauen erzählen, die uns nicht fremd, sondern im Gegenteil beängstigend nah kommen, weil sie 'Wie alle anderen auch' im Leben mal für etwas anderes angetreten sind, Pläne hatten, wie jede von uns, aber dann an irgendeinem Punkt die Orientierung verloren haben."

Beim Dreh unter Kölns Obdachlosen habe sie "intensive Erfahrungen" gemacht: "Auf einmal waren diese Menschen nicht mehr unsichtbar. Das wollte ich unbedingt auch im Film spürbar machen. So ist am Ende des Films der Blickkontakt zum Zuschauer entstanden. Eine der obdachlosen Frauen sagte zu mir: 'Der Kölner Tatort, wie schön… den habe ich damals immer gern geguckt.'"

Wer singt das traurige Lied mitten im "Tatort"?

Eine der eindringlichsten Passagen von "Wie alle anderen auch" ist eine Montage, in der gezeigt wird, wie sich die einsamen Hauptfiguren auf die Nacht vorbereiten. Dazu erklingt das Lied "Melody X" der Berliner Band Bonaparte, hinter der sich der Schweizer Sänger Tobias Jundt verbirgt.

2017 war "Melody X" bereits in einer Episode der Netflix-Serie "Dark" zu hören.Eine Zeile von "Melody X" beschreibt den Song selbst am treffendsten: Von einem "worst case scenario lullaby" ist da die Rede, also einem "Schlaflied für den Extremfall": Es geht um Alltagssorgen und Ängste, und darum, zur Beruhigung "das Licht anzulassen".

Tobias Jundt fing 2008 eher mit punkigen Songs wie "Too much" an. Zwar hatten auch die eine Botschaft, sie ging in den abgedrehten Bonaparte-Videos nur leichter unter: "Wenn nackte Haut im Spiel ist, dann hören viele sowieso gar nicht mehr auf den Text", erzählte der 42-jährige Sänger 2019 im "Deutschlandfunk", "weil sie denken, das kann ja gar nicht noch einen sozialkritischen oder poetischen oder intellektuellen oder irgendwie politischen Anspruch haben."

Gibt es das "Kabäus’chen" wirklich?

Die Sozialstation, die Regine Weigand (Hildegard Schroedter) im "Tatort" leitet, ist fiktiv, aber ähnliche Treffs gibt es in vielen deutschen Großstädten, einige davon richten sich – anders als das "Kabäus’chen" - nur an Frauen, um auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen zu können. Dazu gehört auch der Schutz vor gewalttätigen männlichen Wohnungslosen, unter denen wohnungslose Frauen im "Tatort" leiden müssen.

In Berliner beispielsweise betreibt der Sozialdienst katholischer Frauen e.V. "Evas Haltestelle". Die Tagesstätte im Stadtteil Wedding ähnelt in ihrer Selbstbeschreibung dem fiktiven "Kabäus’chen": "Frauen finden bei uns Essen und Wärme, Geborgenheit und Gesellschaft. Wir unterstützen gerne bei der Suche nach Ressourcen, die mobilisiert werden können ... Außerdem können die Besucherinnen eine Postadresse einrichten und ein Schließfach zum persönlichen Gebrauch nutzen. Alle Angebote erfolgen unbürokratisch und auf Wunsch anonym.

Die Frauen können selbst entscheiden, welches Angebot sie wahrnehmen und ob und in welchem Tempo sie Unterstützung annehmen. Der Grundsatz unserer Arbeit ist es, den Frauen mit Respekt zu begegnen und ihre Lebensweise vorurteilsfrei anzuerkennen. ... In Evas Haltestelle arbeitet eine Sozialarbeiterin mit Unterstützung einer Reihe von ehrenamtlich tätigen Frauen."

Wie viele wohnungslose Frauen gibt es in Deutschland?

Die aktuellsten Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V (BAGW), dem Verband staatlicher und privater Sozialorganisationen, beziehen sich auf 2018: "Die Jahresgesamtzahl der wohnungslosen Menschen ohne Einbezug wohnungsloser anerkannter Geflüchteter lag bei gut 237.000." Davon seien etwa 70 Prozent alleinstehend, und 27 Prozent Frauen.

Wie kommt es zu ihrer Obdachlosigkeit?

Hauptgründe seien "das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut. Es fehlt insbesondere an bezahlbarem Wohnraum für Menschen im Niedrigeinkommensbereich", so Geschäftsführerin Werena Rosenke auf der Webseite der BAGW.

"Alleinerziehende und junge Erwachsene sind besonders vulnerable Personengruppen, aber auch die drohende Altersarmut, der Generation der Billigjobber und -jobberinnen, der Soloselbständigen und anderer prekär beschäftigter Menschen bereitet uns große Sorge." Einer Nachfrage von 17,3 Millionen Einpersonenhaushalten habe 2018 nur ein Angebot von 5,4 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenübergestanden.

Frauen rutschen, wie im "Tatort" beschrieben, oft nach einem Verlust der Arbeitsstelle in die Obdachlosigkeit. Verschärft wird ihre Situation, wenn sie nicht im Mietvertrag einer gemeinsamen Wohnung stehen und es zu einer Trennung vom Partner kommt. Fliehen Frauen vor häuslicher Gewalt, wählen sie häufig die Straße aus Angst, von dem Gewalttäter gefunden zu werden.




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