• Laut Bundesgesetzbuch haben Kinder das Recht auf gewaltfreie Erziehung, doch jeder sechste Erwachsene hält eine "leichte Ohrfeige" dennoch für angebracht.
  • Die Leiterin des Kinderschutzbundes sagt: Eine Ohrfeige durch die Eltern ist eine "Demütigung und ein Vertrauensbruch".
  • Es drohen Verletzungen am Ohr sowie psychische Schäden.
  • Mütter und Väter sollten Stressspiralen meiden und Hilfe von Familienberatungsstellen in Anspruch nehmen.

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Kinder haben das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Das ist im Bundesgesetzbuch festgelegt: In Paragraf 1631 steht zudem: "Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig". Nach Paragraf 223 Strafgesetzbuch ist somit auch die Ohrfeige als vorsätzliche Körperverletzung strafbar.

Jeder Sechste hält "leichte Ohrfeige" für angebracht

Dem gegenüber steht, dass jeder sechste Erwachsene eine "leichte" Ohrfeige in der Erziehung hin und wieder für angebracht hält. Zu diesem Ergebnis kam 2020 eine repräsentative Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm, UNICEF Deutschland und dem Deutschen Kinderschutzbund. Für sie wurden 2.500 Erwachsenen befragt. Eine "schallende Ohrfeige" befürworteten in der Umfrage allerdings nur 2,5 Prozent der Personen.

"Demütigung und Vertrauensbruch"

Dabei kann schon eine von Erwachsenen als leicht empfundene Ohrfeige bei Kindern und Kleinkindern zu körperlichen Leiden führen. "Auch eine einzelne Ohrfeige kann bei ihnen zu erheblichen Verletzungen führen. Diese reichen von Verletzungen des Trommelfells bis hin zu einem Schädel-Hirn-Trauma in Extremfällen", weiß Martina Huxoll-von Ahn vom Deutschen Kinderschutzbund. Durch die Drehbewegung kann auch eine Verletzung der Halswirbelsäule erfolgen. "Körperliche Gewalt ist eine massive Demütigung und ein Vertrauensbruch", so die Pädagogin. Langfristig können daraus auch psychische Erkrankungen, Konzentrationsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern folgen.

Körperliche Gewalt wie auch eine Ohrfeige entstünde oftmals in einem Klima, das bereits von Überforderung und einem Gefühl des Kontrollverlusts geprägt ist, so die Expertin. "Ich bin überzeugt, dass der Anspruch von Eltern ist, gewaltfrei zu erziehen. In bestimmten Situationen macht man dennoch Dinge, die man eigentlich nicht will", so Huxoll-von Ahn. Ihre Empfehlung ist klar: Eltern sollten es erst gar nicht zu einer solchen Dynamik und Stressspirale kommen lassen.

Statt ohrfeigen ins Kissen boxen

Was also sollen Mütter und Väter tun, denen unter Stress "die Hand ausgerutscht ist"? "Natürlich gibt es im Alltag zwischen Arbeit, Partnerschaft und Familienleben immer wieder herausfordernde Phasen und Momente", weiß die Pädagogin um die Probleme vieler Eltern. Die Erziehenden sollten sich aber bewusst machen, dass sie selbst die Verantwortung für ihr Handeln gegenüber ihrem Kind tragen. Sie sollten sich gut beobachten, rät Huxoll-von Ahn.

Dann sind die Fragen "In welchen Situationen werde ich ungehalten? Warum bringt mich ausgerechnet dieses Verhalten meines Kindes so in Rage?" wichtig. "Und dann sollten sie durchatmen. Den Raum verlassen. In ein Kissen boxen. Grimassen vor dem Spiegel schneiden. Sie sollten irgendetwas tun, das sie aus der Wut-Spirale herausholt und erst dann versuchen, den Konflikt mit dem Kind zu lösen: wertschätzend und auf Augenhöhe."

Wichtig: Bei Kindern entschuldigen

Wer sich dennoch unangemessen verhält, sein Kind angebrüllt oder tatsächlich geschlagen hat, sollte sich bei ihm entschuldigen. Dann brauche es auch keine langen Erklärungen, so Huxoll- von Ahn. "Das Kind muss aber spüren, dass der oder die Erwachsene den Fehler begangen und eingesehen hat. Kinder haben niemals Schuld an Gewalt. Wichtig ist mir auch: Eltern dürfen Fehler machen, sie sollten sie aber nicht wiederholen" so die Pädagogin.

Elternkurse können überforderten Eltern helfen

Zudem kann betroffenen Familien in Form von der Familienhilfe, der Teilnahme an Elternkursen oder durch therapeutische Unterstützung geholfen werden, Gewalt aus dem Familienleben zu verbannen. "Wenn Eltern merken, dass sie überfordert sind und sich oftmals nur noch mit Gewalt zu helfen wissen, sollten sie dringend Hilfe suchen", rät die Expertin und verweist auf zahlreiche Angebote verschiedener Träger für Elternkurse und gelungene Elternschaft.

Mit ihnen stehen Hilfeangebote zur Verfügung, die in der Regel beim örtlichen Jugendamt beantragt werden müssen. Erziehungs- und Familienberatungsstellen können aber auch ohne Zuhilfenahme des Jugendamtes aufgesucht werden. "Der Kinderschutzbund hat mit seinem Elternkurs 'Starke Eltern – Starke Kinder' außerdem ein Angebot, das den wertschätzenden Umgang miteinander auf Augenhöhe in den Mittelpunkt stellt und zu einem gelungenen Familienleben beitragen will. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich Hilfe zu suchen. Ich werbe sehr dafür, das auch zu tun", so die Pädagogin.

Eine rechtliche Strafverfolgung ist meist nicht der erste Weg, und laut der Expertin auch nicht immer der beste. "Kinder lieben ihre Eltern, sie wollen aber, dass die Gewalt aufhört. Deshalb ist es auch im Sinne der Kinder bei Vorfällen wie Brüllen oder Ohrfeigen, mit Hilfen in der Familie anzusetzen und nicht mit der Staatsanwaltschaft", so Huxoll- von Ahn.

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Erziehungstipp: Einsicht schaffen statt Angst vor Strafen

Dass Kinder sich hin und wieder anders verhalten, als die Erwachsenen sich wünschen, kommt aber in allen Familien vor. Wie sollten Eltern gewaltfrei damit umgehen? "Strafen lehnen wir beim Kinderschutzbund grundsätzlich ab", so Martina Huxoll-von Ahn. "Jede Familie ist individuell und hat eigene Herausforderungen, die bestanden werden müssen. Familien müssen deshalb individuelle Regeln aushandeln und gemeinsam über Konsequenzen sprechen, wenn Regeln übertreten werden. Wir Erwachsenen sollten uns dabei immer hinterfragen, ob unsere Haltung dem Kind gegenüber fair und auf Augenhöhe ist".

Strafen, wie etwa Hausarrest oder Handyverbot sieht sie kritisch. Sie zielten darauf ab, das Kind zum Gehorsam zu bringen und das Kind "funktioniere" dann vielleicht sogar. "Aber die Verhaltensänderung kam durch die Angst vor Strafe zustande, nicht durch Einsicht. Kooperation, Einsicht, im besten Fall Einvernehmen, sollten aber immer das Ziel gelungener Erziehung sein, betont die Sozial-Pädagogin.

Über die Expertin:
Martina Huxoll-von Ahn ist stellvertretende Geschäftsführerin und fachliche Leiterin des Kinderschutzbundes. Sie ist Diplom-Sozialpädagogin und Diplom Pädagogin. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen alle Formen der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie Prävention und Intervention.

Verwendete Quellen:

  • Website des Deutschen Kinderschutzbunds: 20 Jahre gewaltfreie Erziehung im BGB - "Aktuelle Einstellungen zu Körperstrafen und elterliches
    Erziehungsverhalten in Deutschland". Ein Blick auf Veränderungen seit der parlamentarischen Entscheidung von 2000 von Vera Clemens, Cedric Sachser, Mitja Weilemann & Jörg M. Fegert
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