• Die Voraussetzungen zur Adoption eines Kindes in Deutschland sind streng.
  • Es werden persönliche Einstellungen, Finanzen, Gesundheit und anderes Privates abgefragt - Dinge, die der Gesellschaft bei leiblichen Eltern erst einmal egal sind.
  • Doch haben die strengen Kriterien ihren Sinn: Immer wieder hat die Adoption (und tut es bisweilen immer noch) auch ihre Schattenseiten gezeigt.

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Wie viele Partnerschaften hatten Sie und wie sind sie geendet? Wie viel Vermögen haben Sie und wie viel Einkommen monatlich? Wie gehen Sie damit um, wenn Sie mit Ihrem Partner Streit haben? Haben Sie irgendwelche Krankheiten?

Solchen und vielen anderen Fragen müssen sich Menschen stellen lassen, die sich darum bewerben, ein Kind zu adoptieren zu dürfen. Das sogenannte Eignungsfeststellungsverfahren dauert mitunter Monate und beinhaltet viele Gespräche vor allem mit den Mitarbeitern der Adoptionsvermittlungsstelle (Jugendamt, ein kirchlicher oder nicht-konfessioneller Träger). Am Ende des Verfahrens steht eine Art Urteil: Sie sind geeignet, ein Kind zu adoptieren. Oder Sie sind es nicht.

Adoption: Es wird sehr, sehr viel abgefragt

Auf Paare, die gerne ein Kind adoptieren möchten, wirkt das Ganze mitunter ungerecht: Warum sollten wir uns komplett durchleuchten lassen und all unsere Schwächen aufdecken, während andere Paare völlig unbehelligt einfach Kinder bekommen können? Und: Ist das alles nicht total willkürlich? Schließlich hängt die Entscheidung am Ende an Personen. Kann es nicht sein, dass in diesem speziellen Fach einfach die Chemie zwischen Jugendamtsmitarbeiter und Bewerber nicht gestimmt hat?

Der Wunsch, das Verfahren zu vereinfachen, klingt auch insofern plausibel, als die Zahl der potenziellen Adoptiveltern in den vergangenen 30 Jahren extrem abgenommen hat. "Ende der 1970er erreichte die Zahl der Adoptionen ihren Höhepunkt", erklärt die Historikerin Bettina Hitzer im Gespräch mit unserer Redaktion. Danach sei es, von einzelnen leichten Wellenbewegungen abgesehen, immer weiter nach unten gegangen.

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Zahl der potenziellen Adoptiveltern geht immer weiter zurück

Allerdings auch bei der Zahl der Kinder, die adoptiert werden können. Nimmt man einen 30-Jahres-Vergleich des Statistischen Bundesamts, sieht man: Waren 1991 noch 1.285 Kinder für eine Adoption vorgemerkt, waren es 2020 nur 883. Die Zahl der Bewerber, also der Einzelpersonen und Paare, die gerne ein Kind adoptieren möchten, ging aber viel stärker zurück: von 21.826 auf 4.050. Rein rechnerisch kämen so aktuell noch viereinhalb Bewerber auf ein Kind.

Die Sorge mancher ist: Wenn es noch weniger werden, wird die Auswahl immer kleiner und die Möglichkeiten, dass es zwischen Kind und Adoptiveltern passt, geringer. Wenn die Tendenz anhält, könnten vielleicht irgendwann wirklich zu wenig potenzielle Adoptiveltern für die Kinder in Heimen oder Pflegefamilien da sein.

Schattenseiten der Adoptionsgeschichte

Dass die Kriterien heute so streng sind, hat allerdings gute Gründe, unter anderem historische. Im 19. Jahrhundert wurden Adoptionen noch mehr oder weniger direkt vermittelt. "Es gab öffentliche Aushänge in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen, die für die Vermittlung von Kindern warben", berichtet der Historiker Benedikt Stuchtey, der wie Bettina Hitzer viel über Adoptionen forscht und mit ihr im Mai 2022 einen Sammelband zum Thema herausgeben wird. "In der Regel wurden besonders nach Kriegen viele Waisenkinder zur Adoption vermittelt", sagt Stuchtey.

Die historische Forschung hat auch zutage gebracht, dass Kinder mitunter vom Krankenbett weg "verkauft" wurden – für die Mütter oft ein verzweifelter letzter Ausweg, moralisch aber natürlich höchst fragwürdig. Ein weiteres dunkles Kapitel in der Adoptionsgeschichte waren Zwangsadoptionen in Diktaturen, mit denen etwa Regimekritiker bestraft wurden. Ebenso gab und gibt es immer wieder Adoptionen, hinter denen ausschließlich kommerzielle Absichten stecken.

Es kommen auch unangenehme Themen zur Sprache

Zwar sind diese schrecklichen Adoptionsgeschichten vor allem in Deutschland kein weit verbreitetes Phänomen gewesen; aber auch die Erfahrungen aus der Nazi-Zeit, als bestimmte Kinder für Adoptionen ausgeschlossen wurden, haben am Ende zu dem Schluss geführt: Es braucht ein geregeltes Verfahren, das Kindeswohl steht an allererster Stelle und niemand hat einen Anspruch darauf, ein Kind adoptieren zu dürfen. Nur Menschen, die im Leben angekommen und stabil sind, sollen das dürfen - zumal Kinder, die für eine Adoption vorgemerkt sind, manchmal eine traurige oder zumindest komplizierte Vorgeschichte mitbringen.

Deswegen müssen die Bewerber im Eignungsfeststellungsverfahren dem Jugendamt oder einem anderen Adoptionsvermittler Nachweise über ihr Vermögen und das Einkommen bringen und ein polizeiliches Führungszeugnis, ein Gesundheitszeugnis und andere Dokumente wie Geburts- und Heiratsurkunde vorlegen. Zudem werden viele und lange Gespräche geführt: über die Lebensumstände, die Beziehung zum Partner, aber auch potenziell heikle Themen wie den Umgang mit einem unerfüllten Kinderwunsch oder die eigene Kindheit.

Das Alter spielt keine so große Rolle, wie viele denken

Als Ausschlusskriterien für eine Adoption gelten dabei Vorstrafen, zum Beispiel aufgrund von Gewaltdelikten, und die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppe, die etwa körperliche Gewalt in der Erziehung erlaubt oder die Schulpflicht nicht akzeptiert. Auch wenn jemand akut lebensbedrohlich krank ist, sodass er oder sie wahrscheinlich nicht bis zum Erwachsenwerden des Kindes für es sorgen kann, ist ein Ja zu einer Adoption unwahrscheinlich.

Dass nur topfitte Mittdreißiger überhaupt als Adoptionseltern infrage kommen, ist hingegen ein Mythos. Denn es gibt zwar ein Mindestalter für sie (25 Jahre; bei Paaren muss der eine mindestens 25, der andere mindestens 21 sein), ein Höchstalter gibt es aber nicht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter sagt, dass der Altersabstand zwischen Kind und Eltern "natürlich" sein, also ungefähr einer Generation entsprechen sollte.

Es wird so weit wie möglich objektiviert

Auch beim finanziellen Rahmen gibt es keine starren Grenzen. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das eine umfangreiche Handreichung zu dem Thema erstellt hat, empfiehlt den Adoptionsvermittlungsstellen, sich am Bundesdurchschnitt zu orientieren - sowohl, was das Einkommen als auch was den Wohnraum angeht, der dem Kind zur Verfügung stehen sollte. "Darüber hinaus gehender Wohlstand führt aber nicht zu einer positiveren Einschätzung", heißt es in der Handreichung; aber auch: "Eine finanzielle Abhängigkeit von Sozialleistungen wird (…) kritisch bewertet."

Ein bisschen gilt das auch für Menschen, die ein Adoptivkind allein großziehen möchten. In der Regel werden Paare bevorzugt. Die Landesjugendämter Berlin und Brandenburg geben sogar vor, dass die Partnerschaft seit mindestens vier Jahren unter einem Dach bestehen sollte. Vermittelt werde "nur an Ehepaare".

Was solche Broschüren wie die Handreichung des DJI aber auch zeigen: Die Vermittler sind sich darüber im Klaren, dass vor allem bei den Kriterien "Ist eine Person wirklich geeignet, ein Kind aufzunehmen?", "Ist die Beziehung stabil?", "Ist der unerfüllte Kinderwunsch verarbeitet?" ein subjektives Moment enthalten ist.

Die Handreichung leistet hier Hilfestellung. Für jeden Punkt werden Vorschläge für Fragen gemacht und Hinweise für die Auswertung gegeben. Beim Thema "Können Sie auf ein Kind eingehen?" wird zum Beispiel als eine von vielen Fragen vorgeschlagen: "Manchmal weinen Kinder oder haben Kummer, was denken Sie, kann dann helfen? Warum?"

Zahl der Stiefkind-Adoptionen stabil geblieben

Klar: Alle Eltern, die ein Kind bekommen, müssen das alles erstmal lernen. Und es fragt sie niemand vorher: Können Sie das überhaupt? Andererseits geht es um viel: Denn geht es gleich mit der ersten Adoptionsfamilie schief, kann dies das Urvertrauen des Kindes und sein Selbstwertgefühl sehr negativ beeinflussen.

Bettina Hitzer, die für eine neue Studie gerade auf der Suche nach Adoptiveltern und -kindern für Interviews ist, vertritt jedenfalls nicht die Ansicht, dass die Institutionalisierung der Hauptgrund für den Rückgang der Zahlen ist: "Das ist eher ein nachrangiger Grund. Wichtiger waren seit den 1980ern der Pillenknick, die Änderungen am Abtreibungsrecht, die größere Unterstützung für Alleinerziehende, das Aufkommen der Reproduktionsmedizin."

Außerdem gebe es heutzutage ein moderneres Familienbild, sagt Benedikt Stuchtey, das sich etwa in Patchwork-Familien widerspiegle. Dafür spricht auch, dass eine Zahl über die Jahre relativ konstant geblieben ist: die der Adoptionen durch einen Stiefvater oder eine Stiefmutter. Sie machten laut Statistik 2020 den größten Teil der insgesamt rund 3.800 Adoptionen aus.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Bettina Hitzer, Historikerin am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden
  • Interview mit Professor Benedikt Stuchtey, Historiker an der Philipps-Universität Marburg
  • Website des Bundesfamilienministeriums: Familienportal, Broschüre "Einblicke: Adoption"
  • Broschüre der Landesjugendämter Berlin und Brandenburg
  • Statistisches Bundesamt: Adoptionen Zeitreihe; Pressemitteilung vom 5. Juli 2021
  • Deutsches Jugendinstitut: Handreichung für die Adoptionspraxis
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