• Schulabschluss mitten in der Corona-Pandemie: Was das bedeutet, schildern zwei Abiturientinnen aus Bayern.
  • Von Unverständnis und Wut auf die Politik, Problemen, über die kaum jemand spricht, und Hoffnungen, die sich zwei junge Mädchen kaum zu machen trauen.
Ein Interview

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Es sind eigentlich ganz normale Wünsche: einigermaßen faire Prüfungen, wohlverdientes Feiern und dann - ab ins Ausland. Doch die Abiturientinnen Anne und Leonie aus dem Landkreis München sind froh, wenn ihre Prüfungen in der Corona-Pandemie überhaupt stattfinden können. Die beiden 17-Jährigen schildern im Gespräch mit unserer Redaktion, wie es in solchen Zeiten um die Lern-Motivation steht, warum Wechselunterricht so in der Kritik steht und was sie Politkern sonst noch gerne sagen würden.

Kurz vor dem Schulabschluss – endlich! Und nun fällt dieses Highlight im Leben mitten in die Corona-Pandemie. Wie geht es euch damit?

Anne: Leicht ist es nicht. Ich finde es sehr schade, dass uns die eigentlich so schöne Oberstufenzeit durch Corona so vermiest wurde. Ständig werden wir mit neuen Regeln überhäuft, man hat das Gefühl, keine Kontrolle über die Situation zu haben. Aber im Verhältnis zu anderen geht es mir doch sehr gut: Ich habe weder einen Verlust durch Corona erlitten, noch hatte meine Familie finanzielle Einbußen oder ähnliches. Da haben es andere viel schlimmer.

"In Corona-Zeiten weiß man natürlich nie!"

Die Abi-Prüfungen sollen in Bayern statt am 30. April nun am 12. Mai starten. Haltet ihr das für realistisch?

Leonie: In Corona-Zeiten weiß man natürlich nie! Aber ich gehe schon davon aus, dass es dabei bleibt. Die Inzidenzzahlen sinken und eine weitere Verschiebung der Termine wäre wegen internationaler Fristen für Studienanmeldungen schwierig. Nach derzeitigem Plan wären die letzten mündlichen Prüfungen am 18. Juni.

Und falls nicht? Ihr seid womöglich die ersten Schüler der Geschichte, die Prüfungen herbeisehnen?

Anne: Ob wir unsere Prüfungen früher oder später schreiben, ändert leider nichts an der Lage mit Corona. Deshalb wünschen wir uns eines mehr als die Abiprüfungen: dass sich die Situation für alle verbessert. Durch die Verschiebung haben wir Hoffnung, dass sich alles nach dem Abi schon etwas beruhigt haben wird und wir vielleicht unsere Pläne für die Zeit danach umsetzen können.

Petitionen für Durchschnittsabi

Und manche wünschen sich die Prüfungen ganz und gar nicht herbei: Es gibt Petitionen, die sich für ein sogenanntes Durchschnittsabitur aussprechen – das ist ein Abitur ohne Prüfungen, dessen Schnitt sich aus den vier Halbjahren der Oberstufe errechnet. Die Meinungen dazu gehen stark auseinander.

Was würdest du von einem Durchschnittsabitur halten?

Anne: Ich halte das nicht für sinnvoll, denn dadurch würde das Abitur an Wertigkeit verlieren, weil es einfacher zu kriegen wäre. Die Prüfungen müssen aus meiner Sicht also unbedingt stattfinden. So kontrovers wir Schüler die Corona-Strategien aber untereinander auch diskutieren - ein Ziel haben wir doch alle: dieses Jahr ein möglichst faires und auf die Situation abgestimmtes Abitur zu schreiben.

Ist das ein Appell an die Politik?

Anne: Ja, absolut! Meine Bitte wäre eine einheitliche Regelung in den Bundesländern bezüglich der Abschlussklassen. In manchen Bundesländern durften Anfang Januar schon komplette Stufen wieder in die Schule gehen, hier in Bayern aber beispielsweise nicht. Bei uns begann Anfang Februar der Wechselunterricht. Dadurch wird es noch schwieriger, als es ohnehin schon ist, bundesweit ein faires und vergleichbares Abitur zu schreiben.

Was würdet ihr den Politikern noch gerne sagen?

Leonie: Entscheidungen, die uns Schüler betreffen, müssten viel schneller kommuniziert werden. Nach den letzten Beschlüssen aus der Politik hat es bis zu sechs Tagen gedauert, bis wir genauere Informationen hatten! Unter solchen Umständen zu lernen, ist nervenaufreibend.

Wie schafft ihr es, euch zu motivieren?

Leonie: Das wurde tatsächlich immer schwerer - mit jeder neuen Entscheidung, die unsere Stufe weiter eingeschränkt hat. Es ist sehr anstrengend, sich auf Tests vorzubereiten, wenn man sich auf keinen Termin fest einstellen kann. Ich habe aber für mich gelernt, zumindest die meisten Dinge so zu nehmen, wie sie kommen und möglichst das Beste aus allem zu machen. Da hilft regelmäßiger Sport - zum Beispiel nehme ich mit Freunden an Online-Programmen unseres Vereins teil.

"Die Unsicherheit ist das Schlimmste"

Anne: Für mich ist die Unsicherheit das Schlimmste gerade: nicht genau zu wissen, wie es weitergeht. Sich mit Freunden auszutauschen, hilft. Dann merkt man, dass man nicht allein ist und es anderen auch so geht. Außerdem versuche ich, mich immer daran zu erinnern: Es wird eine Zeit nach Corona geben, in der wir all das tun können, was im Moment fehlt. Und in ein paar Jahren wird es wahrscheinlich auch keinen mehr interessieren, ob man ein Corona-Abitur gemacht hat oder nicht, letztendlich zählt nur der Schnitt – deshalb: Augen zu und durch!

Seit kurzem seid Ihr im Wechselunterricht - ein Tag Präsenz, ein Tag Homeschooling im Wechsel. Wie klappt es?

Leonie: Ich bin persönlich sehr erleichtert, wieder in die Schule gehen zu dürfen. Wir tragen natürlich Masken in der Schule und werden in kleineren Gruppen unterrichtet, aber es verschafft ein wenig Normalität und Struktur. Wir brauchen den direkten Austausch mit den Lehrern so kurz vor dem Abi. Und man kann seine Mitschüler und Freunde wiedersehen, was gerade in einer schwierigen Zeit ja so wichtig ist! Meine Motivation und Stimmung hat das eindeutig gehoben. Allerdings überzeugt mich das System des Wechsels nicht - bei mir senkt das den Lerneffekt definitiv.

Anne: Das Tolle ist, dass man seine Freunde wiedersehen kann! Aber mehr lernen tun wir durch den Wechselunterricht nicht, im Gegenteil: Ich halte Wechselunterricht für die schlechteste Form des Unterrichts, die sich die Politiker haben einfallen lassen. Ähnliches habe ich auch von Mitschülern und Lehrern gehört.

Was ist das Problem beim Wechselunterricht?

Anne: Die Lehrer müssen sich auf beide Gruppen gleichzeitig konzentrieren. Das Ergebnis: In der Schule erfährt man keinen intensiven Unterricht und im Homeschooling erst recht nicht. Außerdem hat man jeden zweiten Tag - beziehungsweise jede zweite Woche - wenn man wieder Homeschooling hat, das Gefühl: Jetzt hat man einen Tag frei. Durch den ständigen Wechsel geht also auch die Disziplin verloren. Deshalb wäre es am besten, wenn die ganze Stufe zurückkehren dürfte. Wenn das aber wegen des Infektionsgeschehens nicht möglich ist, sollten lieber alle von zuhause aus denselben Unterricht bekommen.

"Die Lehrer sind sehr bemüht"

Wie verfolgt ihr von zuhause aus denn den Unterricht mit? Kriegen die Lehrer das mit der Technik hin?

Leonie: Bei uns wird der Unterricht gestreamt. Leider stockt oft die Verbindung und teilweise funktioniert das überhaupt nicht.

Die Lehrer sind aber sehr bemüht. Der Lerneffekt über die Online-Plattformen ist nicht derselbe, aber zumindest ist es ein Fortschritt, in den meisten Fächern überhaupt die Möglichkeit zur Liveübertragung zu haben. Ich bin unseren Lehrern sehr dankbar für ihr Engagement und die Bereitschaft, sich mit den verschiedenen Plattformen auseinanderzusetzen.

Anne: Sie sind auch immer offen für Fragen und helfen uns, wo es nur möglich ist. Manche Lehrer bieten sogar zusätzliche Videokonferenzen außerhalb der normalen Unterrichtszeit an. Besonders schön finde ich, dass einige Lehrer uns sehr viel Verständnis entgegenbringen und uns versichern, dass sie auf unsere besondere Situation Rücksicht nehmen. Mich baut das sehr auf.

Viele kämpfen mit dem Homeschooling. Habt ihr Tipps?

Anne: Am besten klappt es, wenn man seinen normalen Tagesablauf beibehält, dem man auch ohne Corona folgen würde. Deshalb stehe ich um kurz nach 7:00 Uhr auf, damit ich um 8:00 Uhr mit der Schule anfangen kann. Egal ob Videokonferenzen oder Arbeitsaufträge: Ich versuche, mich immer an meinen regulären Stundenplan zu halten, um Struktur in meinen Alltag zu bringen. Als Ausgleich finde ich Musik und Sport sehr hilfreich.

Ist eine gute Vorbereitung aufs Abi unter den Umständen möglich?

Leonie: Da habe ich schon Sorge. Ich kam im Homeschooling gut zurecht, aber: In drei Monaten sollen wir Abiprüfungen über einen Stoff schreiben, den wir uns teilweise ganz alleine erarbeitet haben. Und so sehr sich die Lehrer auch bemühen: Schaffen wir es wirklich, alles gründlich genug durchzunehmen, um ausreichend vorbereitet zu sein?

Glaubt ihr, dass die Krise eure Klassenstufe am härtesten trifft?

Anne: Wir sind nicht zwingend die am meisten betroffene Stufe. Bei uns sind sicher die Folgen der Pandemie aktuell am stärksten spürbar, denn schon im Sommer wissen wir durch unser Abiturergebnis, wie sich die Pandemie auf unsere schulischen Leistungen ausgewirkt hat.

"Schüler werden abgehängt"

Bei anderen Jahrgängen zeigt sich das erst später. Grundschüler, die nun Lesen und Schreiben lernen, wissen gar nicht, wie man selbstständig lernt. Das stelle ich mir hart vor. Nicht alle Eltern können die Unterstützung geben, die nötig wäre. Einige Schüler werden so schon in den ersten Schuljahren abgehängt.

Aber auch die Unter- und Mittelstufe leiden im Moment sehr: Zum einen redet niemand über sie und sie sind eigentlich immer die letzten, die wieder in den Präsenzmodus zurückkehren dürfen. Zum anderen behandeln sie im Moment im Homeschooling wichtigen Stoff, auf dem die Oberstufe aufbaut. Ob der wirklich vermittelt und verstanden wird, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Worüber sollte außerdem mehr gesprochen werden?

Anne: Dass Homeschooling sich nicht nur auf den Lerneffekt auswirkt, sondern auch psychisch stark belastend ist. Das geht völlig unter. Es ist wesentlich stressiger als "normale" Schule. Deshalb finde ich es auch nicht richtig, dass in Bayern die Faschingsferien komplett abgesagt wurden. Schüler hätten die Zeit zur Erholung gebraucht. Auch wir Abiturienten hätten zwischen den ganzen Klausuren, die wir im Moment ja auch noch schreiben müssen, eine Woche Pause und Erholung, bevor es dann richtig mit dem Abitur losgeht, gut gebrauchen können.

Und ich finde schade, dass überhaupt nicht über die Abschlussklasse von nächstem Jahr geredet wird. Wir selbst haben 2020 fast ein ganzes Halbjahr im Homeschooling verbracht und spüren jetzt die Konsequenzen davon. Trotz vieler Bemühungen kommt Homeschooling nicht an das Niveau vom Präsenzunterricht ran, deshalb entstehen Lücken. Es wäre also schön, wenn die elften Klassen diese nicht hätten und auch in die Schulen zurückkehren dürfen, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt.

Was ist euer größter Wunsch für die Zukunft?

Anne: Dass bald genug Impfungen für alle verfügbar sind, keine neuen resistenten Virusmutationen auftreten und wir Corona so eindämmen können. Hoffentlich kehren wir irgendwann wieder zur Normalität zurück, in der wir auch ohne Masken in Geschäften einkaufen gehen, unseren Freunden in die Arme fallen und einen schönen Abend im ausverkauften Theater oder gefülltem Restaurant verbringen können.

Leonie: Die Kontakt-Einschränkungen belasten mich sehr: Freunde und Familie sind doch das Wichtigste und die Jugend dauert nicht ewig. Es wäre so schön, wenn bald Lockerungen möglich wären. Wir wollen beide nach dem Abi einen staatlich geförderten Freiwilligendienst im Ausland machen. Zu sehr darauf zu hoffen, dass es klappt, trauen wir uns nicht: Wir alle wurden ja in Corona-Zeiten schon so oft und immer wieder enttäuscht.

Doch es werden andere Zeiten kommen. Ich wünsche mir, dann die Welt zu sehen und so viel wie möglich aus jeder Reise, jeder Erfahrung mitzunehmen - denn jeder Moment ist wertvoll.

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