Während Bulimie und Magersucht bekannt sind, wissen viele nicht, was hinter Binge Eating steckt. Dabei kann die Essstörung weitreichende Folgen haben. Lesen Sie hier, was die Krankheit so gefährlich macht.

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Das englische Wort "binge" bedeutet übersetzt Orgie oder Gelage. Nicht allzu schwer zu erraten ist daher, worum es bei der Binge-Eating-Störung geht: Die Betroffenen erleiden unkontrollierte Heißhungerattacken und Essanfälle. Dabei ist ihr Essverhalten sehr unregelmäßig und geprägt von der Aufnahme vieler ungesunder, kalorienreicher Lebensmittel.

Eine Essattacke endet erst, wenn sich die Betroffenen sehr voll und unwohl fühlen. Die Heißhungerattacken und Essanfälle werden dabei vor dem sozialen Umfeld verheimlicht. Im Gegensatz zur Bulimie ergreifen an der Störung Leidende jedoch keine gewichtsregulierenden Maßnahmen wie Erbrechen oder die Einnahme von Abführmitteln.

Dadurch folgt häufig eine Gewichtszunahme bis hin zu starkem Übergewicht. Dieses schadet der gesamten Gesundheit. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Gelenkbeschwerden steigt.

Binge Eating: Wenn die Kontrolle über das Essen verloren geht

Die Binge-Eating-Störung kann einen sehr wechselhaften Verlauf haben: Viele Betroffene haben über Monate keine Symptome. Darauf folgen jedoch Phasen, in denen die Essstörung sehr ausgeprägt ist. Dann essen Erkrankte manchmal über Stunden ohne Gefühl für Zeit und Raum.

"Ess-Süchtige verlieren die Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme", weiß auch Liane Hammer, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin bei ANAD e.V., Versorgungszentrum für Essstörungen in München. Das Gefühl der körperlichen Sättigung und die Kontrolle über die Nahrungsaufnahme gingen dabei verloren. "Manche Patienten sprechen sogar von einem regelrechten Trance-Zustand während der Essattacke", so Hammer.

Binge Eating dient oft der Kompensation von Gefühlen

Die Entstehung der Binge-Eating-Störung kann verschiedene Ursachen haben. Häufig spielen Probleme in der persönlichen Entwicklung eine Rolle. Ein schlechtes Selbstbewusstsein oder der gesellschaftliche Druck auf perfekte Körpermaße können dabei mitwirken.

Auch das in der Familie vorgelebte Essverhalten kann ein Faktor für die Entstehung einer Essstörung sein, ebenso wie körperliche Einflüsse. Auslöser für die akuten Essanfälle sind häufig die Suche nach Trost und Liebe, sagt Hammer. Auch das Kompensieren von Ängsten, Stress, Überforderung, Trauer oder Wut könnten Trigger sein.

Nach einer Essattacke überrollt Menschen mit Binge-Eating-Störung meist ein psychisches Tief: "Auf die Anfälle folgen oft depressive Verstimmungen, ein schlechtes Gewissen und ein starkes Scham- oder Ekelgefühl", weiß die Therapeutin. Eine Folge der Essstörung ist deshalb häufig der soziale Rückzug. Hinzu kommen vielfach weitere psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Ängste.

Mischformen mit anderen Essstörungen

Eine Binge-Eating-Störung ist eine ernst zu nehmende Krankheit, die unbedingt erkannt und behandelt werden muss, warnt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Die Störung wurde jedoch erst vor wenigen Jahren als solche definiert. Deshalb ist die Zahl der Betroffenen nur vage dokumentiert.

Hinzu kommt, dass Mischformen mit anderen Essstörungen häufig sind und es eine große Dunkelziffer gibt. Die BZgA geht davon aus, dass rund zwei bis drei Prozent der Frauen und 0,8 bis zwei Prozent der Männer während ihres Lebens an Binge Eating erkranken. In besonders schlimmen Fällen kann die Essstörung sogar tödlich enden.

Das Problem liegt besonders im Zusammenspiel mit weiteren psychischen Erkrankungen. In Verbindung mit einer Depression steigt beispielsweise das Suizidrisiko. Im Vergleich zu Gesunden ist bei einer Binge-Eating-Störung das Sterberisiko um den Faktor 1,5 erhöht, so die BZgA.

Nachsorge ist bei Binge-Eating-Störung wichtig

Als Ausweg aus der Ess-Sucht empfiehlt sich eine Psychotherapie in Form von Einzel- und Gruppentherapie. In einer solchen geht es darum, den Auslösern für das falsche Essverhalten auf den Grund zu gehen und ihr erneutes Auftreten zu verhindern.

Ergänzend ist eine Ernährungstherapie sinnvoll. Bei einer solchen lernen an Binge Eating Erkrankte, sich wieder ausgewogen zu ernähren und ihre Essattacken zu reduzieren. Zudem wird versucht, das erarbeitete, gesunde Essverhalten zu stabilisieren.

Beide Therapien erfolgen meist ambulant. Wenn die Krankheit jedoch sehr stark ausgeprägt ist oder andere körperliche oder psychische Erkrankungen hinzukommen, kann eine stationäre Behandlung sinnvoll sein. Auch bei erfolgreichen Therapien kann es zu Rückfällen kommen, wie die BZgA informiert. Eine regelmäßige Nachsorge ist bei einer Binge-Eating-Störung deshalb wichtig.

Was Verwandte und Bekannte tun können

Für Angehörige ist die Erkrankung oftmals schwer zu erkennen, da die Essanfälle heimlich kompensiert werden. Was schneller auffällt, sind das Entstehen von Übergewicht, unregelmäßige Ernährung, Bewegungsmangel und ein sozialer Rückzug.

Bei dem Verdacht einer Essstörung sollten Verwandte oder Freunde unbedingt aktiv werden. "Holen Sie sich als Angehöriger Unterstützung bei einer Beratungsstelle für Menschen mit Essstörungen", rät Liane Hammer. Dort gibt es wichtige Hinweise und Empfehlungen für den Umgang mit Betroffenen.

Zudem empfiehlt die Psychotherapeutin, das Gespräch mit der betroffenen Person zu suchen und Unterstützung anzubieten. "Wichtig ist die Vermeidung von zu großem Druck", so Hammer. "Ess-Süchtige grübeln ständig über ihr Gewicht und über ihre Diätversuche. Dabei haben sie oft das Gefühl, die Kontrolle über ihre gesamte Lebenssituation zu verlieren."

Generell gilt: Wird Binge Eating frühzeitig erkannt, sind die Chancen für eine deutliche Verbesserung der Symptome und sogar auf eine Heilung gut.

Verwendete Quellen:

  • Liane Hammer, Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin bei ANAD e.V., Versorgungszentrum Essstörungen München
  • ANAD e.V. Binge-Eating-Störung
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Binge-Eating-Störung
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