Es tut sich etwas in Ungarn. Dafür verantwortlich ist Péter Magyar. Der war mit der ehemaligen Justizministerin verheiratet - durch diese Ehe ist er an Informationen gelangt, die einen Korruptionsfall innerhalb der ungarischen Regierung belegen sollen. Nun will er eine Partei gründen und Viktor Orbán stürzen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Der Fidesz ist meine Familie", erklärte Péter Magyar in einem Interview auf dem YouTube-Kanal "Partizan" im Februar dieses Jahres, trotzdem könne er nicht dabei zusehen, wie so viele Dinge falsch in diesem Land laufen. Er ertrage es nicht mehr: Die Korruption, Vetternwirtschaft und die Art und Weise, wie aufrichtige Politikerinnen zum Bauernopfer werden, während die Verantwortlichen sich "unter den Röcken von Frauen verstecken".

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Auslöser für das Interview war der Rücktritt von Magyars Ex-Frau, Justizministerin Judit Varga, und der Präsidentin Katalin Novák in Folge eines Missbrauchsskandals im Februar. Novák hatte den stellvertretenden Leiter eines Kinderheims begnadigt, der mehrere Jahre lang von Missbrauchshandlungen an Heimkindern gewusst hatte und die Betroffenen unter Druck gesetzt hatte, zu schweigen.

Insider Magyar packt aus

Tatsächlich war dieser Fall nur die Spitze des Eisbergs und der Rücktritt der beiden Frauen nur dazu da, die eigentlich Verantwortlichen zu decken, argumentiert Magyar. Der Anwalt und ehemalige Manager verschiedener regierungsnaher Gesellschaften war der Öffentlichkeit zuvor wenig bekannt gewesen. Lediglich als Mann der Justizministerin war er Bestandteil der Berichterstattung der Boulevardpresse.

Nun wollte er aber endlich auspacken über das korrupte System der ungarischen Regierung: "Gewisse Dinge müssen gesagt werden", erklärt Magyar. Er wolle etwas ändern. Ihm zufolge sei der Rücktritt der Präsidentin Novák dazu da gewesen, die Involvierung anderer Fidesz-Politiker in den Skandal zu verschleiern und ein System zu decken, das den Zweck habe, Regierungsaufträge an befreundete Unternehmer zu vergeben.

Korruptionsfall innerhalb der Justiz

Das Interview im Februar war der Beginn der politischen Karriere von Magyar. Mitte März legte er nach und veröffentlichte eine Audio-Aufnahme, die ihn und seine Ex-Frau bei einem Gespräch wiedergeben soll. Darin erklärt die damalige Justizministerin, hochrangige Politiker hätten belastende Beweise aus der Akte des Schadl-Völner-Falls verschwinden lassen. Der Korruptionsfall um den Staatssekretär Pal Völner und den Präsidenten der ungarischen Kammer der Gerichtsvollzieher, György Schadl, hatte das Land im Dezember 2021 erschüttert.

Der aktuelle Kabinettsminister Antal Rogán soll, der veröffentlichten Audio-Aufnahme nach, den Staatsanwälten Vorschläge gemacht haben, was in den Gerichtsakten gestrichen werden muss, um die Involvierung hochrangiger Regierungsmitglieder zu vertuschen. Laut Ex-Justizministerin Varga hätten die Staatsanwälte sich aber nicht immer darangehalten. Sie beklagt in dem aufgezeichneten Gespräch, dass nicht alle Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft von der Regierungspartei Fidesz gesteuert werden könnten. Ein klarer Bruch mit der Gewaltenteilung, die in demokratischen Ländern zum Grundverständnis des Staates gehört.

Proteste in Budapest

Entsprechend defensiv reagierte die Gegenseite: Magyars Ex-Frau Varga äußerte sich zu den veröffentlichen Aufnahmen via Facebook und erklärte, diese seien unter Druck entstanden. Ihr Ex-Mann habe sie psychisch misshandelt und dazu gezwungen, die Äußerungen zu treffen, die in der Aufnahme zu hören sind. Der Minister des Büros von Ministerpräsident Viktor Orbán sprach von einem "Familienstreit", der in der Öffentlichkeit "nichts zu suchen" habe.

In der Bevölkerung zeigen die veröffentlichten Aufnahmen dagegen Wirkung: Am vergangenen Samstag kamen Zehntausende Ungarn in Budapest für eine Kundgebung von Magyar zusammen. Dieser erklärte: "Wir fordern unser Land und unsere nationalen Symbole zurück!" Diese Rhetorik scheint zu wirken: Laut Umfragen liegt Magyar’s Partei aktuell bei über 20 Prozent – obwohl sie noch nicht einmal registriert ist.

Magyar möchte nach der großen Zustimmung in der Bevölkerung nun mit einer neuen Partei bei der Europawahl am 9. Juni antreten. Kandidat für diese Partei könne jeder werden, der sich darum bewerbe und der unbestechlich und integer sei, so Magyar gegenüber dem konservativen ungarischen Nachrichtenportal "Valaszonline". Aktuell ist unklar, ob eine Teilnahme bei der Wahl möglich ist, da die Fristen zur Anmeldung nicht eingehalten werden können. Allerdings soll Magyar versuchen, mithilfe anderer Parteien trotzdem Kandidaten ins Rennen zu schicken.

Wie gefährlich ist Magyar für Viktor Orbán?

Auch für den amtierenden Ministerpräsidenten Viktor Orbán könnte eine neue Partei langfristig Konsequenzen haben: Der ungarische Politikwissenschaftler Andras Bozoki von der Central European University in Wien erklärt gegenüber unserer Redaktion, Magyar könne eine äußerst wichtige Rolle bei der Delegitimierung und dem möglichen Zusammenbruch der Regierung spielen. "Als jemand, der aus den obersten Kreisen des Regimes kommt, wird er ironischerweise als die glaubwürdigste Person im Kampf gegen Orbán angesehen." Zwar ist Magyar im Moment noch allein, er genieße aber große Sympathien in der Bevölkerung.

Was Magyars politische Ansichten angeht, mahnt Politikwissenschaftler Bozoki davor, ihn als neuen "Messias" zu verklären. Er verweist darauf, dass Magyar selbst lange Teil des inneren Orbán-Zirkels war und dessen Ansichten in vielen Punkten teile.

Magyar vertrete daher nicht unbedingt pro-demokratische Standpunkte. So kritisiert er ebenfalls die Oppositionsparteien, die sich ihm zufolge vom Regime kompromittieren lassen. "Vielleicht ist Magyar stärker für die Zerstörung der Autokratie geeignet als für den Wiederaufbau der Demokratie", sagt Politikwissenschaftler Bozoki.

Über den Gesprächspartner

  • Andras Bozoki ist ein ungarischer Politikwissenschaftler. Er ist Professor am Politikwissenschaften-Department der Central European University.

Verwendete Quellen

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