Vor 20 Jahren verschickte eine anonyme Rest-RAF eine sogenannte "Auflösungserklärung" an die Medien. Tatsächlich ist keine Terrorgruppe namens RAF je wieder aktiv geworden, von einer kleinen Rentner-Crew, die sich um kriminelle Geldbeschaffung bemüht, abgesehen.

Gastkommentar
Dieser Gastkommentar stellt die Sicht von Bettina Röhl dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Organisierten Linksterrorismus gibt es in der Bundesrepublik jedoch immer noch. Siehe zuletzt den G 20-Gipfel in Hamburg 2017, allerdings bleiben die Täter lieber anonym. Der Hass auf einen bis heute nicht verstandenen Kapitalismus ist geblieben.

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RAF – Was bedeutet das?

Klar, das weiß jeder: RAF heißt Rote Armee Fraktion. Aber was ist die Rote Armee Fraktion?

Der ursprüngliche Name, den sich die damals noch überschaubare Baader-Meinhof-Gruppe im Mai 1970 bei ihrer Gründung ausdachte, war "Die Rote Armee aufbauen…" .

Als Gründungsdatum der RAF gilt gemeinhin der 14. Mai 1970, also der Tag des Gefängnisausbruchs des Kaufhausbrandstifters Andreas Baader in Berlin, der von der Journalistin Ulrike Meinhof und der Kaufhausbrandstifterin Gudrun Ensslin angeführt wurde.

Die Akteure waren bewaffnet und sie hatten zusätzlich einen gemeinhin als kleinkriminell beschriebenen, ganz unpolitischen jungen Mann angeheuert, der bei der Aktion einen anwesenden Unbeteiligten lebensgefährlich anschoss.

Auch der bekannte Anwalt der "außerparlamentarischen Opposition", Horst Mahler, heute wegen Holocaustleugnung wieder im Gefängnis, gehörte 1970 zu den Mitbegründern des "Start-up" mit dem ursprünglichen Titel "Die Rote Armee aufbauen…"

Die Mahler-Baader-Meinhof-Gang nannte sich erst nach einigen erfolgreich durchgeführten Banküberfällen im Frühjahr 1971 selber RAF.

Die RAF: Eine Fraktion der Roten Armee Stalins oder Maos?

Die berühmten Roten Armeen Josef Stalins und Mao Zedongs wurden immer auch als nationale Volksbefreiungsarmeen gehandelt oder tituliert. Die Namensfindung Rote Armee Fraktion deutet an, dass man Teil einer oder der globalen Roten Armee in irgendeiner diffusen Zukunft sein wollte.

Es war die Zeit, in der an vielen Orten auf der Welt RAF-ähnliche Guerillastrukturen entstanden waren, zum Beispiel auch die berühmt gewordenen Tupamaros in Südamerika oder die Roten Brigaden in Italien.

Mao Zedong, der große Gott der Neuen Linken im Westen, hatte die Führung in der kommunistischen Welt übernommen. Und er hatte den Guerillakrieg in der Dritten Welt und auch in der ersten Welt mit enormem propagandistischem Aufwand gefordert und, wie die Geschichte zeigt, auch Anhänger des Terrors gefunden.

Mao Zedong war der geistige Urvater des modernen Guerillakrieges. Seine Leitfäden und Handlungsanweisungen, die er schon in den Dreißigerjahren verfasst hatte, wurden zur "Bibel" aller linken Terroristen, die in den Siebzigerjahren aus dem Boden schossen. Auch Che Guevara und die kubanischen Revolutionäre orientierten sich an Maos Kriegs- und Revolutionspropaganda.

Auch die deutschen RAF-Leute wollten ein Teil von Maos Roter Armee auf dem Weg zur Weltherrschaft sein, wenn auch auf westlichem luxuriösem Niveau. Die RAF pflegte in ihren eigenen Propagandaschriften immer wieder Mao zu zitieren, der in der Auflösungserklärung der RAF 1998 allerdings auf eine peinliche Weise als Inspirator verschwiegen wurde.

In China selbst hatte Mao ein millionenstarkes Heer, die sogenannten Roten Garden, in Marsch gesetzt, die in kleinen Gruppen selbsttätig im Namen der Revolution Sabotage verüben und auf Menschenjagd gehen durften.

Die Opferzahlen gingen in die Millionen. Eine verwandte Taktik hatte sich Mao Zedong für den Rest der Welt ausgedacht.

Verkürzt kann man sagen: Die am Revolutionieren interessierten Leute sollten sich klammheimlich zu Sabotage-Einheiten zusammenschließen, die aus dem Nichts Anschläge verüben und das Gefüge der Gesellschaften zermürben. Insofern ist der Name "Rote Armee" irreführend.

Die RAF wollte gerade nicht offen erkennbar wie jede Armee mit uniformierten Soldaten in Kasernen auftreten, sondern ganz im Gegenteil subversiv und ohne irgendeine greifbare Struktur agieren, eben als verdeckte Guerilla-Truppe.

Selbsttätige, nur locker verbundene, terrorwillige Leute mit einigen Kadern, die aber tatsächlich mehr so etwas wie die Idole der Mitstreiter waren, das kennzeichnete die deutsche RAF von Anfang an.

Jeder kann unter dem RAF-Kürzel re­vol­tie­ren

Es gab zwar sehr autoritär geführte Machtkämpfe innerhalb der sich antiautoritär nennenden RAF. Das waren aber tatsächlich eher komisch zu nennende Hahnenkämpfe. Klassische Strukturen, die eine Organisation kennzeichnen, gab es in der RAF zu keinem Zeitpunkt.

Die RAF war keine juristische Person, sie war keine GmbH, die solange lebt, wie es einen Geschäftsbetrieb gibt und die stirbt, wenn der Liquidator sie im Handelsregister löschen lässt. Die RAF war auch kein Verein, in den man eintrat oder aus dem man wieder austrat.

Wer dazugehörte und wer nicht, das war unscharf, war von Tageslaunen, von Sympathie und oft von vielen Animositäten abhängig.

Das Gerede von den RAF-Generationen, der ersten, zweiten, dritten oder gar vierten Generation der RAF, ist unter diesem Gesichtspunkt eher ein Produkt von Historikern oder Journalisten oder auch mancher Leute, die sich irgendeiner RAF angeschlossen hatten, um die Sache zu strukturieren, zu erklären oder vor allem wichtig zu machen.

Jeder kann sich unter dem Kürzel RAF, das ja auch keine eingetragene Marke ist, zusammenschließen und herumrevolutionieren. Die sogenannte erste Generation Baader-Meinhof war bei nüchterner Betrachtung vor allem eine Baader-Befreiungstruppe, die sich in Geldbeschaffungskriminalität erging und die sich in Anschlagstechnik übte.

Propaganda von einer besseren Welt

In dieser ersten Generation gab es noch, auch wesentlich dank der geübten Propagandistin und Journalistin Meinhof, politische Pamphlete, aus denen zwar nicht hervorging, wie konkret die bessere Welt aussehen sollte oder was überhaupt eine bessere Welt ist, aber immerhin sah man das Bemühen, so ein Ziel als Motiv der ganzen Sache zu verkaufen.

Die erste Generation hatte auch den Vorteil auf ihrer Seite, etwas Neues, bis dahin Unbekannntes in der Bundesrepublik zu sein. Die nachfolgenden RAF-Generationen, die 1977 unter anderem den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer ermordeten, waren objektiv politisch noch bedeutungsloser.

Ihre Bedeutung erschöpft sich in steigender Brutalität und vor allem in einem sehr unprofessionellen Reflex des Staatsapparates und der Medien auf die Anschlagstaten. Der Staat reagierte hilflos, statt seinen Bürgern Sinn und Unsinn der Terrortaten zu erklären und zur Gelassenheit zu raten.

Und allzu viele Medien, keineswegs nur die Boulevardmedien, heizten Antipathien oder in Sympathien gegen oder für die RAF an. Das war die wesentliche Bedeutung der RAF, dass sie von außen, nämlich von den Medien und den Sympathisanten, angespornt und mit Bedeutung vollgepumpt wurde.

Ebenso wenig wie die Protagonisten der 68er-Rebellion, gelang es den RAF-Terroristen, jemals irgendeinen Aufbau, irgendein konkretes Ziel zu formulieren. Sie erschöpften sich im Terror und in der abstrakten Propaganda von einer besseren Welt und einem besseren neuen Menschen, den sie mit Stadtguerilla, mit Anschlägen, Entführungen, mit Mord herbeibomben wollten.

Die(!) RAF hat es nie gegeben

Dies alles zusammen ergibt, dass es eine RAF mit der Fähigkeit zu einer Willensbildung im juristischen oder im klassischen Sinn, mit der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen oder verantwortlich gemacht zu werden, nie gegeben hat.

Es gab einen terroristischen Täter-Typus, der sich mit dem RAF-Zeichen auf der Stirn wichtig machte und bereit war, sein Leben und seine Karriere zu verpfuschen. Und der bereit war, das Leben anderer Menschen auszulöschen.

In diesem Sinne war die Erklärung von irgendwelchen anonymen Rest-RAFlern im Jahr 1998 nichts weiter als ein Abgesang, eine Laune, eine frustrierte Befindlichkeit von gescheiterten RAFlern.

Die schlecht formulierten RAF-typischen Textbausteine kommen nur als müder Rechtfertigungsversuch und vor allem als große, aufgeblasene Wichtigtuerei herüber – sozusagen noch ein letztes Mal mit den drei Buchstaben RAF in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit abzusahnen.

Reue oder Aufklärung von bisher nicht aufgedeckten Taten und Tätern findet nicht statt. Namen werden keine genannt.

Da es die RAF im klassischen Sinn als Organisation nie gab, ist die Erklärung auch nichts wert. Die drei Buchstaben RAF könnten auch heute immer und überall wieder von irgendwelchen terrorbeflissenen Leuten neu entdeckt werden - und natürlich funktioniert Linksterrorismus auch ohne die drei Buchstaben.

Der linke Terror lebt weiter

Die Verfasser der RAF-Auflösungserklärung, die bis heute unbekannt sind, haben in einem Punkt bis jetzt recht behalten: Der Terror ging weiter, aber er firmierte nicht mehr unter dem Markenzeichen RAF.

Im Fischschwarm mitschwimmen, unerkennbar und unbekannt, blitzschnell zuschlagen und wieder abtauchen – das war Maos Handlungsanweisung. Mit dem Namen der RAF ist auch das Wort Terror ein wenig aus dem Sprachgebrauch verschwunden, wenn man vom islamistischen Terror absieht.

Tatsächlich handelt es sich auch heute noch punktuell um Terrorakte, die sich im Rahmen gewalttätiger 1. Mai-Demonstrationen oder im Rahmen der Auseinandersetzung um die EZB 2015 in Frankfurt oder zuletzt auf dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 entfalteten.

Nur dass sich heute unter den Berufsrevolutionären keiner findet, der sich RAF nennen will. Im Moment hat sich eher das damalige Frankfurter Konzept der sogenannten Spontis durchgesetzt, nämlich das der Massenmilitanz oder der Feierabend-Terroristen, die No-Names bleiben und so auch dem strapaziösen Leben im Untergrund oder langen Haftstrafen entgehen.

Die Auflösungserklärung der RAF aus 1998 ist überall im Netz nachzulesen. Ob die Auflösungserklärung fünf Jahre nach der letzten gewaltigen Explosion – die RAF hatte 1993 den 250 Millionen teuren Neubau eines Gefängnisses in Weiterstadt in die Luft gejagt – eine Bedeutung hatte oder ob man ihr eine Bedeutung zumessen sollte, ist weitestgehend Geschmacksache.

Zu erinnern bleibt, dass neben der RAF, die aus der großen APO-Bewegung hervorgegangen war, die ihrerseits permanent mit dem Begriff Gewalt, Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Menschen herumspielte, in den Siebzigerjahren viele andere terroristische Gruppen in Berlin und andernorts unterwegs waren.

Bekannt sind noch die Gruppe 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die Rote Zora. Es gab unter den Terrorgruppen auch personelle Verflechtungen. Bekannt geworden ist vor allem die RAF - und das lag ganz wesentlich an dem Medienkonzept und der Medienerfahrung Meinhofs.

Es war eine Terrorgruppierung mit Gesichtern, persönlichen Bekennerschreiben und vielen Fans und Sympathisanten bis hinein ins oberste Establishment.

Bettina Röhl hat gerade ihr Buch "Die RAF hat Euch lieb Die Bundesrepublik im Rausch von 68 Eine Familie im Zentrum der Familie" im Heyneverlag veröffentlicht. Die Autorin Bettina Röhl war als Kind dabei, wie im Wohnzimmer ihrer Mutter Ulrike Meinhof die RAF 1970 gegründet wurde.
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