Der Terrorismus ist inzwischen zu einem festen Bestandteil der täglichen Nachrichten geworden. Viele Menschen haben Angst vor der terroristischen Bedrohung, obwohl Deutschland bislang von Anschlägen verschont blieb. Wie geht man mit seinen Ängsten um?

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In Deutschland wurden bereits Bahnhöfe gesperrt, ein Karnevalsumzug und ein Fußballspiel abgesagt. In dieser Woche sind deutsche Urlauber bei einem Terroranschlag in der Türkei ermordet worden.

Andreas Fallgatter ist Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Tübingen für Psychiatrie und Psychotherapie.

Im Interview mit unserer Redaktion erklärt er, wie unterschiedlich Menschen mit der terroristischen Bedrohung umgehen - und warum wir gerade jetzt unser Verhalten nicht ändern dürfen.

Herr Fallgatter, wie unterschiedlich wirkt sich eine diffuse Terror-Angst auf die Menschen aus?

Andreas Fallgatter: Das ist ganz unterschiedlich. Menschen sind verschieden und es gibt unterschiedliche Ausprägungen einer Grundängstlichkeit in einer Persönlichkeit.

Es gibt Menschen, die sind sehr robust, die bringt nichts aus der Ruhe und andere, die sind eher dazu geneigt, sich auf Angstgefühle einzulassen.

Man spricht von einer erhöhten Angst-Sensitivität. Angstsensitive Menschen sind natürlich empfänglich für solche Nachrichten und beschäftigen sich dann immer mehr damit.

Sie geraten in Gefahr, normale körperliche Reaktionen, die man sonst gar nicht bewusst wahrnimmt, auch wieder als Anzeiger für Angst zu bewerten, was dann wiederum zu einer weiteren Zunahme der tatsächlichen Angst führt.

So kann eine Spirale in Gang geraten, die dazu führt, dass diese Menschen ihr Leben immer mehr einschränken.

Die Reaktionen der Menschen sind ja sehr unterschiedlich. Wieso meiden die einen Großveranstaltungen, bleiben zu Hause, während andere sich überhaupt nicht bedroht fühlen?

Es gibt Menschen, die überlegen rational und rechnen zum Beispiel mal hoch, wie viele Menschen bisher in Deutschland an Terroranschlägen gestorben sind.

Das ist geschätzt vielleicht ein Opfer pro Jahr im Durchschnitt. Im Straßenverkehr sterben jedes Jahr in Deutschland 4.000 Menschen, das ist natürlich ein vieltausendfach höheres Risiko.

Aber niemand zieht die Konsequenz daraus, das Haus nicht mehr zu verlassen, obwohl man sowohl als Fußgänger, als auch als Radfahrer oder Autofahrer im Straßenverkehr einem objektiv deutlich höherem Risiko ausgesetzt ist als durch Terroranschläge.

Insbesondere Bedrohungen, die man nicht genau einschätzen kann, die ungewöhnlich sind, die von Außen kommen und über die man keine Kontrolle hat, werden von angstsensitiven Menschen als sehr bedrohlich wahrgenommen und verarbeitet, obwohl das Risiko offensichtlich vergleichsweise gering ist.

Die Menschen gehen dann eben nicht zu Großveranstaltungen, fahren aber trotzdem jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit.

Was macht eine solche Situation mit den Menschen? Wie können angstsensitive Menschen mit der derzeitigen Situation umgehen?

Die Therapie von Angst im Kontext von Angsterkrankungen besteht immer darin, dass man sich der Angst auslösenden Situation aussetzt.

Man muss die Situation aushalten, ohne aus ihr wieder zu fliehen. Wenn jemand zum Beispiel Flugangst hat, würde die dadurch behandelt werden, dass diese Person möglichst viel fliegt und durch die Erfahrung, dass nichts passiert, die Flugangst abbauen kann.

Wenn jemand Höhenangst hat und zum Beispiel nicht auf einen hohen Turm steigen kann, dann müsste diese Person gezielt auf Türme steigen und hinunterschauen, um die Höhenangst abzubauen.

Man macht dann die Erfahrung, dass die Angst, wenn man in der auslösenden Situation bleibt, kein Dauerzustand ist, sondern dass das eine Sache von Minuten, manchmal auch von einer Stunde ist.

Und dann geht die Angst wieder runter. Angst ist ja ein natürliches, wichtiges Signal, um den Körper flucht- und kampfbereit zu machen.

Es ist gut für uns, dass es Angst gibt, weil wir so wirklich gefährlichen Situationen besser begegnen können.

Aber wenn das in den krankhaften Bereich hineingeht und das normale Leben stört, dann ist Angst dysfunktional geworden.

Dem kann man durch gezieltes Aushalten der angstauslösenden Situation in Form einer Exposition begegnen.

Eine Therapie für Menschen mit übersteigerter Angst vor Terroranschlägen wäre also zum Beispiel, gezielt öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, natürlich nur, wenn es keine konkreten Warnhinweise gibt.

Denn dann wäre die Angst ja wohl begründet, weil eine tatsächliche Gefahr droht - und man wäre leichtsinnig.

Das Ziel des Terrors ist ja erklärtermaßen, Angst zu verbreiten...

Genau. Und deshalb kann man sich als ängstlicher Mensch natürlich gut sagen, wenn ich jetzt trotzdem zu öffentlichen Veranstaltungen gehe, mein Leben nicht ändere und meine Angst dadurch abbaue, dann gebe ich dem Terror gerade dadurch nicht nach.

Denn Terroristen wollen genau das erreichen, nämlich große Bevölkerungsteile in Angst und Schrecken versetzen und deren Lebensstil dadurch ändern.

Was würde passieren, wenn man sein Leben aufgrund von Angst vor der terroristischen Bedrohung ändert?

Die Angst wird immer stärker werden, weil man so sein Alarmsystem sensibilisiert und durch jede kleine Meldung in den Medien die Angst weiter nach oben gefahren und verstärkt wird.

Erst verlässt man vielleicht nur noch selten das Haus, meidet Menschenansammlungen, fährt nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Irgendwann stellt man dann fest, dass man auch zu Hause nicht restlos sicher ist.

Verändert eine solche dauerhafte Bedrohung langfristig ein Gemeinwesen, weil sich eben doch Menschen von der Angst leiten lassen?

Das ist im Prinzip möglich. Aber die meisten Menschen haben eine Tendenz, wieder zum normalen Leben zurückzukehren, wenn die Bedrohungslage nachlässt und die Medien lange nichts berichtet haben.

Aber man muss dieses Phänomen natürlich im Auge behalten.

Grundsätzlich ist es so: Je mehr Menschen sich nicht durch den Terror beeindrucken lassen und ihr Leben ganz normal und in einem vernünftigen Rahmen weiterführen, desto weniger haben die Terroristen die Chance, diese Gesellschaft zu verändern.

Was kann die Politik tun, um den Ängsten der Menschen entgegenzutreten?

Politiker und auch Sicherheitskräfte müssen grundsätzlich gut überlegen, wann sie mit bestimmten Informationen an die Öffentlichkeit gehen.

In den Krisenstäben muss genau diskutiert und abgewogen werden, wann die Bedrohungslage so groß ist, dass eine Warnung notwendig ist, die dann natürlich wieder zum Angstauslöser in der Bevölkerung werden kann.

Im Nachhinein wäre es vielleicht besser gewesen, in München auf eine solche Warnung zu verzichten, aber hinterher ist man immer schlauer.

Zumal Al-Kaida offenbar gezielt Fehlinformationen zu möglichen Terroranschlägen streut und so eine enorme Wirkung erzielen kann - ohne den logistischen Aufwand eines echten Anschlags. Kann die Angst so zu einer Waffe werden?

So ist es. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass einerseits immer ein Blick auf die wahre Gefährlichkeit bestehen bleibt und andererseits, sich die Menschen möglichst wenig in Bezug auf ihr Alltagsverhalten beeindrucken lassen.

Prof. Dr. Andreas Fallgatter ist Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Tübingen für Psychiatrie und Psychotherapie.
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