Anti-Atomkraft-Bewegung, Frauenbewegung, Pegida, Fridays for Future – das sind nur ein paar Beispiele für soziale Bewegungen. Sie sind meist eine Zeit lang populär, verschwinden dann aber oft wieder in der Versenkung. Vor fünf Jahren fand die erste Pegida-Demonstration in Deutschland statt - schnell wuchs diese von ein paar Dutzend auf Tausende Teilnehmer an - nur um heute (fast) wieder ganz zu verschwinden. Woran liegt das?

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Unsere Welt ist in ständigem Wandel. Damit wir Menschen uns in der Gesellschaft zurechtfinden und keine Angst vor der Zukunft haben, verlangen wir von Entscheidungs- und Amtsträgern, dass sie unsere Interessen vertreten, unsere Ängste und Sorgen wahrnehmen und etwas verändern, wenn Veränderung gebraucht wird. Passiert das nicht, entstehen Unruhe und Unzufriedenheit. Das ist die Basis für soziale Bewegungen, erklärt Soziologe Prof. Jürgen Mittag.

"Wenn gesellschaftliche Anliegen – egal ob ökonomischer, sozialer, politischer oder kultureller Art – nicht von einem politischen Akteur oder einer politischen Partei aufgegriffen werden, formiert sich zunächst in recht lockerer Form eine soziale Bewegung." Die Akteure dieser Bewegung versuchen ihren Anliegen durch Protest Gehör zu verschaffen. Was zu Beginn eher spontan und unorganisiert geschieht, entwickelt sich im Laufe der Zeit Stück für Stück weiter.

"Wissenschaftlich würde man von einer Professionalisierung der Bewegung sprechen. Bestimmte Organisationsformen werden entwickelt, um die Arbeit effizienter und sichtbarer zu machen. Dadurch erfolgt auch eine Institutionalisierung. Man klärt einen bestimmten Rahmen, protokolliert Dinge, vereinbart Termine. Wie weit das dann geht, bleibt offen", so Mittag.

Pegida und die Montagsdemos

Am 20. Oktober 2014 – also vor fünf Jahren – fand die erste Pegida-Demonstration in Deutschland statt. Eine Bewegung gegen die vermeintliche Islamisierung Deutschlands und Europas, ein Protest gegen die Einwanderungs- und Asylpolitik. Die Teilnehmerzahl wuchs von etwa 350 bei der ersten Demonstration rasch auf ein Vielfaches an.

Zu Spitzenzeiten unterstützten rund 25.000 Teilnehmer die Montagsdemos. Heute sind es nur noch ein paar hundert Menschen. Laut Jürgen Mittag ist das nicht verwunderlich: "Das Kerncharakteristikum einer sozialen Bewegung ist, dass sie nur für eine bestimmte Dauer existieren. Es ist nicht definiert, ob es sich um drei Monate oder drei Jahre handelt."

Entweder eine soziale Bewegung löst sich dann mit der Zeit langsam wieder auf oder sie wird inkorporiert. Andere Kräfte wie Parteien oder Organisationen bedienen sich also ihrer Inhalte und machen diese zum Bestandteil des eigenen Handelns.

Geburtsstunde neuer Parteien

Wenn soziale Bewegungen nicht wieder in der Versenkung verschwinden oder ihre Themen von bestehenden Organen übernommen werden, gibt es noch eine dritte Möglichkeit der Entwicklung. Es kann durchaus sein, dass sich so neue Parteien oder Verbände etablieren. Ein Beispiel dafür wären die Grünen. Die Partei wurde aus den neuen sozialen Bewegungen und verschiedenen Bürgerinitiativen geboren, deren Themen sich hauptsächlich um Umwelt, Frieden und Frauenrechte drehten.

Die ehemalige "Anti-Parteien-Partei" ist heute aus dem politischen Umfeld in Deutschland nicht mehr wegzudenken – obwohl sie sich aus so vielen unterschiedlichen politischen Strömungen vereint hat. Waren da die Vertreter aus Ökologie- und Anti-Atomkraft-Bewegung auf der einen und die der Friedensbewegung sowie kommunistische und sogar wertkonservative Aktivisten auf der anderen Seite.

Globale Bewegung für den Klimaschutz

Aktuell hat die globale Bewegung "Fridays for Future" eine wirklich bemerkenswerte Dynamik entwickelt. Während Greta Thunberg, das schwedische Mädchen mit den Zöpfen, anfangs für ihren wöchentlichen Schulstreik noch belächelt wurde, gehen mittlerweile Freitag für Freitag weltweit nicht mehr nur Schüler auf die Straße, um sich für schnelle und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen einzusetzen. Beim dritten globalen Streik am 20. September 2019 machten Schätzungen zufolge weltweit rund vier Millionen Menschen mit.

Soziologe Jürgen Mittag attestiert aber auch "Fridays for Future" kein dauerhaftes Bestehen. "Wie alle anderen sozialen Bewegungen durchläuft auch diese bestimmte Transformationen. Entweder werden auch hier Anliegen aufgegriffen oder die Bewegung erlahmt. Das passiert meist, wenn die Hauptakteure nicht mehr so viel Zeit und Energie investieren können oder wenn die Zustimmung fehlt. Es kann auch sein, dass innerhalb der sozialen Bewegung unterschiedliche Zielsetzungen entstehen und sich der Kern nicht mehr auf etwas einigen kann. Profane Dinge wie Wetter und Jahreszeit können ebenfalls einen Einfluss auf das Fortbestehen oder den Niedergang einer sozialen Bewegung haben."

Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sich auch hier etwas verändert oder eine neue soziale Bewegung aus dem Wunsch nach Wandel entsteht.

Shell-Studie 2019: Umweltthemen für viele Jugendliche wichtig

Greta Thunberg und die Bewegung Fridays for Future machen Schlagzeilen. Aber sind Umwelt- und Klimaschutz wirklich Anliegen einer ganzen Generation? Eine neue Jugendstudie gibt Aufschluss und zeigt die vielen Ängste der jungen Generation.
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